Mi./Do., 16./17.Mrz.16, Küste vor Franz. Guyana, Tag 655/6, 5.583 sm von HH
…die ich für ein Piraten-Schiff halte, treiben mir den Angst-Schweiß auf die Stirn.
90 sm sind es von den Teufelsinsel zur Mündung vom Maroni.
Da wir mit dem Morgen-Niedrigwasser dort ankommen wollen, fällt der größte Teil der Strecke in die Nacht.
Wir halten uns im Abstand von ca. 15 sm von der Küste. Flach ist es hier, keine 20 Meter.
Es beginnt perfekt. So muss Gott segeln gemeint haben: Windstärke vier, glattes Meer, kaum Schiffsbewegung, warm ohne Schwitzen, gekrönt von Schäfchen-Wolken am Himmel.
Beim hissen des Großsegels fällt ins ein Kokon aufs Deck. Die Wespe, der wir den Zugang zur Cockpit-Klappe verwehrt haben, hat sich ein neues Heim für ihre Kinder gesucht. Zehn Larven sitzen in ihrem Mangroven-Schlamm-Hülle und scheinen kurz vor dem Schlüpfen gestanden zu haben.
Nun ist alles zerbrochen und geht über Bord.
- Larven aus dem Großsegel
Wir gehen mit Vollzeug an den Start und sind, dank des geschenkten Stroms, mit sieben, acht Knoten flott unterwegs.
Ausgerechnet, wenn alles zusammenpasst, können wir diese Geschwindigkeit nicht gebrauchen. Wir kämen noch im Dunkeln am Maroni an.
Mit Einbruch der Dämmerung gehen wir im Gross ins dritte Reff und machen die Genua winzig klein. Jetzt passt es, unsere Geschwindigkeit reduziert sich auf fünf Knoten.
Sturmbesegelung bei Windstärke drei, verrückte Segelei.
Dank des Halbmondes ist es nicht stockdunkel. Ich übernehme die Wache bis Mitternacht.
Wache bekommt Küstennah eine neue Bedeutung.
Viele Fischer sind unterwegs. AIS haben sie nicht, aber wir sehen ihre Lichter.
Also Augen auf. Nur alle 15 Minuten ein Rundblick ist zu wenig.
Kurz vor 23:00 Uhr passiert es: Steuerbord voraus sehe ich plötzlich einen Schatten.
Es ist ein Boot.
Eines von diesen offenen Fischer-Holzbooten, zehn Meter lang.
Wegen der ganzen blöden Geschichten, die man so hört, denke ich sofort: „Piraten!“
Ich ducke mich hinter die Sprayhood und wünschte, ich hätte statt der Rettungsweste eine kugelsichere Weste.
Was besseres als dieser Wunsch fällt mir nicht ein. Wir hatten im Vorwege nicht besprochen, was man bei Piraten-Verdacht unternimmt.
Noch bevor ich nach dem Käpt’n brülle, fällt mir auf, dass ich kein Motorengeräusch von dem gegnerischen Boot höre.
Was sind das denn für Piraten, die uns rudernd überfallen?
Du meine Güte, was ist das für ein Boot??
Adrenalin pumpt durch meinen Körper, ich habe echte Angst und bekomm die Flatter hinter meiner Sprayhood.
Dann realisiere ich, der Kahn liegt da vor Anker oder treibt.
Unbeleuchtet! Unglaublich.
Wahrscheinlich pennen die Fischer während sie warten, dass sich die Reusen oder Netzte füllen.Wir passieren einander mit vielleicht 20 Meter Abstand.
Irgendwie fies wenig.
Warum habe ich die so spät gesehen? Wäre das jedem so gegangen oder habe ich vor mich hin geträumt? Ich bin froh, dass ich noch nicht nach Achim gebrüllt habe.
Das hätte Mecker gegeben.
Ich verfluche die Fischer und brauch eine ganze Weile, um wieder runter zu kommen.
Eine Kollision mit einem Fischer bekommt von mir die gleichen schlechten Noten wie ein Piratenangriff.
Den Rest meiner Wache starre ich aufs Meer.
Ununterbrochen.
Pipi machen, liegt nicht mehr drin. Hinter jedem Wolken-Schatten sehe ich ein Boot.
- Prototyp eines schlafenden Fischers
Richtig lustig wird es dann bei meiner zweiten Wache.
Der Mond ist untergegangen und mit ihm jede Chance so einen schlafenden Fischer rechtzeitig zu entdecken. Selbst auf dem Vorschiff stehend, ist das ein unmögliches Unterfangen.
Die Kategorie ‚unabwendbares Schicksal‘ ergänze ich neben ‚Walen‘ und ‚treibenden Containern‘ um ‚unbeleuchtete Fischer‘.
Verrücktes Segeln. Das macht einen fertig.
Natürlich kommen wir trotz Schleichfahrt noch eine Stunde zu früh an der Maroni Anfahrtstonne an.
Wir dümpeln in der Mündung und warten auf Licht.
Die Betonnung in der realen Welt deckt sich nicht mit der auf unserer Karte. Teilweise haben wir angeblich nur noch einen halben Meter Wasser unter uns. In echt sind es 4 Meter. Der Fluss scheint sich ein neues Bett gesucht zu haben.
Nur unter Androhung von Strafe würden wir hier im Dunkeln fahren wollen.
- Neben der Spur
Der Maroni ist 5 km breit.
Die Fahrrinne führt aber zeitweise keine 50 Meter vom Französisch Guyanesischen Ufer entfernt. Wir kommen vorbei an Mangroven und üppigem Urwald. Unterbrochen von kleinen Sandstränden an denen im April und Mai Lederschildkröten ihre Eier ablegen werden.
Ein Traum in grün und schlamm.
- Theoretisch wären 5 km Platz
- Maroni River