Quarantäne-Fakten

Fr., 17.Apr.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2147, 20.254 sm von HH

1. Der Schuld-Faktor
Das wichtigste zu erst. Es ist ganz einfach – Achim hat Schuld! :mrgreen:
Wenn er nicht auf eine zweite Saison in Französisch Polynesien bestanden hätte, könnten wir jetzt im superschönen Neuseeland weilen. Mit prall gefüllten Supermärkten und würden nicht vor Anker am Ende der Welt hängen mit einem Versorgungs-Schiff, was alle drei Wochen Kohl, Möhren und Zwiebeln bringt, die nach wenigen Tagen ausverkauft sind.

2. Der Alkohol-Faktor
Der Alkohol-Verkauf in Französisch Polynesien ist verboten seit, keine Ahnung, über zwei Wochen. Wein haben wir schon viel länger nicht mehr an Bord. Das ist blöd, gibt es doch im Netz den hilfreichen Tipp, bereits sein Frühstücksmüsli mit Rotwein statt Milch einzuweichen. Die Quarantäne bekäme dann bereits morgens einen rosa Schimmer und nach drei Tagen hätte man sich auch an den schlechten Geschmack gewöhnt.
Wir haben noch einen Bier-Vorrat für wenige Tage. Da wir selten harte Sachen trinken, konnten wir in der Bilge noch eine Flasche Rum aus Panama (zwei Jahre alt) und eine angebrochene Flasche Anis-Schnaps aus Gomera (5 Jahre alt) finden. Zunächst sind wir gerettet!

3. Der Ankerplatz-Faktor
Hier haben wir es richtig gut getroffen: Traumhaftes Wetter seit vier Wochen. Nicht zu warm, grad 25 bis 26 Grad, nachts kühlt es ab, so dass wir gut schlafen. Die Aussicht auf die Berge ist wunderschön und halbwegs türkis Wasser ist auch noch da. Der Ankergrund ist bombig haltender Schlamm, dadurch ist das Wasser etwas milchig und nicht kristallklar, aber trotzdem verlockend zum Reinspringen.
Wir sind hier sicher vor Wirbelstürmen – die Saison ist in gut vier Wochen endgültig zu Ende. Die Segel-Kollegen in der Karibik müssen sich Sorgen um die nahende Hurrikan-Saison machen. Wohin, wenn Dich kein Land aufnimmt? Das bleibt uns erspart. Außerdem haben wir die friedfertigsten Gastgeber der Welt. Kriminalität gleich Null – Französisch Polynesien gilt als eines der sichersten Länder der Welt. Wir schließen weder Kajaks, noch Dinghy ab. Der Niedergang bleibt nachts offen. Es wird hier nicht gestohlen und es haut einem auch keiner einen Stein an den Kopp.

4. Der Gefühl-Faktor
Eine der häufigsten Antworten auf die Frage, was ist am Langfahrsegeln das Schönste, lautet von vielen Crews: die Freiheit! Damit ist nun mal Schluss. Regierungen, die zufällig auf unserem weiteren Weg liegen, entscheiden über unsere Freiheit. „Du kommst hier nicht rein!“ Der Bürgermeister unserer kleinen Gastgeber-Insel befindet, dass wir nur eine Stunde täglich allein an Land gehen dürfen. Französisch Polynesien untersagt uns das Segeln in ihrem Land. Unfrei, gefangen, eingesperrt, bestraft, so fühlt es sich an.
Das Auswärtige Amt hat über 200.000 Deutsche heim ins Reich geholt. Manchmal denke ich, wir sind die letzten, die ‚draußen‘ geblieben sind. Das fühlt sich einsam an. Das stimmt natürlich nicht, hunderte, ja tausende Segler aus der ganzen Welt sind auf ihren Booten geblieben. Viele, so wie wir, haben zu Hause ja auch gar kein Zuhause mehr. Unser Boot ist unser Heim. Das könnten wir nicht irgendwo an einer Ankerkette zurück lassen und hoffen, dass wir es in einem oder zwei Jahren wieder sehen werden. Was mag dann übrig sein von unserem Zuhause? Somit war es nicht eine Sekunde eine Option für uns Atanga zurück zu lassen.
Das zweite große Gefühl ist die Ungewissheit. Was wird das Virus noch anrichten? Was wird aus uns werden? Wie lange wird es dauern? Wohin können wir? Und auch Kleinigkeiten beschäftigen uns: wie kommt eine Ersatzkreditkarte hierher? Jetzt schicken lassen oder später? Sind wir dann überhaupt noch hier? Wie lange reicht unser Bargeld (einen Automaten gibt es hier nicht – entweder du hast lokale Währung, US-Dollar oder du „hungerst“). Fragen über Fragen. Das fängt an zu bohren.

