Von NZ nach Fiji – Tag 8

Sa.,17.Jun.23, Pazifik, Tag 3305, 25.554 sm von HH
Wir sind in den letzten neun Jahren ungefähr 220 Tage auf See gewesen. An viele Tage haben wir keine Erinnerung mehr, aber Tag 8 nach Fiji wird ausdrücklich im Gedächtnis bleiben.
Wer kennt „Tribute von Panem“? In diesem Film werden Probanden in einer künstlichen Welt von einem Spielmacher mit allerlei Tricks daran gehindert ihre Aufgaben zu lösen. Uns scheint, wir haben auch so einen Spielmacher, der die Knöpfe auf seiner Schalttafel drückt. Willkommen in unserer persönlichen Matrix, Tribute von Fiji.
Mit dem letzten Dämmerlicht erkennt Achim eine dunkle Front, die auf uns zu kommt. Ich bin eigentlich so weit, um mich vor meiner Nachtwache noch einen Augenblick hinzulegen. Ein Squall – kein Problem – kennen wir und reffen rechtzeitig das Großsegel. Achim in vollem Segel-Outfit. Schlauer Skipper. Ich denke so, für die fünf Minuten brauche ich nicht extra eine Segelhose anzuziehen (scheinbar nichts dazu gelernt in neun Jahren ;-) ). Der Squall kommt, es schüttet wie aus Eimern. Grade rechtzeitig schaffe ich es noch, meine Socken und Fleecehose nach unten zu kicken. Es dauert nur zwei Minuten und meine Unterhose ist klitschnass. Der Wind dreht, wir müssten eigentlich anluven. Unmöglich. Das Vorsegel ist ausgebaumt und am Wind fahren somit nicht möglich. Wir donnern mit über sieben Knoten Richtung Westen. Hey, da kommen wir her. Auf einmal rennt der Kahn, sind wir auf Kurs kriechen wir mit drei Knoten vorwärts.
Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei. Der Baum vom Vorsegel kommt weg und ich gehe noch für eine Stunde schlafen. Noch kommt uns nichts verdächtig vor, normaler Segelalltag.
Um 22:00 Uhr übernehme ich die Wache. In der Ferne glüht heftiges Wetterleuchten. Nach anderthalb Stunden schläft der Wind komplett ein. Ich wecke Achim. Wir starten die Maschine. Der Keilriemen quietscht erbärmlich. Noch vor der Abfahrt frisch gespannt, dreht er jetzt durch. „Achim guckt mich an: „Reicht es nicht, dass ich meine Pause unterbrechen muss? Jetzt auch noch an der Maschine herum fummeln? Mitten in der Nacht!“ Mit ein paar Andrück-Tricks überredet Achim den Riemen dann zu greifen. Wir nehmen die Segel runter, der Skipper verschwindet wieder im Bett. Das Wetterleuchten flimmert jetzt im Minutentakt.
Um 1:00 Uhr ist das Gewitter bei uns. Es steht Backbord voraus. Ich sehe erste Blitze auf der Wasseroberfläche einschlagen. Unruhig beobachte ich, dass die Gewitterzelle schnell und bedrohlich grell näher kommt. Ich ändere den Kurs um dreißig Grad nach Osten. Bloß weg von dem Biest. Unter Maschine schaffen wir 5,5 Knoten. Alle zwei Minuten ein Blitz. Mir wird mulmig. Ich korrigiere noch einmal den Kurs um weitere zwanzig Grad. Das Teil kommt näher. Mir fängt der Spielemacher an auf den Geist zu gehen.
Während ich noch so darüber nachdenke, was ein Blitzeinschlag für Folgen hat, höre ich unsere Bilgepumpe gluckern. Im Cockpit hört man sie am besten, da Wasser im Schiff über die beiden Lenzrohre im Cockpit nach außen gepumpt wird. Es blitzt, der Donner folgt vier Sekunden später. Wieder gluckert die Pumpe. Blitz. Donner. Gluckern. Dann hört das Gluckern gar nicht mehr auf. Was soll das? Ich hechte nach unten. Und tatsächlich, die Alarmlampe der Bildgepumpe steht auf Dauer-Rot. Ich hechte mit wackeligen Beinen einen Raum weiter, Achim wecken. „Aufwachen, aufwachen, unsere Bilgepumpe hört nicht mehr auf zu pumpen“. Ich sehe in tellergroße Augen. Achim sprintet in den Salon. „Mach die Maschine aus, damit ich das Wasser besser sehen kann“ [O-Ton :lol: ]. „Nein geht nicht“, rufe ich ihm zu, „wir müssen weg hier, wir haben ein Gewitter, was über uns hinweg zieht.“
Achim hört schon gar nicht mehr hin. Hecktisch reißt er Bodenbretter hoch. Leuchtet hierhin und dahin. Wo kommt das Wasser her? Er öffnet die Klappe vom Maschinenraum. Da steht bereits Wasser und über eine schmale Rinne kommen schwallartig größere Mengen nach. Wir gucken uns entsetzt an. Jetzt geht mir der Arsch auf Grundeis. Das erste Mal auf See, dass ich echt Angst habe. Zum Glück hört man unter Deck wegen des Dröhnens der Maschine das Donnern vom Gewitter nicht. Achim sucht hektisch die Quelle für den Wassereinbruch. Ich kontrolliere, ob wir dem Gewitter entkommen. Und ich sammele wichtige Dinge zusammen. Unsere Segelklamotten, die Handfunke. Ich lege eine Hand an die Eprib (unsere Rettungs-Boje), um mich schon mal mit dem „von der Wand reißen“ anzufreunden. Achims Geschmackprobe ergibt: wahrscheinlich Süßwasser. „Mach mal schnell die Sicherung von der Frischwasser-Pumpe aus!“ Wir warten. Nach ein paar bangen Minuten und weiteren Pumpen-Glucker-Geräuschen ist Ruhe. Wir werden nicht sinken!
Wir sinken gemeinsam erschöpft auf die Cockpitbank. Uns ist der Schreck ganz schon in die Glieder gefahren. Puh, das war ein Detail zu viel des Guten. Wir zeigen unserem Spielemacher den Stinkefinger. Auf dem Radar sehen wir, dass das Gewitter jetzt genau auf unserer Kurslinie sitzt. Die Flucht nach Osten mit Kurs 90 Grad (wieder knapp zwei Stunden weg vom Ziel) war die richtige Entscheidung. Wir atmen auf. Wir sind die Helden in unserer Matrix.
Am nächsten Morgen wechselt Achim den Keilriemen und findet den Fehler an der Wasserleitung. Eine Rohrverbindung hat sich „losgeschraubt“. „Das geht eigentlich gar nicht“, erklärt Achim mir, „das ist eine Verschraubung mit Widerhaken, die kann sich gar nicht lösen. So was kommt nur in Filmen vor.“
Tagesmeilen: 88 Meilen (davon 43 unter Maschine – ab Mitternacht kein Wind bis zum Morgengrauen).
Bereits gesegelt: 797 Meilen Noch 572 Meilen bis Fiji, noch 156 Meilen bis Minerva Position: 26°20,3 S – 179°12,3
57

