‚Ciudad Perdida‘ – Tag 3 – Die Stufen

Fr., 21.Jul.17, Kolumbien/Verlorene Stadt, Tag 1147, 11.850 sm von HH

Eng in meine fragwürdige Bettdecke gekuschelt :shock: wache ich um kurz vor 5:00 Uhr auf.
Es ist frisch auf tausend Meter.
Menschen rufen und laufen vor meiner Nase herum, die Nacht ist zu Ende. Das Camp ist proppe voll. Zu voll. Es gibt keine Ablagemöglichkeiten für Rücksäcke und persönliche Sachen.
Die Stockbetten stehen eng in zwei Reihen. Dann nur vier Toiletten und drei Duschen für zu viele Gäste. Das Camp verliert deutlich hinter Nummer eins.

Es sind täglich 50 Touristen für den Treck zur ‚verlorenen Stadt‘ zugelassen – da scheint man sich leider nicht dran zu halten.

Um 6:00 Uhr geht es mit der Lauferei los.
Für meine Blase habe ich einen edlen Blasenpflaster-Spender gefunden. Das bringt echte Linderung als wir aufbrechen.

Anderthalb Stunden machbarer Weg bis zur breitesten Flussquerung der Tour.
Es sieht harmlos aus, aber die Strömung drückt ordentlich. Für meine trockenen Shorts, wie ein Augapfel vor Feuchtigkeit beschützt, ist der Tag hier zu Ende. Das Wasser reicht mir bis zum Hintern. Wieder alles nass.

Dann stehen wir unvermittelt vor der Treppe. Also vor der! Treppe.

1.200 Stufen. Nur 300 weniger als das Empire State Building vorzuweisen hat. Niemand käme dort auf die Idee nicht den Fahrstuhl zu benutzen.

Vor über tausend Jahren bauten die Tairona mitten in den Urwald dieses Monster. Überwiegend sind es schmale Stufen, häufig muss man quer laufen. Steil ist es fast überall.
Es gibt Stellen, da kann man zur Seite treten, um für Eilige Platz zu machen. Oder einfach nur um Atmen zu können und einen Kreislauf-Kasper zu verhindern.

Es ist voll auf der Treppe. Alle Gruppen sind gleichzeitig im Camp aufgebrochen.

Eins haben die Tairona leider vergessen: Schilder. „Ab hier noch 300 Stufen…“
Ich stoppe den Guide einer anderen Gruppe und frage, ob wir wohl schon in der Mitte seien.
Er schaut mich entgeistert an. Er zeigt mir seinen Zeigefinger und zwinkert mir zu: „No, no, Du bist schon hier“, und tippt auf seinen Fingernagel.
Erleichterung. Fünf Minuten später bin ich oben.

Zunächst nur am ehemaligen Marktplatz. Bis hierhin durften früher Besucher der Stadt gehen, um Waren zu tauschen. In die Oberstadt war Zutritt verboten. Es geht nochmals dreihundert Meter höher. Neben der Haupttreppe gibt es noch unzählige Nebentreppen, Seitentreppen, Randtreppen und sinnlose Treppen.

Überall sind runde Terrassen errichtet.
Diese waren früher bebaut mit Hütten im Stil der Kogi-Hütten. Unterhalb der Hütten begrub man seine Toten. Diese Gräber sind längst geräubert. Ein paar wenige Fundstücke sind in den Museen von Bogota und Santa Marta. Zweihundert solcher Terrassen befinden sich in der ‚Verlorenen Stadt‘. 2000 bis 8000 Menschen sollen hier gelebt haben.

Und dann liegt er vor uns, der heilige Platz. Der noch heute von den Kogi für Zeremonien im Sinne alten Traditionen verwendet wird. Ein Schamane mit seiner Frau wohnt dauerhaft in der Stadt.

Wunderschön. Sicher nicht zuletzt wegen der großen Strapazen, die dieser Aussicht voraus gegangen sind. ;-) Läge die ‚Ciudad Perdida‘ eben um die Ecke, wäre der Anblick sicherlich nicht halb so wertvoll. So versinkt man in einem wonnigen Genuss in dieser Aussicht.

die Verlorene Stadt

die Verlorene Stadt

Ciudad Perdida

Ciudad Perdida

Wir haben zwei Stunden Zeit uns zu ergötzen, zu erholen und die angebotenen Süßigkeiten von Ciser zu verputzen. Dann mahnt dieser zum Aufbruch.

