So., 27.Dez. 15, Atlantik, Tag 575, 3.627 sm von HH, etmal 116 sm …Herr, noch eine Stunde bis Mindelo! Die Herzen sind weit, die Herzen sind froh. Unsere voraussichtliche Ankunft wird im Augenblick mit 17:00 Uhr utc berechnet. Das ist schoen, so wird es noch nicht dunkel sein in Mindelo auf Sao Vicente. In Summe mussten wir leider 24 Stunden motoren, bevor uns gestern Abend der Wind wieder hatte. Da absolute Flaute nicht so haeufig vorkommt, nutze ich die ruhige See fuer ein Bad in 3.700 Meter Wassertiefe. Es ist sehr frisch, sehr blau und sehr unheimlich. Unheimlich ist nicht diese abstruse Tiefe, sondern das vorher gelaufene Gespraech ueber Haie. Das macht den Gruseleffekt. Ich halte es fuer beliebig unwahrscheinlich zur gleichen Zeit am gleichen Ort auf einen Hai zu treffen. Aber Achim kommt mit Wahrscheinlichkeits-Berechnungen und zitiert Hans Hass (kennt den ueberhaupt noch jemand?), dass alle 50 km ein Hai lauern soll. Schoen das Spiel verdorben.
Mit der aufgehenden Sonne besuchen uns uebermuetige Delphine, die sich, scheinbar lebensfroh, drei Meter aus dem Wasser schrauben. Und wir sehen unsere ersten fliegenden Fische. Ein paar Schuppen an Deck sind stummer Zeuge, dass zumindest ein Fisch heute Nacht an Deck gelandet sein muss. Da es keine Leiche gibt, konnte er sich wohl befreien. Apropos Fisch! Heute Mittag fand das vorlaeufige Highlight in unserer Angelkarriere statt: Wir haben eine Goldmakrele. AEh, wir hatten eine Goldmakrele.
Wunderschoen gold-blau glaenzend, in der richtigen Groesse, ein saftiger, suesser Fisch, fast zu schoen zum Schlachten. Fuer ein Foto hat’s noch gereicht (wird nachgeliefert), dann reisst sich das Prachtstueck los und verschwindet wieder in den blauen Fluten. Es ist alles andere als langweilig auf so einer UEberfahrt. Und es stimmt, was fast alle Langfahrer berichten: Ab Tag fuenf hat man sich so eingelebt, dass so eine Fahrt unendlich weiter gehen koennte. Jetzt freuen wir uns aber auf ein Wiedersehen mit der La Joya und somit ist gut, dass wir nachher ankommen werden.
Erwischt
Sa., 26.Dez. 15, Atlantik, Tag 574, 3.506 sm von HH, etmal 121 sm Noch 115 sm bis Mindelo. Leider ist uns seit gestern Abend 18:00 Uhr der Wind komplett eingebrochen und wir motoren seitdem. An Tag fuenf auf See haben wir uns gut eingelebt und angepasst. Die Tage gehen ineinander ueber und wir muessen die Finger zur Hilfe nehmen oder ins Logbuch schauen, um zu wissen welcher Tag heute ist. Wir haben unseren Rhythmus gefunden und kommen gut damit klar. Ausserdem wird es waermer. Tagsueber ist der Temperatur-Unterschied noch nicht so entscheidend, aber die Naechte sind deutlich milder. Ich bin waehrend meiner Nachtwachen gerne an Deck und kann mich nicht sattsehen an den Wellenbergen. Besonders schoen ist es, wenn sie wie die letzten Tage vom Vollmond angestrahlt werden. Wenn es zu kalt wird, gehe ich unter Deck und lese meistens. Alle 15 Minuten den beruehmten Rundumblick, zurueck ins Warme und weiter lesen. Es kommt dann ganz auf das Buch an, ob die Wache von vier Stunden sich endlos zieht. Als ich heute Morgen um 6.00 Uhr zur Schicht gehe, ist es kalt, dunkel, kein Mond, keine Wellen, ich bin todmuede und der Motor brummt einschlaefernd vor sich hin. Ich kann kaum die Augen offen halten. Mein neues Buch ist etwas zaeh, also mach ich es mir auf der Salonbank gemuetlich. Ich stelle die Eieruhr auf 15 Minuten fuer den Rundumblick, Temperatur und Oeldruck kontrollieren, fertig. Und wieder zurueck auf mein Lager. Das klappt prima. Bis zum letzten Check um 8.00 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang. Als ich wieder aufwache ist es kurz vor 9:00 Uhr und der Kaept’n sitzt bereits im Cockpit. „Guten Morgen“, sagt er und ich bin erleichtert, er hat nix gemerkt.
