Die Haie von Neukaledonien

Di., 23.09.25, Neukaledonien/Îlot Maître, Tag 4.133, 29.269 sm von HH

Ein Vorteil von Nouméa: Bereits nach einer Stunde Fahrt erreicht man türkisene Lagunenträume. Wir entscheiden uns für ‚Îlot Maître‘, eine Hotelinsel. Auf der windabgewandten Seite stehen kostenlose – gut gewartete – Moorings zur Verfügung. Atanga schwebt in kristallklarem Wasser. Schildkröten tauchen zum Atmen auf. Herrlich.
Und ideal für die Aktion, die wir vor uns haben: eine Rumpfreinigung.

Die erste Nacht waren wir alleine – nur zum Wochenende wird es voll. Wir zählen bei bestem Wetter am Sonntag über fünfzig Boote. Da gibt es viel zu gucken.

Erstmal gehen wir an Land. Unüblich für eine Resort-Insel haben auch Nichtgäste Zutritt auf das Inselchen, grade 800 Meter lang, 200 Meter breit. Ich finde selten einen Ort komplett hässlich. Irgendwas Schönes findet sich immer. Aber das ‚Double Tree Hotel‘ ist schon fast abstoßend.
Wenige Gäste logieren zurzeit auf der Insel. Im Inselinneren stehen Bungalows eng an eng. Düster stehen sie unter einem dichten Baumdach. Fenster bis zum Boden sind mit Stores zugezogen. Erinnerungen an üble Ibis-Seminar-Hotels werden wach. Preisklasse 170 Euro die Nacht. Die Wasserbungalows kosten das Doppelte.
Ein Labyrinth an Holzwegen verbindet die Bungalows. Die Elektro-Service-Wagen, die von Bungalow zu Bungalow fahren, hören wir bis auf Atanga. Ratter, ratter, ratter – wie ein Zug auf alten Bahnschwellen.  ;-)

Unsympathische Häuser in leicht ungepflegter Umgebung

Auch die Wasserbungalows haben das gewisse Nichts. Das geht schöner.

Die Schönheit von ‚Maître‘ ist das umgebende Riff auf der Ostseite. Eine riesige Seegras-Fläche, nur einen halben Meter tief. Hier badet niemand. Zu flach, zu viel Gras. Selbst Schnorcheln ist im flachen Wasser schwierig.
Viel Seegras lockt viele Schildkröten an. Als wir mit dem Kajak über das Riff gleiten, poppen überall Köpfe vor uns auf. Dutzende Schildkröten. So viele haben wir noch nicht auf einem Haufen gesehen.                                    Schildkröten stehen bei Tiger- und Bullenhaien ganz oben auf der Speisenkarte.

Schildkröten – alle fünf Meter paddelt eine herum.

Die Südspitze zeigt bei Ebbe ein paar Baumgerippe.

Zwei Fischadler auf den Baumgerippe auf Maître

Vom Wasser betrachtet ist die Insel ein Träumchern.

Viele Schildkröten, viele Haie? Ob es da einen Zusammenhang gibt? In den letzten sechzig Jahren hat es 67 Hai-Angriffe auf Menschen in Neukaledonien gegeben. Im Vergleich zu Australien oder Florida ist das eine kleine Zahl – dort werden 15 bis 20 Angriffe jährlich (!) gemeldet. Zieht man die geringe Bevölkerung Neukaledoniens mit in die Betrachtung, steigt das Risiko eines Hai-Angriffs von 0,6 Fällen auf eine Million Einwohner in Australien, auf 3,9 Fälle in Neukaledonien an. :shock:

Anfang 2023 gab es eine Serie von vier Haiangriffen im Umkreis von Nouméa. Zwei waren tödlich. Die Stadtverwaltung sperrte Strände und eine blutrünstige Jagd auf Haie wurde eröffnet. Es wurden 127 Haie gefangen und getötet. 83 Tigerhaie und 44 Bullenhaie. Die Fänge fanden ausschließlich im näheren Umkreis der Küstenlinie von Nouméa statt. Wow! Was für eine Anzahl an Haien!
Eine Umweltorganisation reichte Klage gegen die Tötungen ein. Auch die Kanak beschwerten sich. Für sie gelten Haie als Totemtiere, Ahnengeister, die mit ihren Vorfahren verbunden sind.
Im Dezember 2023 stoppte ein Gericht diese Tötungs-Orgie und stufte sie als unverhältnismäßig ein. Im gleichen Monat errichtete die Stadtverwaltung einen Hai-Zaun am beliebtesten Strand von Nouméa. An allen Stränden, die wir besucht haben, stehen Warnhinweise.
Seitdem gab es keinen Unfall mehr in der Umgebung von Nouméa.