Vor uns liegen, ich mag es gar nicht dran denken, noch sechs Stunden Fußmarsch.

Der Rückweg führt an weiteren Terrassen und Treppchen vorbei. Alles genau mein Ding, Moos und Mini-Farn in allen Ritzen. Überwucherte Steine, alles frisch, alles grün. Hier und da ein Coca Strauch (verflixt und zugenäht, ich komm nicht unbeobachtet zum Ernten :-) ), wilder Koriander und Bäume mit Saft zum Färben von Stoffen.

Jetzt nur eben flink die Stufen runter gewieselt, den Fluss durchquert (toll, die Büx war grad wieder trocken), ein, wie immer gutes, Mittagessen im Übernachtungscamp und dann nicht faul, los, los, auf zum dritten Camp.

Schnell falle ich zurück. Achim mault.
Er mag es nicht, dass er zu Ciser und der Hauptgruppe den Anschluss verliert. Hinter uns ist schon lange keiner mehr. Die Oma ist nicht zu sehen.
Wir vermuten, dass sie sich ein Maultier organisiert hat. Für Verletzte und Abbrecher stehen ein paar Tiere zur Verfügung, die man mieten kann.

Ich biete Achim an, dass er gerne vorlaufen kann. Der Weg ist nicht zu verfehlen, verlaufen kann man sich nicht und in drei Tagen haben wir noch kein Tier gesehen, was einem Angst einjagen könnte. Er lehnt ab.

Mit seinen Dreimeilen-Schritten eilt er voraus. Ich bin dann für zehn Minuten allein bis er wieder in Sicht kommt, weil er wartet. Sobald ich knapp in Sprechweite an ihn heran bin, läuft er wieder los.
Na, toll. Wie die Möhre, die einem vor die Nase gehalten wird und die man nicht erreicht.

Achim mahnt zur Eile. Ohne die Schrittmacher-Oma bin ich wahrscheinlich wirklich langsamer als gestern. „Wer hatte die Idee mit dieser Wanderung?“
Na, toll. Schön, wenn man einen Schuldigen gefunden hat. ;-)

Um 16:00 Uhr fängt es zu nieseln an. Der Regen, der vor zwei Tagen noch von Gott gegeben hingenommen wurde, geht jetzt ebenfalls auf mein Konto.
Na, toll.

Den Killer-Anstieg von gestern geht es nun runter.
Das Abbremsen beißt in die Oberschenkel. Meine Blase sticht bei jedem Schritt in die Hacke. Für Blattschneider-Ameisen, die den Weg kreuzen wird schon lange nicht mehr gebremst. Sorry, Jungs.

Wir stapfen durch den Regen. Achim ist jetzt dauerhaft bei mir. Wir kennen zwar die Strecke vom Hinweg, haben trotzdem kein Gefühl, wie weit es noch sein könnte. Achim mahnt wieder zur Eile. Ich gebe alles.

Da kommt von vorne der Ruf: „Camp in Sicht!“ Süße Worte. Verlockung, Verheißung. Endlich sitzen, die Füße hoch, eine Dusche. Ein Kaltgetränk.
Fehlalarm. :evil: Ein paar Hütten im Rohbau haben Achim diesen Streich gespielt.

Eine halbe Stunde später ist es dann aber wirklich soweit. Himmelblaue Betten erwarten uns.

Himmelblaue Leoparden-Versuchung

Himmelblaue Leoparden-Versuchung

 

Ich bin nicht ganz so erschossen wie gestern, schaffe eine kalte Dusche und gepflegte Konversation beim Abendessen. Bis um 19:30 Uhr, dann ist die Luft raus, ich sinke in meinen blauen Traum.
Meine Blase sieht arg aus. Der Kleber vom Pflaster und Fasern der Socken haben sich vereinigt zu einer homogenen Masse und sich in die wässrige Wunde gearbeitet.

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