5. Der Zwischenmenschliche-Faktor
Wir sind ein Paar, was sich streitet (was aber nichts mit Punkt 1 zu tun hat ;-) ).
Wir vertragen uns aber auch schnell wieder. Viele Paare streiten sich ja nie, wenn man ihren Blogs oder Aussagen Glauben schenken darf. Sie sitzen auf ihren Booten und ‚finden ihren Frieden‘ … ‚kommen zu sich selber‘ … ‚genießen die Reduzierung auf die Gemeinschaft‘. Da kann bei mir schon mal etwas Sozialneid aufkommen bei so viel Glück.
Denn bei uns ist das anders. Wir sind wie immer. Achim nervt mich, ich nerve Achim. Nicht mehr und nicht weniger als sonst. Und natürlich nicht immer. Ab und an gibt es eine Diskussion über etwas oder eben sogar einen Streit. Dann beruhigen sich alle wieder, es folgt die Versöhnung und gut. Wir haben uns in den letzten sechs Jahren zusammen gerauft, unseren Rhythmus gefunden, wie wir auf engem Raum miteinander auskommen können. Wir schätzen uns, wir schenken uns Freude, wir achten uns. Und während ich das schreibe, vergeht der Neid auch schon wieder, weil wir andere Menschen meistens für glücklicher halten als sie sind.

6. Der Zukunfts-Faktor
Wenn man realistisch darüber nachdenkt, erscheint es uns ziemlich sicher, dass wir das nächste halbe Jahr hier nicht wegkommen. Darüber kann ich schon mal eine Träne ins Kissen quetschen. Gefangen! Nicht nach Hause fliegen. So sehr hatte ich mich im Mai darauf gefreut nach fast zwei Jahren mal wieder in Deutschland zu sein.
Aber es ist unwahrscheinlich. Die Inseln zwischen uns und Neuseeland sind zum größten Teil Viren-frei. Das wollen die mit Sicherheit auch bleiben und werden somit wohl niemanden rein lassen die nächsten Monate. Und nach Neuseeland können wir erst im November, weil die Wetterbedingungen es erst dann erlauben.
Nichts ist gewiss im Augenblick, alles möglich. Und vielleicht wendet sich alles noch zum Besseren. Wir warten gespannt und nicht immer nur geduldig.

Unser täglicher Quarantäne-Blick ist vom Feinsten

10 Gedanken zu „Quarantäne-Fakten

  1. Jens

    Moin Sabine,
    Moin Achim,
    ich verfolge eueren Blog schon ziemlich lange und ich finde ihn sehr schön. Dein heutiger Eintrag ermutigt mich, endlich mal zu schreiben. Es ist ein ungewohntes Gefühl, zu erkennen, dass es ein winziges Virus geschafft hat, den ganzen Planeten auf links zu drehen. Mich begleitet schon lange das Gefühl, wenn du hier nicht mehr klarkommst, bunkerst du und haust ab, in ein anderes Land. Das so etwas irgendwann nicht mehr möglich sein könnte, hätte ich nie gedacht. Niemand will dich und nur auf hoher See rumzudümpeln ist auch keine Lösung. Mein Schiff liegt im Winterlager und der Hafen ist geschlossen, der Kran ist gesperrt, wozu auch, weil alle Häfen geschlossen sind. Wir sitzen zuhause und die Tage vergehen. Insofern sind wir nicht viel besser dran, als ihr, wir haben zumindest das Problem der Nahrungs und Geldbeschaffung nicht. Es scheint also egal, wo du sitzt, ob hier in Deutschland oder irgendwo anders auf der Welt. Du sitzt fest, weil man dir eines der höchsten Güter der Menschen, die Freiheit, genommen hat. Ihr seid also nicht alleine mit dem Problem, wir haben es alle.
    Hier zuhause in Schleswig-Holstein sollen die Maßnahmen etwas gelockert werden. Aber wann wir zur Normalität zurückkehren, ist unklar. Ob und wann wir einwassern, ebenfalls. Auch hier besteht ein Kontaktverbot, auch zu den Verwandten, die nicht im eigenen Haushalt leben. Gut, dass esTelefon und Internet gibt, sonst wäre es noch schlimmmer.
    Ich hoffe, dass euch meine Sicht der Dinge etwas aufmuntert und ihr merkt, ja, wir sind nicht alleine. So lasst uns den Mut nicht verlieren.
    Viele Grüße aus Lübeck in die Südsee
    Jens
    SY Snugata

    Antworten
    1. Sabine

      Ahoi Jens,
      vielen Dank für Deinen netten Beitrag. :-)
      Freiheit! Was haben Menschen dafür nicht schon alles riskiert? Sie haben sich in Arenen mit wilden Tieren begeben, weil dem Sieger die Freiheit versprochen wurde. Sie sind geflohen trotz Risiko, dass ihnen ein Fuß abgehackt wird. Sie sind an Stacheldrahtzäune erschossen worden. Freiheit!