Ich grinse ihn an. „Wenn Du hoch kommst, dann bring gleich die Neunschwaenzige mit nach oben und mach Dich schon mal frei zur Auspeitschung“. Oh, da hat er wohl doch was gemerkt.
Jawohl, hat er. Er sei um 8:20 Uhr aufgestanden und da haette ich seelig geschlafen und noch nicht einmal gemerkt, dass er mir die Eieruhr aus der Hand genommen und sich einen Kaffee gekocht habe. Wie sich herausstellt hatte ich vor dem letzten Schlaefchen vergessen, die Eieruhr auf ’start‘ zu druecken. Peinlich.
Allerdings: gutes Gewissen, ruhiges Ruhekissen. Kann so schlimm ja nicht sein, schliesslich war die ganze andere Zeit auch kein weiteres Schiff zu sehen… Den Strafvollzug kann ich abwenden durch ein Fruehstueck und bestellte Delphine, die lange bei uns bleiben.
Schoene Bescherung
Fr., 25.Dez. 15, Atlantik, Tag 573, 3.375 sm von HH, etmal 131 sm Das Schlimmste, was Heiligabend an Land passieren kann, ist dass der Tannenbaum brennt. Auf See passieren andere Katastrophen. Den Nachmittag verbringen wir noch ganz friedlich mit Stollen, Brot backen und einer kleinen Bescherung. Der Alkoholverzicht wird kurzfristig aufgehoben und wir teilen uns einen Pikkolo. Die 6 Windstaerken halten an. Ebenso die Rollerei und unsere hohe Geschwindigkeit. Statt Gaensebraten oeffne ich ein Glas selbst eingekochtes Gulasch und koche Nudeln dazu. Alles tutti, alle sind zufrieden. Direkt nach dem Essen holt Achim die Angel ein, damit wir nicht mitten in der Nacht mit einem 5 kg Bonito kaempfen muessen (die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt). Während dessen fange mit der Backschaft (Kueche aufraeumen) an: fuer die uebrig gebliebenen Nudeln benoetige ich eine Tupper-Schuessel, die sich im oberen Schrank unserer Pantry befindet. Der Schrank wird mit zwei Schiebetueren geschlossen, die auf Kunststoff-Schienen laufen. Um an die Schuessel zu kommen, muss ich mich weit ueber die Ablage strecken und die Schranktuer komplett aufschieben. Gerade als ich schwungvoll schiebe, legt Atanga sich kraeftig auf die Schrank abgewandte Seite. Mir bleibt nur, mich schnell an der Schiebetuer festzuhalten, um nicht durchs Schiff zu schleudern. Dabei hebe ich die Tuer an und gleichzeitig aus ihrer Nut. Die Tuer schlaegt mir gegen das Handgelenk, rutscht mir weg, ueber den Herd auf den Boden. Nudeltueten, Plastikflaschen mit Zucker und Mehl, Reis und eine grosse Flasche Chili ’suess-sauer‘ stehen nun freigelassen und ungeschuetzt im Schrank. Atanga kippt zurueck auf die andere Seite. Alles legt sich im Schrank brav an die Wand. Ich starre auf den Inhalt. Den Blick auf die Chili-Flasche geheftet. Mir bleiben zwei Sekunden, dann kommt der naechste Schlag zurueck. Die Chili-Flasche kann ich retten. Dann gehen mir die Haende aus. Alles andere prasselt an mir vorbei. Im hohen Bogen fliegt eine Dose mit Spaghetti in den Salon. Beim Aufprall auf den Boden platzt der Deckel auf und die Spaghetti ergiessen sich ueber unsere Bodenbretter. Dort breiten sie sich schnell wie Wasser aus. Einige der schluepfrigen Biester sehe ich zwischen den Bodenbrettern verschwinden. Mit jeder Welle wird der Spaghetti-Teppich groesser. Ich koennte heulen. Vor Wut, Schmerz und Frust. Ich tu das dann einfach auch.
