Tag 9 Nach Providencia

Sa., 27.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1092, 11.049 sm von HH
Das Leben ist kein Pony-Schlecken.
Das ist soweit klar, erwartet auch keiner. Aber wir greifen nur noch in die Pferdeapfel-Kiste. Heute Morgen entdeckt Achim, dass unser Backbord Unterwant gebrochen ist. Ey, geht’s noch? Das ist keine sechs Monate alt. Wenn ich den Rigger in die Finger kriege, drehe ich ihm den Hals um. Ein Kardeel an der Decks-Pütting ist gebrochen. Wahrscheinlich bei der Pressung beschädigt. Jetzt hat es aufgegeben.
Achim hat eine Not-Reparatur vorgenommen. Mit drei ‚Fröschen‘ (keiner an Bord weiß, wie die Dinger in echt heißen) und einer Kette. Damit hat er die Bruchstelle überbrückt. Ein kaputtes Kardeel von neunzehn ist wahrscheinlich noch kein Sicherheitsrisiko. Macht aber ein ungutes Gefühl. Wir fahren im ersten Reff und das bleibt auch so, um nicht noch mehr Druck auf das Want zu geben. Damit hat sich jetzt die Diskussion um ‚Reffen – ja, nein‘ von alleine erledigt. :mrgreen: Es gischt und nebelt weiter vor sich hin. Das Cockpit ist mittlerweile so salzig, dass die Holzbänke nicht mehr abtrocknen. Wir haben beide einen wunden Hintern von den ewig feucht-salzigen Kissen und Klamotten. Positives? Darf ich mal lachen? Ja, doch etwas gibt es. Der Wind hat auf genau Ost, 90 Grad, gedreht, so dass wir gut nach Süden voran kommen und dabei sogar noch unsere fehlenden Ost-Meilen gut machen können. Und es ist deutlich ruhiger geworden. Die 20 Knoten erreichen wir nur noch in seltenen Boen.
Wir haben jetzt die Höhe der Piraten-Überfälle erreicht und können unseren Sicherheitsabstand von 50 Meilen knapp schaffen (ich glaub, ich hab mal 100 Meilen geschrieben, sollte 100 Kilometer heißen). Die Überfälle finden tagsüber statt, deswegen hat Achim heute Nacht aufgerüstet. Handys, Handfunke und Pads sind versteckt. Alte Kreditkarten, ein kaputter Fotoapparat und ein kaputtes Handy liegen als Opfergeräte bereit. Tränengas hat er in der Hosentasche. Das wirksamste Mittel dürfte jedoch meine schlechte-Laune-Fresse sein. Wer die sieht, dreht gleich wieder ab. :lol:
Wir sind vorbereitet.
150 Meilen Rest nach Süden.

Tag 8 Nach Providencia

Fr., 26.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1091, 10.962 sm von HH
Ich fass mal zusammen: seit sieben Tagen kreuzen wir jetzt nach Osten. Auf unseren Süd-Ost-Schenkeln konnten wir ganze fünf Tage einen Kurs von 160 Grad anlegen. Jetzt, an Tag acht wollen wir genau diesen Kurs fahren, und was passiert? Wir schaffen nur 180, am Ende des Tages 170 Grad. Das führt uns nicht nach Providencia, sondern genau zum Piraten-Hot-Spot, den wir meiden wollen. Da wir so weit nach Norden gekommen sind, können wir den Kurs erst mal so fahren, bevor wir uns etwas überlegen müssen.
Es stellt sich die Frage, welchen von den Windgöttern wir eigentlich Essig in den Schnaps gegossen haben? Seit knapp 24 Stunden bläst es auch wieder. Dauerhaft deutlich über 20 Knoten, Boen entsprechend. Die Wellen sind eklig. Mir geht am meisten das Schlagen ins Wellental auf den Geist. Wie ein Schnitzel vom Fleischklopfer weich geprügelt wird, so macht mich das Schlagen mürbe. Und der Lärm. Dieses dauerhafte Rauschen. Wahnsinn.
Bei Achim sind auch schon Dinge verschoben. Morgens um 6:00 Uhr erzählt er mir, ‚bald‘ wird der Wind wieder schwächer. Dieses ‚bald‘ wird in 18 Stunden der Fall sein. Hey, das ist doch nicht ‚bald‘. Und um jedes Reff muss ich mit ihm feilschen. Ich höre nur noch ausreffen, zu langsam, zu wenig Höhe… Okay, wirklich schnell sind wir nicht. Wir schaffen gegen Welle, Strom und Wind keine 4 Knoten mehr. Dafür knallt und rappelt es als donnerten wir mit 10 Knoten übers Wasser. Wahnsinn. Wir fühlen uns wie Vandee Globe Teilnehmer.
Positives? Ja, gibt es. 1.) Unser Vorsegel ohne Fall hält prima. 2.) Die Stimmung ist wieder besser. Wir befinden uns auf dem Zielkurs. Zwar noch etwas neben der Spur, aber wenn alles gut geht, nur noch drei Tage. Um Mitternacht soll der Wind etwas nachlassen, das verschafft etwas Erholung, wenn ich es schaffe Achim vom Ausreffen abzuhalten. ;-) Nackt hin oder her.
235 Meilen Rest nach Süden.

