Sa.,30.Okt.2021, Pazifik, Tag 2707, 23.815 sm von HH
Wir segeln nachts über die Datumsgrenze. Somit überspringen wir in unserem Leben Freitag, den 29. Oktober 2021. Ausgelöscht, nicht vorhanden, gestrichen. Den Verlust von ganzen Tagen kennt man sonst eigentlich nur von wüsten Saufgelagen. So eine Löschung ganzer Tage ist genau das Richtige für Geburtstagsmuffel oder Hochzeitstags-Geschenke-Vergesser. Richtig abgepasst, entledigt man sich hier seiner kleinen Probleme.
Gleich den ersten Weltumseglern der Weltgeschichte – Magellan und seinen Mannen – war 1822 aufgefallen, als sie von ihrer Umrundung der Erde zurück kehrten, hier stimmt etwas nicht. Sorgsam wurde täglich auf der ‚Victoria‘ Logbuch geführt. Aber das Schiffdatum hinkte um einen Tag dem Datum auf den Kap Verden hinterher. Die Erkenntnis, dass die Welt eine Datumsgrenze benötigt, war bestätigt. Erste Gelehrte hatten bereits im 14. Jahrhundert diesen Verdacht.
Die Datumsgrenze könnte auf jedem beliebigen Längengrad verlaufen. Aber man entschied sich für den 180ten Längengrad, da dieser mitten im Pazifik liegt und keine wesentliche Landmasse zerschneidet. Im Laufe der letzten 150 Jahre bekam diese gerade Linie allerdings einige Zacken. Inselstaaten, die zufällig durch die Datumsgrenze geteilt wurden, passten ihre Grenze an. Auch politische Motive führten zu Verschiebungen. Samoa hatte seine Datumsgrenze schon mal an Amerika angepasst, läuft aktuell aber unter dem Datum Neuseelands. Kiribati, ein Inselstaat, dessen Eilande sich auf 5000 Kilometer in Ost-West-Richtung erstrecken, war jahrelang zweigeteilt. Ohne Probleme kamen die verstreuten lebenden Menschen damit klar. Aber 1995 entschied sich Kiribati plötzlich für das westliche Datum. Die Pazifikstaaten-Nachbarn hatten Kiribati unter Verdacht, dass sie die Entscheidung nur trafen, damit sie als erste den Jahreswechsel 2000 feiern konnten. Eine entsprechende Werbetrommel für Silvester-Tourismus zum Millennium verhärtete diese Vermutung. Neuseeland hat seine Datumsgrenze auf 172 Grad West, weil ein paar Inseln östlich von Neuseeland mit ins Mutterland-Datum einbezogen werden sollen.
Bei unseren Gesprächen über den verlorenen Tag fällt uns auf, dass Met-Bob (als Neuseeländer) mit dem 4.November einen andern 4.November gemeint haben könnte als wir. Sehr wahrscheinlich sogar. Das hätte von Anfang an fürs Rennen nach Opus bedeutet, dass es nicht zu schaffen gewesen wäre. Umso besser, dass die Karten bereits wieder neu gemischt sind. Seit letzter Nacht nimmt der Wind kontinuierlich ab. Heute Vormittag war Ende. Anderthalb Stunden lief der Motor, jetzt haben wir wieder knapp vier Windstärken. Das soll die nächsten 24 Stunden so bleiben.
Gemächlich geht es mit 4,5 Knoten voran. Aus fünf Tagen Ankunft sind aktuell neun Tage geworden. Es ist tatsächlich so, dass der viele Wind allen etwas mehr abverlangt. Atangas Genua hat einen Riss und ist ab sofort nicht mehr zu nutzen. Die Fock muss es jetzt bis zum Ende schaffen. Und auch uns stecken die ruppigen Tage in den Knochen. Wir genießen gerade die Ruhe und das aufrecht segelnde Schiff. Ohne Festhalten vorwärts kommen. Eine Wohltat. Andererseits macht das schnelle Segeln auch Spaß. Die Meilen zählen nur so runter. Auch schön. Die Vorhersage für unsere weitere Strecke ist konfus. Eine Front soll uns in dreihundert Meilen erreichen. Was daraus wird, ist noch nicht abzusehen. Wir halten weiter Kurs auf Neuseeland …
Essen: Wraps mit den Resten vom Rindfleisch, abends gibt es Hühnersuppe (fertig eingekocht – das Rindfleisch z.B. koche ich immer „nackt“ ein – nur abgebraten, gesalzen und gepfeffert und erst unterwegs mit frischem oder Dosengemüse zu einem „Eintopf“ weiter verarbeitet) mit Mais, Ingwer und Sojasauce auf ‚asiatisch getrimmt.
Tagesmeilen – 108 – Restmeilen direkter Kurs: 809