30.08-02.09.24, Australien/NT/Jervois+Gemtree, Tag 275-277 Roadtrip, 22.122 km total, Tages-km 469+209
Die 750 Kilometer von Boulia bis zum Stuart Highway – der Lebensader von Nord nach Süd, die genau durchs Zentrum führt – teilen wir ebenfalls in zwei Etappen auf. Die Landschaft wird roter, bleibt aber platt. Ab und an taucht am Horizont eine flache Gebirgskette auf.
Auf der gesamten Strecke gibt es keinen Ort, kein Internet, keinen Telefonempfang. Uns kommen auf dem Abschnitt in zwei Tagen 25 Autos, zwei Motorradfahrer (leicht Verrückte), zwei Fahrradfahrer (komplett gaga – die Hitze, der Staub, die schlechte Straße) und drei Viehlaster entgegen. Die Hälfte der Strecke ist unbefestigt, aber meistens in einem guten Zustand. Selten Wellblech. Damit die Landkarte nicht nur aus weißem Papier besteht, ist jede Rinderfarm rechts und links der Strecke aufgeführt.
Unser erstes Camp schlagen wir auf einer dieser Rinderfarmen – Stations genannt -auf. Die ‚Jervois Station‘ wurde als eine der letzten in dieser Region erst 1960 gegründet. 1977 und 1980 weiterverkauft und scheint nun glückliche Besitzer gefunden zu haben. Die Großfamilie hat es sich in der Mitte von Nirgendwo gemütlich gemacht. Die Kinder haben eine Rasenfläche zum Fußballspielen, eine Ritterburg aus Plastik und zwei Kinder-Motorräder stehen an die Hauswand gelehnt. Enduros natürlich. Starlink auf dem Dach verbindet mit der Welt und ermöglicht Home Schooling auf komfortable Art.
Der Campingplatz liegt etwas abseits vom Wohnhaus. Ist nur ein kleiner Nebenverdienst der Jervois Station. Dusche und Toilette sind in einem Container installiert. Zwanzig Dollar pro Nacht – inklusive Besuch einiger Kälbchen, die über den sandigen Platz strolchen. Es gibt keinen Strom auf dem Campground und das Starlink der Station reicht nicht bis hierher.
Der Abend ist phantastisch. Es ist absolut windstill. Bewegungslos hängen die Blätter am Baum. Wir haben unseren eigenen Starlink: einen direkten Blick auf die Mitte der Milchstraße. Keine Lichtverschmutzung trübt das Vergnügen. Die Milchstraße ist so hell, dass man große Schrift auf einer Flasche entziffern kann. Bombastisch.
Wir sind die einzigen Camper. Allerdings übernachten noch ein paar Straßenarbeiter in drei windschiefen Containerhütten. Die Jungs sollen wir am nächsten Tag noch einmal wieder sehen. Zu unserem großen Glück wird gerade die Straße glatt gezogen. Es fährt sich leiser als auf jedem Asphaltbelag.
Beim zweiten Halt bleiben wir zwei Nächte. Wir sind fast in der Zivilisation zurück, nur noch 140 Kilometer von Alice entfernt, die Straße ist asphaltiert è bedeutet gleich 35 Dollar die Nacht. Rinderzucht wird hier nicht mehr betrieben. Die Eigentümer von ‚Gemtree‘ setzten auf Touristen. Von Alice Springs ist der hübsche Campingplatz schon als Wochenendausflug zu erreichen.
Zum Gemtree gehört ein nahegelegener Steinbruch in dem man gegen Gebühr nach Zirkonia, Rosenquarz und anderen Halbedelsteinen buddeln darf. Man findet wohl tatsächlich welche. Kleine Brocken meistens. Der Shop neben der Rezeption verkauft auch Steine. Beutel mit Zirkonia kosten fünf oder zehn Dollar. Reichtum ausgeschlossen bei der Buddelei mit 35 Grad im Nacken.
Wir konzentrieren uns auf den Rundweg um den Campingplatz, der eine dreiviertel Stunde durch den Busch führt. Bäume und Büsche sind beschriftet. Ein Büchlein mit Erklärungen kann man sich in der Rezeption ausleihen.
Selten war die Gelegenheit so einfach vom Zelt aus loszumarschieren. Direkt nach Sonnenaufgang sind wir unterwegs. Eine schöne Tour – viele Wildblumen und Büsche blühen gerade. Es soll die letzte Zeit mehr Regen als üblich gefallen sein. Der Frühling ist nah. Trotz der frühen Stunde zeigen sich keine Tiere. Eine kleine Echse ist unser einziger Begleiter.
Unterm Strich können wir sagen, dass sich die längste Abkürzung für uns gelohnt hat. Durch fortschreitende Asphaltierung des Highways auch eine echte Abkürzung geworden ist. In naher Zukunft wird die gesamte Strecke keine ‚Dirt Road‘ mehr sein. Entsprechende Schilder der Regierung am Wegrand zeigen die Pläne.
Rindertransport Talk
Bis in die 50er/60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden die Viehherden in Australien getrieben. Klassisch mit Pferd und Stockman – so heißen Cowboys in Australien. Dies erfolgte nur zu bestimmten Jahreszeiten. Zehntausende Rinder waren dann gleichzeitig unterwegs.
Heute funktioniert der Transport per Roadtrain. Allein in Queensland soll es zehn Millionen Rindviecher geben. Eine riesige Logistik-Maschinerie sorgt für einen reibungslosen Transport. Drei Anhänger pro Roadtrain sind üblich. Kühe werden zweistöckig verladen – bis zu 144 Stück auf einem Roadtrain.
Eine Saison gibt es nicht mehr. Ganzjährig rattern die Viehlaster über Schotterstraßen und asphaltiere Highways. Die Regularien schreiben vor, dass die Tiere nicht länger als 48 Stunden ohne Pause transportiert werden dürfen. Die Entfernungen sind hoch. Viele Schlachthäuser wurden geschlossen, da sich ein Lebendtransport per Schiff etabliert hat. Die verbliebenen Schlachthöfe liegen weit verstreut.
Von unserer Pervois Station zum nächsten Schlachthof, nach Rockhampton, sind es 1.700 Kilometer. Allerdings gibt es in Winton eine Erleichterung für die Tiere – eine Verladestation auf die Schiene.
Als die Rinder noch per Pferd durchs Land getrieben wurden (kann man heute als Stockman-Urlaub buchen – kleine Herden von 600 Tieren werden dann für Touristen gegen den Einwurf kleiner Münzen getrieben), verloren sie mehr Kilo an Gewicht als heutzutage. Stressfrei ist das damals auch nicht gewesen. Die Roadtrain-Tiere verlieren so viel Gewicht, dass sie im Schnitt zehn Tage in die Mästung müssen, um auf ihr Ursprungsgewicht zurück zu kommen. Diese Mästung erfolgt am Schlachthof oder vor dem Lebendtransport per Schiff. In Australien steht der Schifftransport unter hartem Beschuss. Was nachvollziehbar ist, mir fällt kein Grund ein, warum man nicht Fleisch gefroren transportieren kann, statt den Tieren auch noch eine Seereise zu verordnen.