Do., 23.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3190, 24.696 sm von HH
Normalerweise braucht es eine Elefanten-Herde, um mich nachts zu wecken. In dieser Nacht ist es anders – ich höre ein leises Klingeln. Die Nacht ist windstill, die Luke über meinem Bett steht weit offen. Außer dem Klingeln ist nichts zu hören. Ich lausche: da wieder! Das müssen die Ketten der Ständer sein in denen Atanga steht, erkenne ich. Was mag in drei Metern Höhe mit den Ketten rasseln? Mein schlaftrunkenes Hirn versucht eine Lösung zu finden. Eine Katze? Dann höre ich Schritte an Deck. Tapp, tapp, tapp. Zu laut für eine Katze. Ich lausche und starre in die Dunkelheit. Über mir erscheint ein Gesicht und schaut frech zu mir herunter. Ich starre zurück. Ohne Brille kann ich nicht wirklich erkennen, wer da über mir hockt.
Höchste Zeit den Käpt’n zu wecken. Ich rüttel ihn wach. Das Gesicht an der Luke ist verschwunden. „Da ist was an Deck“, flüstere ich Achim zu. „Ein Tier.“ Mein Jäger ist sofort auf den Beinen. 30 Tausend Jahre Evolution seit Neandertal haben keinen Schaden angerichtet. Wiesel schnell schaltet Achim auf Jagdmodus und die Decksbeleuchtung an. Er springt ins Cockpit. „Da ist nichts. Hast du geträumt?“ Er schleicht ums Cockpit herum. „Doch, hier sitzt was. Ich glaube das ist ein Possum.“ Der freche Kerl lässt sich gar nicht stören. Ich kann auch einen Blick auf ihn werfen und sogar gemütlich den Fotoapparat holen. Selbst der Blitz irritiert unser Possum kein bisschen. Erst als wir ihm von zwei Seiten auf den Pelz rücken, klettert er an den Ketten so herunter, wie er gekommen ist.
Der Fuchskusu, in Australien und Neuseeland Possum genannt, wird knapp so groß wie eine Katze und ist Neuseelands größter Schädling. Das Beuteltier mit wertvollem Pelz stammt ursprünglich aus Tasmanien. Vor hundert Jahren wurden 200 Tiere für die Pelzzucht nach Neuseeland gebracht und die haben sich hier ungehemmt vermehrt. Ohne natürliche Feinde ist die Population auf 40 bis 70 Millionen (!) Exemplare angewachsen.
Diese verwüsten nicht nur Gärten und Felder, sie fressen wortwörtlich ganze Wälder kahl. Bevorzugte Nahrung sind Blätter und Knospen.
Seit den 1990er Jahren rückt man den Possums mit Fallen auf den Pelz. Unterwegs auf unseren Wanderungen haben wir viele Fallen gesehen. Häufig sind die erst nach stundenlangem Marsch zu erreichen. In keiner Falle haben wir ein erschlagenes Possum gefunden.
Dafür sieht man umso mehr überfahrene Tiere. Die nachtaktiven Fuchskusus scheinen auf Autos so zu reagieren, wie auf uns an Deck. Nämlich gar nicht. Somit sind in einigen Gegenden die Straßenränder förmlich übersät mit Kadavern. Wer für Naturschutz ist in Neuseeland, bremst nicht für Tiere.
Zusätzlich gibt es noch Fallen mit Giftködern. Die Possums auszurotten ist erklärtes Ziel der Naturschutz-Behörde.
Das Fell der Fuchskusu ist außerordentlich weich. Da aber weltweit die Nachfrage nach Pelz zurück gegangen ist, kam in Neuseeland der Handel fast zum Erliegen. Vor knapp zwanzig Jahren fand man jedoch ein Verfahren, um aus den Haaren des Possums Wolle zu spinnen. Seitdem lohnt sich die Jagd nach dem Schädling wieder.
Putzige Tiere – nur zur falschen Zeit am falschen Ort. In Australien ist das Possum übrigens geschützt. Durch Fress-Feinde, wie Schlangen, Eulen und Dingos hält sich ihr Bestand auf ein natürliches Maß.
„Wer für Naturschutz ist in Neuseeland, bremst nicht für Tiere.“
Das ist in dieser Verallgemeinerung gemein. Bremst nicht für Possums, das stimmt sicher und lässt sich auch rechfertigen.
Das Possum ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert ökologische Zusammenhänge sein können. Es ist ja nicht nur so, dass die Possums sich mangels Fressfeinden ungehindert vermehren, sondern sie stören die absolut empfindliche Ökologie in Neuseeland massiv. Wir hatten auf unserer Kepler-Track-Wanderung in Moturau eine heiße Diskussion mit „aber das sind doch nur niedliche Pflanzenfresser“-Vertretern. Stimmt (in Maßen wohl auch Jungvögel und Eier zum Nachtisch), aber der ökologische Schaden, den sie mit dem massiven Abfressen von Jungpflanzen bis im wahrsten Sinne hinauf in die Baumkronen anrichten, ist nicht nur eine Primärwirkung, sondern hat auch eine Sekundärwirkung auf die gesamte Nahrungskette, inklusive Vogel- und Insektenwelt, und das verträgt Neuseeland einfach nicht. Obenrein verbreiten sie dank ihrer Überpopulation Tierkrankheiten in unverhältnismäßigem Maße.
Anekdote zum Abschluss der Diskussion – wir hatten eine sehr nette Hüttenwirtin, die in ihrem Vortrag einen roll-call für Australier veranstaltete. Es waren 14 – die Aufforderung war, dass jeder von ihnen zwei Possums in der Nacht fängt und mit nach Hause nimmt, wenn man/frau das Töten der „cuties“ abscheulich findet.
Natürlich ist das Beispiel in seiner Härte gemein.
Ich finde die Possums per se total putzig. Unbestritten isr der Schaden im Land und somit wird kaum ein Kiwi für diese Tiere in die Eisen gehen. Ist das gemein? Wer mag darüber richten?
Die hier fremden Tiere richten großen Schaden an, das Individuum ist liebenswert.
Ein weltkteislauf …
So possierlich! Und das kriegt in Neuseeland einen ganz anderen Klang.
Bitte verstehen Sie mich recht falsch
Ich meinte damit, dass es so klingt als seien die Neuseeländer gegenüber allen Tieren fies und mordlustig, kurz: das war gemein den Kiwis gegenüber.
Das Putzige ist ja, dass Opossums in Australien geschützt sind.
Übrigens gibt es eine Parallele dazu in Patagonien: der Biber macht gewaltige Waldschäden. Auch eine fehlgeschlagene Pelzproduktion (Patagonien ist zu „warm“, um den Bibern ein dickes Geld bringendes Fell waxhsen zu lassen. Die Biber finden das Klima klasse…)
verstanden!