Hai-Fangzaun am Strand in Nouméa.

Überall an der Küste stehen Warnhinweise – etwas zu viele für unseren Geschmack.

Als wir an der Mooring von ‚Maître‘ festmachen, suche ich im Internet nach ein paar Informationen über die Insel. Gleich der erste Bericht erzählt von einem tödlichen Haiangriff 2021. Auf einen Mann, der um sein Boot herum schwamm.

So ist es um unsere Informationen bestellt, als wir unseren Bewuchs am Rumpf im klaren Wasser betrachten. Wir erkennen viel Schleim, Schwämme und ein paar korallenartige Gewächse. Zum Glück wenig hartes Zeug, wie Seepocken.
Wir sind zufrieden mit der Arbeit von unserem Coppercoat.

Dennoch. Das Zeug muss runter. Neuseeland erwartet ein sauberes Unterwasserschiff. Meistens taucht Achim alleine nach dem Rumpf. Aber die Hai-Informationen stecken ihm im Hinterkopf. „Wäre doch schön, wenn du auf mich aufpasst.“
Ich soll also in die Rolle von Ocean Ramsey übernehmen? Jener jungen Frau, die in ihren Videos zeigt, dass Haie ungefährlich sind? Dass man sich nur senkrecht ins Wasser stellen braucht? Den Hai im Visier? Und wenn er auf einen zuschwimmt, ihn mit beiden Händen freundlich umleitet? Diese Rolle bekomme ich? Prost Mahlzeit.

Ocean Ramsey mit Tigerhai – das könnte ich sein …

Achim macht unser Tauchzeug fertig. Wir haben beim Tauchen keine Angst vor Haien. Eigentlich. Trifft man doch meistens auf die harmlosen Riffhaie.
Ungeigentlich denken wir natürlich immer mal an einen neugierigen Einzelgänger. Und ein gelegentlicher Schulterblick kann ja nicht schaden. Ist auch der heiße Tipp von Ocean Ramsey. Haie immer im Auge behalten. Tiger greifen von hinten an.

Meine Rolle als Aufpasserin zerstört Achim schon an der Wasseroberfläche: „Hier sind deine Bürste und dein Abrazzo-Schwamm. Ich kümmere mich um Propeller und Welle.“
Okay. Wir tauchen ab. Unter Atanga frisst eine Schildkröte am Grund. Ein leckerer Haibissen. Aber wir sind abgelenkt. Durch die lange Standzeit sind die O-Ringe vom Jacket-Inflator eingetrocknet. Das Jacket bläst sich langsam, aber kontinuierlich wieder auf. Vernünftig tarieren: unmöglich. Dabei noch den Schleim vom Rumpf bürsten, da bleiben keine Gedanken an Haie mehr übrig.

Wir brauchen zwei Tauchdurchgänge, um den Rumpf zu säubern. Am Ende ist das Gefährlichste, dass man sich die Hand aufschneidet. Und eine kleine Seeschlange, die neben uns auftaucht, um Luft zu holen.
Zu gerne wüsste ich, ob, und wenn ja, wie nah, wie viele Haie in unserer Nähe waren. Aber vielleicht tauchen wir dann nie wieder. ;-)

Seeschlange – noch ohne eine ausgeprägte Bänderung. Erste Anzeichen vom schwarz-weißen Muster sind erkennbar. Diese haben wir in der Marina gesehen. Verwechslung mit einem Fisch ist ausgeschlossen, da sie regelmäßig zum Atmen an die Oberfläche kommt. Seeschlangen sind giftig, haben aber so ein kleines Maul, dass sie Menschen fast nicht beißen können.

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Karneval – Farben und Lichter

Sa., 13.09.25, Neukaledonien/Nouméa, Tag 4.123, 29.265 sm von HH

Jawohl, in Nouméa findet Karneval im September statt!
Da die Veranstaltung als Stadtfest ins Leben gerufen wurde, ist er nicht an die christliche Fastenzeit gebunden. Politische Satire fehlt komplett. Der Fokus liegt auf Familienfest – bunt, tänzerisch, mit Masken und geschmückten Wagen. Dieses Jahr – erst zum 36. Mal – unter dem Motto ‚Farben und Lichter‘.