Tag 7 Nach Providencia

Do., 25.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1090, 10.895 sm von HH
Der Wind dreht auf östliche Richtung. Zu früh. Wir haben doch noch 50 Meilen übrig. „Man muss sich schon sehr zusammenreißen, um nicht zu weinen“, stöhnt Achim.
Was bleibt uns übrig, wir wenden und nehmen Kurs Süd. Weiter nördlich wollen wir auf keinen Fall. Wir schaffen aber nur einen Kurs von 190 Grad. Das ist schlecht, ganz schlecht. Das nimmt uns wieder etwas von unserem Ostgewinn ab. :cry: Dafür werden wir „belohnt“ mit einem nächtlichen Windfeld von 30 Knoten. Das baut die schöne Welle auf, die sich gerade etwas beruhigt hatte. Es ist naß und ruppig. Kennen wir ja schon. Es ist nur noch schwer zu ertragen. Die Berge mit feuchten Handtüchern und Klamotten werden immer höher. Nichts bekommen wir trocken. Es müffelt. Atanga wird zur schwimmenden Gruft.
Morgens dreht der Wind zurück auf südliche Richtungen. Wir wenden erneut und machen noch etwas Strecke nach Ost gut. Mit der Drehung wird der Wind schwächer. Jetzt haben wir noch vier Windstärken und die Bedingungen sind aushaltbar.
Gibt es auch Positives zu vermelden? Nein, die Stimmung ist ziemlich im Keller. 79 gesegelte Meilen mit einem Ost-Gewinn von sagenhaften 21 Meilen. 43 Meilen Rest nach Osten. 305 Meilen Rest nach Süden.
…PS: in Kürze gehen wir auf Zielkurs. Das ist doch mal waS Positives … wenn es denn klappt (Joachim)