Von NZ nach Fiji – Tag 7

Fr.,16.Jun.23, Pazifik, Tag 3304, 25.466 sm von HH
Wir kommen voran, aber mühsam. Bis drei Uhr morgens segeln wir weiter hoch am Wind, dann schläft der Wind erneut ein. Der Schwell, der uns eine Woche begleitet hat, hat sich tot gelaufen. Ruhig liegen wir in der sternenklaren Nacht mitten im Ozean. Wir lassen uns ein paar Stunden treiben. Nutzen die Ruhe, um ohne Geschüttel und Motorlärm schlafen zu können. Im Morgengrauen starten wir die Maschine. Mittags kommt zögerlich der Wind zurück. Statt Süd-West jetzt aus Süd-Ost. Mit ausgebaumter Genua und Groß segeln wir auf der Kurslinie (inzwischen 7°). Damit haben wir alle Segelstellungen und Windrichtungen durch.
Bis auf 25 Meilen haben wir uns unsere Ost-Meilen erarbeitet (ich glaube, ich hatte mal geschrieben, es seien 200 Meilen – das war falsch – in echt sind es 350 Meilen gewesen). Wir haben mit den gewählten Kursen gepokert und gewonnen. Freu, freu – endlich mal was richtig gemacht. ;-) Der Wind soll von nun an tagelang aus Osten kommen.
Die ersten drei Tage sah es so aus, dass wir bereits nach einer Woche in Minerva ankommen würden. Pustekuchen! Der Wind ist schwach. Er schwankt von 7 bis 10 Knoten hin und her. Wir kriechen mit zwischen zweieinhalb und vier Knoten vorwärts. Natürlich besser als Flaute. Zum Glück wurde das erneut angekündigte Windloch von den Flauten-Malern wieder weg genommen.
Wir fügen uns in unser Schicksal, dass wir bis Minerva wohl noch drei Tage brauchen werden. Auszustehen haben wir nichts. Das Wetter ist gut und mit einem rot glühenden Sonnenuntergang könnten wir unseren 23.ten Hochzeitstag gar nicht romantischer feiern. Im Logbuch habe ich nachts einen Gutschein für ein Abendessen in Fiji gefunden. [ :-) schau einer an, geht doch] Und noch einen weiteren Gutschein: jeden Tag einen Riegel Schokolade [mit dem Zusatz, solange der Vorrat reicht – so lahm wie wir unterwegs sind, ist das ein geschickter Zusatz. Wie leicht könnte der Skipper sonst in Bringeschuld geraten]. Achim ist auf diesem Törn von mir zum Hüter der kostbaren Fracht gekrönt worden, damit ich nachts nicht schon in den ersten Nächten alles auf einmal auffuttere.
Tagesmeilen: 74 Meilen (davon 23 unter Maschine – erneut Strommangel. Kurs jetzt Nord, da schatten die Segel die Paneele ab, als ob die kurzen Tage nicht schon für genug Energie-Kummer sorgen würden).
Bereits gesegelt: 709 Meilen Noch 651 Meilen bis Fiji, noch 242 Meilen bis Minerva Position: 27°78,9 S – 179°28,6
no-footer
46