Wir müssen drei Kilometer auf die andere Seite von Nouméa laufen. Die Hauptstraße direkt am Wasser ist gesperrt, erste Umzugswagen stehen bereit. Aufgebaute Hüpfburgen und Rutschen sind von Kindern bereits in Beschlag genommen.

Wir erreichen noch im Hellen die Festmeile – gerade rechtzeitig für die Pressefotos.

Ein Inserat hatte uns ‚Fressbuden‘ versprochen. Darauf haben wir uns verlassen und sind ohne Abendessen losgezogen. Zum Glück sind wir früh da. Mama Angélique nebst Tochter haben ein halbes Dutzend Quiche im Angebot. Nebenan verkauft ein Mann Hamburger und Wraps. Bei erwarteten 25.000 Besuchern dürfte die Ware schnell vergriffen sein. Wir finden noch einen asiatischen Stand. Die ersten Schalen sind schon ausverkauft. Der Andrang groß. Hier müssen heute einige hungrig ins Bett.

Die Buden sind eher privater Kuchenverkauf. Die Quiche sehr lecker.

Pünktlich um 18:00 Uhr beginnt der Umzug. Miss Neukaledonien und ihre Stellvertreterin führen den Zug an. Alles ist herrlich imperfekt und einfach gehalten. Die örtlichen Sport- und Tanzgruppen, Kulturvereine und Schulen richten die Wagen aus. Politisches ist unerwünscht. Die Stadtverwaltung finanziert den Karneval. Das verbindende Element steht im Vordergrund: „ein sicherer Raum für Freude“.
Und die Freude der Gruppen an ihrem Tanz ist übergeschwappt. Auf das Publikum und auf uns. Vielleicht grade, weil es nicht vollkommen war.

Zwei Drag-Queens begleiten den Wagen der Behinderten-Gruppe.

Jugendliche und Kinder im Rollstuhl werden von Fahrrädern geschoben oder gezogen – die Gruppe bekommt den größten Beifall

Die Farben der karibischen Überseegebiete sind ebenfalls vertreten.

Das Motto – Farben und Lichter

Licht ist mit LED-Ketten leicht umzusetzen

Der aufwendigste Wagen

mit Taube auf Schildkröte

Die örtliche Pole-Dance-Gruppe: Pinky Pole MC.

Und natürlich fehlt auch eine federüberladene Samba-Schule nicht.

In Brasilen dürfen zum Karneval andere Temperaturen herrschen – wir haben trotz Kapuzenpulli und langer Hosen am Ende der Show kalte Nasen.

Samba

 

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Kulturzentrum Tjibaou

Di., 09.09.25, Neukaledonien/Nouméa, Tag 4.119, 29.265 sm von HH

Die am meisten beworbene Sehenswürdigkeit in Nouméa liegt sieben Kilometer von der Marina entfernt. Wir mieten uns ein Auto. Das ist zwar teurer als Taxi fahren, hat aber den Charme, dass wir anschließend noch einkaufen fahren können.

Auf dem parkähnlichen Gelände fallen sofort zehn Pavillons ins Auge. Vor dreißig Jahren vom italienischen Architekten Renzo Piano entworfen, sollen sie die traditionelle Form der Kanak-Wohnhütten imitieren. Architektonisch ansprechend; stehen sie in einer lockeren Reihe zwischen hochgewachsenen Araukarien.

Ansprechende Architektur

Bis 28 Meter hohe Pavillons – zehn Stück

aufwendig in Material und Verarbeitung

Im Inneren der Rondelle finden wir zeitgenössische Kunst der Kanak. Erstaunlich für ein Kulturzentrum. Wir hatten Antikes erwartet.
Jean-Marie Tjibaou, der Gründer des Kulturzentrums und ehemaliger Anführer einer Unabhängigkeitsbewegung der Kanak, wollte die Kultur der Kanak in die Zukunft gerichtet sehen. Der Verzicht auf antike Kunstwerke hat noch einen praktischen Grund: Die Kanak lassen sich von Artefakten ihrer Ahnen abschrecken, da sie Angst haben, bösen Geistern auf einer Art Friedhof zu begegnen. Neben wechselnden Ausstellungen finden Konzerte und Konferenzen in den einzelnen Pavillons statt.