Eine Stunde spaeter haben wir das Chaos beseitig. Der Nachtisch wird ersatzlos gestrichen. Ich geh‘ ins Bett, ein wenig vorschlafen, da ich um 22:00 Uhr ja meine Wache antreten muss. Beim Einschlafen ueberlege ich mir, dass ich mir naechstes Jahr zu Weihnachten einfach einen Katamaran wuensche, die sollen ja nicht so rollen.
Halbzeit
Do., Heiligabend 15, Atlantik, Tag 572, 3.338 sm von HH, etmal 155 sm Seit 48 Stunden donnern wir mit durchschnittlich mehr als 6 Knoten Richtung Sueden. Dadurch werden wir Heiligabend Vormittag mit der Halbzeit beschenkt. Zur Feier des Tages gibt es zum Fruehstueck bereits Ruehrei mit Speck und Zwiebeln. Ich betone das deswegen so albern, da die Duenung sich verndert hat. Aus Wacklern von 20 Grad nach rechts und links, sind 10 Grad geworden. Allerdings haut uns jede 10te Welle weiterhin 20 Grad auf die rechte Backe und jede 100te um 25 Grad und mehr. Mit den 10ern kann man gut umgehen. Das ist aus den Beinen abzufedern. Praktisch in der Pantry, weil beide Haende einsatzbereit bleiben. Ab 20 Grad muss ich mich festhalten, sonder duese ich quer durchs Schiff. Also schnell den Pfannenwender aus der Hand gelegt, um mich irgendwo festzukrallen. Den Pfannenwender haut es dabei dann von der Platte, obwohl alles mit Anti-Rutsch-Matten ausgelegt ist. Wer oder was nicht gesichert ist, fliegt. So ein Ruehrei zu backen kostet mehr Kalorien als ich hinterher einwerfen kann.
Wir sind trotz allem guter Dinge und bereiten uns aufs Fest vor. Den Nationen-Spalter „Last Christmas“ durfte ich beim Kochen auch schon dudeln und die Dekorationen sind abgeschlossen. Ein besinnliches Fest wnschen Sabine und Joachim.
Schon besser
Mi., 23.Dez.15, Atlantik, Tag 571, 3.197 sm von HH, etmal 141 sm Es laeuft schon besser. In der Pantry zieht wieder etwas Kultur ein. Mittags fruehstuecken wir gemeinsam. So richtig. Ich mache uns Schnittchen, sogar mit Paprika-Dekoration. Abends schaffe ich einen Tomaten-Salat mit Mozzarella. Bin dann aber doch froh, dass wir fuer heute Fertig-Pizza haben und ich nicht richtig koche muss. Die Gewoehnung an die schaukligen Bedingungen geht schneller als erwartet. Ich bin mit einer Reisetablette ausgekommen. Wir kommen flott voran, da wir ueber Stunden konstant sechs Windstaerken haben. Mehr Wind gleich hoehere Welle stoert hierbei nicht. Im Gegenteil, der Druck im Segel laesst uns eher ruhiger liegen. Trotzdem rollen wir noch kraeftig. Aber das ist jammern auf hohem Niveau. Wie es den Ruderern geht, von denen wir tatsaechlich eine Handvoll ueberholen, da mag ich gar nicht dran denken. Obwohl wir nur in drei Meilen Abstand an ihnen vorbei segeln, sind sie in den Wellen nicht zu entdecken. Selbst nachts sieht man keine Positionsleuchte funkeln. An ihren AIS Dreiecken auf dem Plotter koennen wir sie orten. Schoen zu sehen, wenn dort Ruderpause herrscht, dann steht das Dreieck im rechten Winkel zum vorherigen Kurs und die Geschwindigkeit sinkt von drei auf 0,9 Knoten. So wackeln wir friedlich vor uns hin. Ein kleiner Schreck beim Wachwechsel um, natuerlich, 2:00 Uhr morgens: unser Kuehlschrank hat einen kurzen Aussetzer. Das Aggregat ist heiss und geht nicht mehr aus. Zweimaliges Ausschalten und wieder hoch fahren hat eine Selbstreparatur zur Folge. Achims Vermutung, dass sich ein „Teilchen“ in einer Kapillare festgesetzt hat und durch die Schaukelei wieder los gejackelt ist. Nichts ist eben so schlecht, dass es nicht noch fuer etwas gut ist.
Versoehnliche Gruesse, Sabine