Von NZ nach Fiji – Tag 6

Do.,15.Jun.23, Pazifik, Tag 3303, 25.392 sm von HH
Vorgestern Abend: Wettervorschau berichtet von 2,5 Tagen Todesflaute bis Minerva. Gestern Nacht: Todesflaute ist da. Wir verbringen die „reeechts-liiinks-Schaukelnacht“ und treiben. Gestern früh morgens: Wir haben 3 Windstärken, baumen die Genua aus und fühlen uns auf den Arm genommen vom Wetterbericht. Hätten wir das gewusst, hätten wir uns diese furchtbare Nacht nicht angetan, sondern wären unter Maschine gefahren. Heute Nacht: Wir haben weiterhin konstant 3 Windstärken und fühlen uns noch mehr verschaukelt – von Flaute keine Spur. Diese Nacht ist fabelhaft und entschädigt. Die alte Dünung ist zwar noch immer nicht komplett verschwunden, geht aber mit unserem Schiff eine wunderbare Freundschaft ein. Atanga segelt aufrecht ohne Schiffsbewegungen. Wir scheinen zu schweben. Unter Deck sind alle Geräusche verschwunden, selbst das Gürgeln vom Wasser am Bug. Wir müssen nachschauen, ob wir überhaupt noch vorwärts kommen. Ja, kommen wir! Mit knapp drei Knoten Kurs Ost. Einen anderen Kurs lässt der Wind nicht zu. Macht nichts, wir haben ohnehin noch 50 Meilen nach Ost gut zu machen. Und es soll Ostwind kommen (glaubt man den Flauten-Malern), dann passt das. Heute tagsüber: Wir haben 4 Windstärken (über die vertrödelte Nacht lassen wir Gras wachsen). Leider kommt der Wind aus Nord-Westen (Augenroll). Hoch am Wind schaffen wir einen 30er bis 40er Kurs (zielkurs Minerva inzwischen 9°). Wir geben unter Vollzeug Gummi (ruppiger Ritt), denn in 12 Stunden soll Flaute kommen. ;-)

Tagesmeilen: 73 Meilen (davon 12 unter Maschine – wir brauchten Strom in die Batterien. Die Tage sind sehr kurz, nur gut zehn Stunden ist es hell. Die Sonne steht tief, der Windgenerator dreht müde und schafft auch nichts rein. Der Albtraum von Habeck in seinem ganzen Schrecken: Dunkelflaute! :mrgreen:
Bereits gesegelt: 635 Meilen Noch 706 Meilen bis Fiji, noch 295 Meilen bis Minerva Position: 28°35,3 S – 179°40,6E