Viel Antikes ist nicht zu sehen in Tjibaou.

 

Zeitgenössisches hat Vorrang. Eine Künstlerin hat 12 jährige Kinder Ausstellungsstücke zeichnen lassen.

 

Zeitgenössische Kunst – witzig – eine lebensgroßes Rindvieh aus plattgewalzten Corned Beef Dosen gebaut.

 

Der Bau des Kulturzentrums Tjibaou wurde von Frankreich finanziert. War trotzdem umstritten, da die Baukosten in einem schlechten Verhältnis zu den lokalen Mitteln standen. Es gibt Schätzungen, dass der Bau zwischen 30 und 40 Millionen Euro betrug – das entspricht 85 Millionen heute.
Das Holz für die aufwendigen Konstruktionen stammt aus Afrika. Iroko-Holz, was besonders dauerhaft im tropischen Klima sein soll. Die Hüllen sind im Inneren mit steuerbaren Lüftungslamellen ausgestattet.

Die Latten der Pavillons sind aufwendig gearbeitet – das verrottbare Holz zeigt erste Ermüdungserscheinungen.

 

Wir sind fast alleine auf dem großen Gelände. Nur eine kleine Armee an Gärtnern, Putzleuten und anderem Personal ist unterwegs, um das Kulturzentrum in Schuss zu halten Die Frau an der Kasse erzählt, dass keine Touristen mehr kommen. Seit der Bus nicht mehr fährt, sind es noch weniger geworden.

Nachbau eines Wohnhaus der Kanak – im Hintergrund die Pavillons.

Hoch gebaute Hütte des Häuptlings

Eingang der Häuptlings-Hütte

Nach dem Besuch haben wir noch Zeit, mit dem Auto weiter Richtung Norden zu fahren. Der größte Supermarkt Nouméas ist unser Ziel. Der ist abgebrannt. Wir drehen um und suchen uns einen anderen Supermarkt. Immer wieder kommen wir an niedergebrannten Geschäften, Autohäusern und Lagerhallen vorbei. Während der Unruhen vor einem Jahr brannten 200 Geschäfte ab, 14 Menschen kamen ums Leben. Hintergrund der Aufstände war eine Reform des Wahlrechts. Viele nicht indigenen Bewohner hätten bei den Provinzwahlen teilnehmen dürfen. Kanaks sahen darin eine Schwächung ihrer Einflussmöglichkeiten. Die Aufstände sind nach einigen Monaten niedergelegt worden. Eine Entscheidung über das Wahlrecht wurde ausgesetzt.

„Unter dem Kessel brodelt es“, beschreibt unser französischer Liegenachbar die Situation. Noch immer sind im Umland von Nouméa Straßensperren mit Militär besetzt. Vor einem Monat kamen im Bougival-Abkommen die Vorschläge, dass Neukaledonien ein Staat innerhalb der Französischen Republik werden soll. Doppelte Staatsbürgerschaften und mehr Autonomie für die Kanak.
Die führende Unabhängigkeitsbewegung lehnt diese Vorschläge ab. Das Abkommen enthält keine Option einer Volksabstimmung über eine komplette Unabhängigkeit. Außerdem muss das Referendum in Frankreich noch verfassungsrechtliche Schritte durchlaufen. Hat Frankreich noch ein funktionierendes Parlament? Der Pleitegeier zieht seine Kreise. Frankreich dürfte aktuell andere Sorgen haben, als sich um die 260.000 Einwohner zu kümmern.

Wasserwerfer der Gendarmerie an offenen, aber besetzten Straßensperrpunkten. Wir wurden nicht kontrolliert.

Sandsäcke und schusssichere Westen machen ein komisches Gefühl.

Es bleibt angespannt in Neukaledonien. Australien hat entsprechend seine Reisewarnung für Neukaledonien angehoben auf „erhöhte Vorsicht walten lassen“. Amerikanische Segler, die wir gesprochen haben, verfolgen die Strategie, statt ‚bonjour‘ lieber ‚hello‘ zur Begrüßung zu sagen. Damit man sie nicht für Franzosen hält.