Tag 6 Nach Providencia

Mi., 24.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1089, 10.816 sm von HH
Diese Seereise schockt nicht. :cry:
Beim Wühlen nach den Kartoffeln für die Gemüsepfanne kommt Ekel auf. Zwei faule Kartoffeln haben ihre stinkende Soße über alle Kartoffeln ergossen. Aber die brauchen wir noch. Die faulen bekommt die See, die anderen spült Achim mir ab Die nicht verbrauchten Kartoffeln liegen jetzt im Cockpit und sollen trocknen. Kleine runde Kartoffeln, na, wenn das man gut geht.
Die Gemüsepfanne ist prima. Allerdings akrobatische Schwerstarbeit. Der Schweiß fließt in Strömen. Das mit dem Speck dagegen war eine schlechte Idee. Bei dauerhaft geschlossenen Luken. Von dem Geruch werden wir noch länger was haben. Direkt nach dem Abendessen kommt die Meldung von oben: „Unser Windmesser hat sich grad verabschiedet, keine Anzeige mehr.“ Okay. Wir haben noch ein Handmessgerät und Reffen werden wir, wenn die Kartoffeln fliegen. :lol:
Die Nacht verläuft ruhig mit unveränderter Wellen- und Windsituation. Wir laufen mit ca. 60 Grad weiter ostwärts. Um 5:00 Uhr weckt Achim mich: „Ich brauche dich dringend oben. Unser Fock-Fall ist gebrochen.“ Wir haben Glück im Unglück. Das Segel steht noch (Das Fock-Fall ist ein Tampen, der im Mast verläuft und das Vorsegel, die Fock, oben hält). Dadurch, dass wir gerefft haben, ist das Segel so stramm an dem Vorstag-Profil aufgerollt, dass es gar nicht fallen kann.
Wer hat gestern noch mal aufs Reffen bestanden? ;-) Wer war’s?
Ausreffen können wir das Vorsegel nun natürlich nicht mehr. Sollte das Ganze, wider Erwarten nicht halten, so haben wir noch unsere große Genua als zweites Vorsegel. Die ist zwar für diesen harten Am-Wind-Kurs schlecht geeignet, aber besser als nix. Wir haben uns grade die Strategie zurecht gelegt und wollen frühstücken, da fängt es an ruppiger zu werden. Das war so nicht vorher gesagt. Der Wind nimmt zu, die Wellen ebenfalls. Schluss mit gemütlich frühstücken. Die Boen erreichen schnell 25 Knoten. Shit. Das sollte doch vorbei sein. Die Gischt erreicht bereits wieder das Cockpit. Und die Kartoffeln. Wir gehen ins zweite Reff im Groß. Nach sechs Stunden ist der Spuk vorbei. Jetzt ist es wieder erträglich. Wir sind offshore, mitten in der Westkaribik. Der Golfstrom, der aus Osten kommt und zwischen Kuba und Mexiko strömen möchte, hat uns beim Schopf. Bis zu zwei Knoten Strom haben wir gegen uns. Irgendwie eins unserer kleinsten Probleme. Nachmittags steigt der Wind-Richtungsanzeiger aus. Nun, was soll’s, braucht auch kein Mensch. Gibt es auch etwas positives zu vermelden? Jawohl. 1.) Die Nackt-Refferei wird zum Fetisch an Bord. :mrgreen: Mit Rettungsweste und Segelhandschuhen. Leider ist mir das Fotografieren bei Todesstrafe verboten.
2.) Wir konnten noch nie so gut schlafen wie auf diesem Törn. Hinten in der Koje ist ruhig wie im Himmel. Die jeweils tiefliegende Wand wird mit Kissen abgepolstert und Tiefschlaf ist garantiert. Kein Gerutsche der Knochen auf der eigenen Haut. Nur sanftes Nicken von vorn nach hinten.
3.) 85 gesegelte Meilen mit einem Ost-Gewinn von sagenhaften 75 Meilen. Dass es uns hundert Meilen zu weit nach Norden getragen hat, ist ein Problem, welches wir Morgen lösen. ;-)
64 Meilen Rest nach Osten

Tag 5 Nach Providencia

Di., 23.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1088, 10.731 sm von HH
Mutti ist wieder da. :-) Plötzlich, seit gestern Abend ist alles gut. Ich kann Gemüse schnippeln für Wraps. „Schade, die Ketchup Nudeln Tage sind vorbei“, stöhnt der Skipper. Heute hab ich eine Ananas geschlachtet, abends gibt es Gemüse-Kartoffel-Pfanne mit Speck. Großartig. Die Angel hängt auch endlich draußen. Der Wind kommt jetzt südlicher, so dass wir gut Strecke nach Ost machen können. Käpt’n Gnadenlos leckt Blut und verweigert das nächtliche Reff. Er wolle nicht wie Käpt’n Bligh vier Wochen auf der Stelle segeln. Seine Argumentationskette ist schwach, schließlich kam es ja zur Meuterei auf der Bounty. Das überzeugt, ich bekomme mein Reff. :lol: Die Bedingungen sind seit gestern unverändert. Wir haben noch eine anderthalb Meter Welle und Atanga nickt sich wie eine Ölpumpe vorwärts. Der Wind fummelt und puhlt alles locker und kaputt. Unser Dinghi Cover musste Achim schon retten, weil der Wind es vom Dinghy gepellt hat. Die Schrauben vom Bimini sind alle zwei Tage locker und die Lazys (Bänder, die das Großsegel in seine Tüte am Baum führen sollen, wenn es fällt) sind auf einer Seite ebenfalls durchgescheuert und bereits getauscht. Zu allem Überfluß hat sich auch noch die Anzeige für die Windgeschwindigkeit verabschiedet….
94 gesegelte Meilen mit einem Ost-Gewinn von… tatatata… 53 Meilen. 139 Meilen Rest nach Osten.