45

Von NZ nach Fiji – Tag 5

Mi.,14.Jun.23, Pazifik, Tag 3302, 25.319 sm von HH
Ausgebremst. Von eben auf jetzt hat um 20:00 Uhr unsere Rauschefahrt ein Ende. Der Wind geht runter – auf neun Knoten, auf sechs, auf drei. Wir rollen die Genua ein. Sie schlägt nur noch sinnlos hin und her. Die Flaute ist früher da als befürchtet. Eine großflächige Flaute bis zum Ziel soll vor uns liegen, wenn man der Vorhersage vertraut. Bis Minerva sind es noch 360 Meilen. Bis dahin würde unser Diesel reichen, aber viel wäre nicht mehr übrig. Das ist uns zu riskant. Schließlich wollen wir noch im Inselgewirr von Fiji über hundert Meilen segeln. Da brauchen wir Diesel unter Umständen dringender als hier, wo kein Land im Wege liegt. Die Entscheidung ist schnell getroffen, wir haben keine Wahl, wir lassen uns treiben. Immerhin geht die Strömung Richtung Osten und nicht zurück.
Die Nacht ist nicht schön. Die alte Dünung (geschätzt 1,5 Meter) schüttelt uns kräftig durch. Atanga liegt eben noch ganz ruhig und aufrecht da. Dann hebt uns der Schwell sanft an. Atanga rollt zur Seite. Erst rechts, dann links. Die nächste Welle über nimmt den Kahn. Es geht reeechts, liiinks. Die nächste Welle: reeeeeechts, liiiiiinks. Als nächstes der Todesstoß, wir schaukeln uns auf: reeeeeeechts, liiiiinks. Dann ist der Spuk vorbei und für einen wunderbaren Moment liegt Atanga wieder ruhig und aufrecht da. Ein schönes Spiel für Masochisten.
Das Gute an dem Drama, die Dünung wird kontinuierlich niedriger. Nach der Nacht aus der Hölle beträgt sie noch einen Meter. Geschätzt. Wir dümpeln und rollen uns weiter ostwärts. Dann spüren wir plötzlich einen Lufthauch im Haar: fünf Knoten Wind aus Westen. Wir baumen die Genua aus und nehmen Fahrt auf. Mit einem Knoten Fahrt geht es wieder dem Ziel (Kurs 14 Grad) entgegen. Noch 18 Tage ätzt die Anzeige im Plotter. :mrgreen: Der Wind nimmt bis mittags noch auf sechs Knoten zu – immerhin! Besser als totale Flaute. Wir beschleunigen auf über 1,5 Knoten Fahrt. Noch 10 Tage korrigiert der Plotter.
Tagesmeilen: 53 Meilen Bereits gesegelt: 562 Meilen Noch 746 Meilen bis Fiji, noch 345 Meilen bis Minerva Position: 29°18,6 S – 179°33,23 E
44

Von NZ nach Fiji – Tag 4

Di.,13.Jun.23, Pazifik, Tag 3301, 25.266 sm von HH
Es wird tatsächlich wärmer. Im Windschatten und in der Sonne können wir stundenweise im Cockpit sitzen. Sogar frühstücken. Nur zum Duschen ist es noch zu kalt. Die erfolgt im Bad – zuletzt vorgekommen auf der Passage von Portugal auf die Kanaren. Seitdem konnten wir es erfolgreich vermeiden, die Feuchtigkeit in die Bude zu tragen. Die erste Hälfte von Tag 4 ist gut gelaufen. Aber es geht kontinuierlich bergab. Der Wind hat auf Stärke 4 abgenommen (geschätzt – die Anzeige sagt keinen Mucks). Außerdem hat der Wind auf Süd-Süd-West zurück gedreht. Das ist ungünstig, wollen wir doch in genau die entgegengesetzte Richtung (22 Grad Zielkurs). Platsch von hinten wollen wir den Wind nicht haben. Zuviel Rollerei. Also kreuzen wir vor dem Wind. Leider gestaltet sich das inzwischen schwierig. Die Windsee hat bereits deutlich abgenommen, aber die alte Dünung steht noch. Bestimmt zwei Meter. Es ist schwer zu schätzen, aber schaut man sich am Horizont die Berge an, die dort entlang rollen, kann das stimmen. Nehmen wir den Wind von schräg hinten, reicht der Winddruck nicht aus, um das Groß stabil in den Wellenbergen zu halten. Regelmäßig wackelt der Baum hin und her und das Groß bläst sich mit einem lauten Knall wieder auf. Material und Nerven zerfetzend. Zwei Mastrutscher (nicht neu, obwohl das Segel beim Segelmacher war) sind bereits gebrochen.
Das geht so nicht. Das Groß runter zu nehmen ist ebenfalls eine schlechte Idee, wir würden im Schwell von einer Seite zur anderen rollen. Für den Blister ist der Wind noch zu kräftig. Wir haben alle Optionen durch. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als höher an den Wind zu gehen, um den Druck im Groß zu erhöhen. Das schlägt uns weit ab vom Kurs – zurzeit 50 Grad daneben. Richtung Osten daneben. Das ist nicht schön, aber auch nicht ganz falsch – immerhin bleiben noch 120 Meilen nach Ost gut zu machen. Und es soll dort mehr Wind geben, von Westen droht eine Flaute auf uns zuzukommen.
Ansonsten sind die Seebeine jetzt wieder komplett gewachsen. Die lähmende Mühsal der ersten Tage ist wie weg gewischt. Und wir hatten Besuch. Bei so viel Platz um uns herum, ist kaum zu glauben, dass ich für einen Katamaran, der uns von rechts überholt hat, den Kurs ändern musste. Wir wären sonst mit nur 20 Meter Abstand knapp aneinander vorbei geschrappt.
Tagesmeilen: 131 Meilen Bereits gesegelt: 509 Meilen Noch 767 Meilen bis Fiji, noch 375 Meilen bis Minerva Position: 29°36,2 S – 178°41,4 E
43