Wir fühlen uns wohl im Ort. Die Leute sind freundlich und hilfsbereit. Eine erhöhte Polizeipräsenz auf dem Markt und in der Stadt gibt Sicherheit und sorgt gleichzeitig für Bedenken. Wir haben uns gegen eine geplante, dreitägige Tour in den Norden des Landes entschieden. Nicht nur der brodelnde Kessel, sondern auch eine verrückte Preispolitik bei der Autovermietung treibt uns dazu. Bis zu 250 Euro für Reinigungskosten – innen und außen – stehen im Kleingedruckten, wenn das Auto nicht sauber ist. Was bedeutet ‚sauber‘, fragen wir nach. Schulterzucken: „Es kommt darauf an.“  :roll:

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Eine Maschine in Menschengestalt

05.09.25, Neukaledonien/Nouméa, Tag 4.115, 29.265 sm von HH

Unser Dinghycover ist neun Jahre alt. Unerfahren in Näharbeiten von uns in Französisch Guyana zusammengeklöppelt. Stammleser erinnern sich. ;-)
Zwei Jahre später haben wir das Cover für ein neues Dinghy angepasst. Schöner ist es davon nicht geworden, da Aussparungen für Griffe versetzt werden mussten. Außerdem haben wir mehrfach die Nähte nachgenäht und es mit Flicken versehen. Besonders im vorderen Bereich, wo sich die Pelle an rauen Mauern aufschubbert.

Nicht ganz faltenfrei – aber seit neun Jahren sehr funktional. Ein nicht perfektes Cover ist der beste Diebstahlschutz. ;-)

Während der Standzeit in Australien waren Dinghy und Cover abgedeckt, um es vor UV-Strahlen zu schützen. Und trotzdem. Deutlich ist ein Verfall zu erkennen, hier und da kleine Risse. Geflissentlich haben wir das ignoriert, da ich vor drei Monaten noch nicht nähen konnte.

Seitdem haben wir das Dinghy wenig benutzt, dennoch sind aus kleinen Rissen große Risse geworden. Der Stoff ist dünn wie Pergament. Lohnt es sich, noch Arbeit und Stoff (davon haben wir einen guten Vorrat auf Rolle dabei) in den Schrotthaufen zu stecken?

 

 

Uns hier ein Cover nähen zu lassen, die Idee verwerfen wir bei den Puff-Preisen, die in Neukaledonien für alles aufgerufen werden. Wir könnten bis Neuseeland warten – aus Erfahrung wissen wir, dass Segelmacher und Canvas-Näher mehr als gut gebucht sind. Falls wir niemanden finden, müssen wir sowieso selber ran.
Dann können wir das Projekt auch sofort angehen.

Wir entscheiden uns dafür, das Cover noch einmal zu flicken und kein komplett neues zu nähen. Eine Entscheidung, die sich ein paar Stunden später als weise herausstellen soll.
Die Nähmaschine schnurrt wie ein Kätzchen. Ich komme gut voran. Ungefähr ein Drittel ist repariert, da passiert es. Der Antriebsriemen für den Motor reißt. Das war’s. Die Maschine macht keinen Muck mehr. Unsere gute Pfaff 260. Ein unverwüstliches Teil, mindestens fünfzig Jahre alt. Generalüberholt vor Antritt der Reise gekauft.

Altmodischer Riemen aus Gewebeband mit Metallzähnen. Gibt es so was überhaupt noch zu kaufen? Bei modernen Maschinen werden die aus Gummi gefertigt – ähnlich wie ein Zahnriemen. Ein Versuch, den Riemen zu nähen, war erfolglos.

Am nächsten Tag besuchen wir die zwei Nähmaschinen-Reparaturwerkstätten, die es in Nouméa gibt. ‚SOS machine de coudre‘ wird von einem recht betagten Chinesen betrieben. Der Herr spricht gut Englisch, schüttelt aber den Kopf. Nein, so einen Riemen habe er seit Jahren nicht gesehen. Und er kann ihn auch nicht für uns bestellen. Dann schwindelt er noch ein wenig, dass es keine weitere Werkstatt in Nouméa gebe, und wenn er so einen Riemen nicht hat, dann hat ihn keiner.

Beim Chinesen werden Maschinen repariert und Auftragsarbeiten genäht.