      Liebe Grüsse
      Sabine

      Antworten
  2. Willi

    Hallo ihr beiden. Toller Beitrag. Es geht allen gleich, ja. Segelfreiheit beschnitten. Und bei den Plätzen an denen man liegt hat jeder seine Vor und Nachteile… Hier bei uns in Ecuador haben wir die Sorgen wegen dem Einkaufen nicht. Der Supermarket (200m von uns entfernt) ist gut gefüllt und wir können mit Karte zahlen. Dafür sind hier jede Menge Vieren im Land (bei uns hier in Bahia wenig.. aber es gibt auch keine Tests…) auch das braune Brackwasser hier in der Flussmündung lädt nicht wirklich zum Baden ein. Auch wir brauchen uns hier wegen Hurrikane oder Cyclons keine Sorgen machen. Die Visas werden automatisch verlängert
    Aber die Ungewissheit wie es weitergeht hebt nicht gerade die Stimmung an Bord. Da hilft eben nur eins Geduld.
    Euch eine gute Zeit und Gesundheit
    Viele Grüße Willi
    veladare.ch

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    1. Sabine

      Ahoi Willi, dankeschön.
      Vor- und Nachteile zu betrachten, hilft mir dabei festzustellen, dass wir es ja eigentlich gar nicht so schlecht getroffen haben.
      Und Geduld wird noch mein zweiter Vorname werden.
      ;-)

      Liebe Grüsse
      Sabine

      Antworten
  3. Willi

    Eine Frage, ist bei euch ein deutsches Schiff mit dem Namen Maya oder ein Schiff mit dem Namen Artemis angekommen? Beide Schiffe sind am 11.3 hier in Bahia ausgelaufen mit dem Ziel Easter Island. Seither nichts mehr von ihnen gehört ..

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  4. Michael Gramse

    Moin, ein selbst für das hohe Niveau Eures Blogs herausragender Artikel. Insbesondere den 5. Punkt können wir nicht nur umterstreichen, sondern gleich auch noch um zwei Kinder erhöhen;-)
    Danke auch für Deine Antwort per Email… ja, auch wir haben hier in Argentinienschon seit einem Monat „nationale Quarantäne“, aber da bekommst Du noch eine ausführlichere Antwort.
    Liebe Grüße aus Ushuaia,
    Micha (SY Samai)

    Antworten
    1. Sabine

      Lieber Michael,
      ist heute der ‚internationale Tag des großen Lobs‘? Rot werd‘ … dankeschön.
      Über das Sonder-Paket ‚Kinder‘ gäbe es sicher viiiiel zu berichten.
      Liebe Grüsse in die ‚Kälte‘ (darüber musst Du erzählen)
      Sabine

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  5. Markus und Gaby

    Hallo Sabine und Achim,
    wir haben es mit unserer KISU bis Neuseeland geschafft. Jetzt sitzen wir, wie alle andern Segler fest. Sicher nicht der schlechteste Ort. Durch frühen Lockdown und schliessen de Grenze sind die Erkrankungen im Rahmen.
    Die Infektionsrate ist rückläufig acht neue Fälle zu 46 genesenen. Trotzdem kommen wir hier nicht mehr weg und es geht gegen Winter. Mir benutzen unsere Dieselheizung fast täglich. Die Einkaufsläden sind gut gefüllt, einzig Mehl ist im Moment schwer zu kriegen.
    Ab nächster Woche darf man in französisch Polynesien wieder Alkohol kaufen. Aber nur Bier und Wein bis 14 % und nur Montag bis Donnerstag von 08:00 bis 16:00. Letzte Woche hat die Hinano Brauerei geschlossen wegen Überproduktion. Die Brauerei und Distillerie ist der 5 grösste Arbeitgeber in Tahiti.
    Prost, Markus und Gaby SY KISU

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  6. Sabine

    Hallo Markus und Gaby,
    danke für die Info über den Hinano-Verkauf … die Gerüchte hatten sich hier schon verdichtet. :-)
    Über den Winter in NZ hatten wir auch schon nachgedacht, weil wir keine Heizung haben (vielleicht trifft Achim dann doch keine Schuld und er erweist sich noch als der Bord-Held). Aber es wäre sicher eine gute Gelegenheit gewesen eine einzubauen.
    Euch viel Glück und bald wieder Mehl in den Geschäften.

    Liebe Grüsse
    Sabine

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