Wir laufen zum zweiten Laden: ‚Clinique de la machine‘. Der Herr wirft kurz einen Blick auf den Riemen in der Plastiktüte, geht zu einem Schrank und hält uns triumphierend einen Riemen unter die Nase. Ich kann unser Glück nicht fassen.
Aber Achim, die alte Spaßbremse, hat sich vorher informiert und weiß, dass in der Pfaff 260 zwei verschiedene Riemen verbaut sind. Wir brauchen einen mit 76 Zähnen. Auch in der ‚Clinique‘ wird geschwindelt. „Der Riemen passt, die sind identisch. Könnt ihr kaufen.“ Wir kaufen nicht, weil der angebotene Riemen nur 72 Zähne hat.
Schade, wir waren so nah dran.

Wir trotteln unverrichteter Dinge nach Hause. Es gäbe genau eine neue Maschine in der Clinique zu kaufen. Für Canvas geeignet, aber nur von mittelmäßiger Qualität, wie das Internet verrät. Dafür doppelt so teuer wie in Neuseeland. Hm, nein dazu können wir uns nicht durchringen, mal eben 550 Euro in etwas zu investieren, was wir nicht wollen.

Das angefangene Cover schaut uns anklagend an. Da hat Achim die Idee, dass er ja das Antriebrad drehen könnte. Der Maschine sei es egal, wie die Nadel hoch und runter bewegt wird.
Wir fangen an. Erstmal zur Probe bei einem Flicken den Saum umnähen. Schnell ist meine neue Maschine nicht. :mrgreen: Los- und Stopp-Kommandos klappen anfangs auch nicht reibungslos. Einen Flicken später – ein Meter fünfzig Nahtlänge – haben wir uns aneinander gewöhnt.
Meine Maschine in Menschengestalt schwächelt. Die Hand tut ihr weh. Sie jammert. Jetzt schmerzt auch das Handgelenk. Akzeptiert, mein neuer Antrieb ist ja noch mal zehn Jahre älter als das Original. Bohrmaschine und Kurbel-Ideen zum Antrieb kommen auf den Plan. Wegen Unmachbarkeit verwirft Achim diese Gedanken wieder. Es bleibt beim Handbetrieb.
Vier Vormittage brauchen wir, dann sind die ärgsten Stellen geflickt. Das Dinghy ist bereit für einen zweiten Einsatz in der Lagune.

Die Maschine in Menschengestalt – ein MS und genug Watt für viele Flicken.

Einen Riemen in Deutschland zu bestellen, ist gar kein Problem. Der ist bereits auf dem Weg hierher und sollte in zwei, drei Wochen ankommen.

Flickenteppich – gut zuerkennen noch die alten Aussparungen für die Griffe vom ersten Dinghy.

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Ein Kompass im Epoxybett – eine gewagte Reparatur

30.08.25, Neukaledonien/Nouméa, Tag 4.109, 29.265 sm von HH

Das Innenleben unseres Kompasses ist auf dem Weg von Australien kaputt gebrochen. Die Kompassrose hing auf halb acht und etliche Kleinteile klöderten unter der Glaskuppel. Ursprünglich war der Kompass mit Dämpfungsflüssigkeit gefüllt. Die ist schon seit Generationen verdunstet. Somit ist zu vermuten, dass der Kompass seit dem Stapellauf von Atanga – April 1989 – noch nie geöffnet wurde.

Alles geht kaputt auf Langfahrt. Aber doch nicht ein Kompass. Made in Germany. Ein Cassens & Plath.
Unser hat nun Schieflage. Ob man das reparieren kann?

 

Entsprechend verhalten sich die Schrauben. Achim rückt denen mit diversen Schmier- und Hilfsmitteln aufs Gewinde. Ohne Erfolg. Am Ende hilft nur Aufbohren. Das Deckglas bekommt dabei auch ein paar Riefen verpasst, bleibt aber heil.

Die Kompassrose, Kardanringe, Magnete und Halterungen ergeben ein hübsches Puzzle. Der innere Kunststoffring zum Halten der Rose ist in mehrere Teile zerbrochen. Das sieht nach Totalschaden aus!
Eine Mail an Cassens und Plath bringt die Erleuchtung, dass dieser Kompass nicht mehr hergestellt wird. „Aber es soll eine Firma geben, die Kompasse repariert.“
Ein Blick ins Sortiment von Cassens und Plath verdirbt einem die gute Laune. Ein neuer Kompass liegt bei knapp eintausend Euro.

Ein hübsches Puzzle – links die vier Teile vom inneren kardanischen Ring.

Obwohl Kompasse aus der Mode gekommen sind, weil Elektronik den Kurs viel präziser anzeigt, entspricht es guter Seemannschaft, einen funktionierenden Kompass an Bord zu haben. Fällt die Elektronik aus – Blitzschlag  – findet man trotzdem nach Hause zurück.

Achim nimmt sich das Puzzle vor.
Der zerbrochene Kunststoffring ist das größte Problem. Ein Ring bedient die Schwingung der Rose auf der Längsachse, der andere die Querachse. Gebrochen ist der innere Ring mit nadeldünnen Stiften, die in einen zweiten Ring gehängt werden, der im Kompass-Gehäuse steckt. Die vier Kunststoff-Teile mit Klebstoff zusammenzufügen, scheitert. Die Flächen sind zu filigran, um Haftung zu erzeugen.

Damit die Ringe gut schwingen, sind sie aus gelochtem Kunststoff gefertigt, um möglichst leicht zu sein. Den Gewichtsvorteil möchte Achim nicht zerstören. Also tränkt er einen Wollfaden in Epoxy und fügt mit diesem klebrigen Faden die vier Teile des Ringes wieder zusammen. Wider Erwarten hält das gut.

Der mit einem Epoxy-Wollfaden zusammengefügte kardanische Ring.

Die Kompassrose selber – mit ihren Magneten auf der Unterseite – balanciert auf einer Spitze. Die Spitze ist nötig, damit sich die Rose möglichst reibungsfrei drehen kann. Damit die Kompassrose bei Seegang nicht von der Nadel springt, ist die Nadel von einer vierblättrigen „Rosette“ umgeben.
Zwei dieser Blätter sind ebenfalls abgebrochen. Auch die klebt Achim mit Epoxy fest. Hier ist ‚nicht überschmieren‘ wichtig. Die Kompassrose soll beim Tanzen möglichst wenig die vier Blätter berühren. Sonst würde die Rose nicht rund laufen und man navigiert besser nach Sonnenuntergang.

Die Magneten kleben wieder unter der Kompassrose.

Zwei der vier Blütenblätter waren abgebrochen – Epoxy sei Dank.

Überflüssiges Epoxy wird in der Küchenspüle mit dem Dremel abgeschliffen.

Ein erster Testlauf in der Lagune ist vielversprechend. Der Kompass macht, was er soll: Er zeigt nach Norden. Nur mit der Längsachsen-Bewegung ist Achim noch nicht ganz zufrieden. Zu träge erscheinen ihm die Schwingungen.
Er nimmt noch einmal das Deckglas ab, um die kurzen, nadelfeinen Steckverbindungen an den kardanischen Ringen etwas zu bewegen. Knack. Das, was bislang noch nicht gebrochen war, ist jetzt kaputt. :mrgreen:

Am äußeren Ring ist eine Wand des Aufnahmelochs der nadeldünnen Aufhänger des inneren Rings abgebrochen. Ein neues Loch bastelt Achim wieder aus getränktem Epoxy-Wollfaden (was Blöderes sei ihm nicht eingefallen, sagt er). In die reparierte Stelle bohrt er ein neues, einen Millimeter starkes Loch. Noch einmal schleifen. Fertig.

Was für eine coole Reparatur. Der Bastel-Held auf Atanga. Filigranes ist nicht sein Lieblings-Spiel. Zu ungeduldig er ist. Schon zu Kinderzeiten waren, nach eigenen Angaben, seine geklebten Falla-Häuschen mit Uhu verschmiert und die unordentlichsten neben der Modelleisenbahn.

Warum der Kompass auf einer Seegangs armen Strecke so zerbrochen ist, können wir uns nicht erklären. Es scheint, dass der Kunststoff vom Kompass am Ende seiner Lebenszeit angekommen ist. Die Reparatur funktioniert zunächst einmal. Ob sie starken Seegang überlebt, muss noch bewiesen werden. Wir brauchen wohl mittelfristig einen neuen Kompass.

Hatte schon mal jemand einen ähnlichen Kompass-Verfall? Und habt Ihr ihn auch reparieren können? Und wie?

Alles läuft wieder – Atanga auf dem richtigen Kurs. ;-)

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