Tag 1 Nach Santa Marta

Mo., 26.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1122, 11.315 sm von HH
Wenn Gott gewollt hätte, dass Frauen zur See fahren, hätte er das Meer rosa gefärbt. :lol: Hat er aber nicht. Alles grau um uns herum.
Dabei fing es ganz gut an: Sonne, sechzehn Knoten Wind, kleine Pups-Wellen und ein trockenes Deck. Hoch am Wind starten wir voll motiviert. Zur Nacht wird der Wind kräftiger und macht alle vier Sekunden dieses drollige Fahrstuhl-Gefühl im Magen. Pille zwei kommt früh zum Einsatz. Mittlerweile wird wieder das Deck geflutet. Heftiges Wetterleuchten begleitet uns. Im Morgengrauen das erste Grollen. Dann auch Blitze! Den ersten Squall wettern wir easy ab, mehr als 22 Knoten kann er nicht.
Um 10:00 Uhr vormittags geht es dann los. Gewitter ist auf See gruselig, zumal, wenn man der einzige Mast ist, weit und breit. :mrgreen: Da wünscht man sich einen anderen neben sich mit einem Längeren. Blitze schlagen in Reichweite auf dem Wasser ein, zählen bis zum Donner erübrigt sich, der ist direkt über uns. Der Wind steigt auf über 25 Knoten dauerhaft. Es gießt wie aus Eimern. Neben dem Regen beschert das Gewitter einen bärbeißigen Käpt’n, der bei dem Mistwetter nicht nach draußen will zum Reffen. „Zu schlechtes Wetter“, meckert er. „Ist doch gleich vorbei.“
Bei den ersten 30er Boen geht er dann doch. Nur um Recht zu behalten. Nach zehn Minuten fällt der Wind auf normal. Zum Kotzen. Wir reffen wieder aus. Der Wind dreht, wir fahren eine Wende, um nicht zurück zu segeln.
Nach einer halben Stunde Pause geht es wieder los. Kein Squall, sondern großflächig Mistwetter. Achim grummelt erneut an den Mast. Diesmal allerdings freiwillig. Schon heftige Boen, die da mitkommen. Schnell gesellen sich auch Wellen zu diesem Spiel. Express-Fahrstuhl-Wellen. Drei Stunden dauert der Spuk. Jetzt ist der Wind wieder normal trotz dicker Wolkendecke. Alles grau in grau. Ich wünschte mir ein bisschen rosa um uns herum. Ich würde Glitzer drauf streuen. ;-) Positives? 1.) Noch 370 Meilen Rest nach Osten. 2.) Kein Wasser im Schiff. Achim hatte die verdächtigen Püttinge neu mit Sika abgedichtet und oh, Wunder, kein Wasser. Diese Undichtigkeit haben wir in Verdacht als Verursacher für das Wasser hinter der Sitzbank. Auch der Dorade-Lüfter hat noch nichts durch gelassen. :-)

Adios Providencia

So., 25.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1121, 11.213 sm von HH
Fast vier Wochen waren wir auf Providencia, der wohl untouristischten Insel in der gesamten Karibik. Ein echter Geheim-Tipp. Die Insel hätte das Doppelte an Zeit verdient. Nur irgendwann müssen wir weiter und das Wetterfenster (wie ich diesen Begriff hasse) ist gut – nun, was man so gut nennt (irrelach). Unser Mexiko-Ausflug fordert Rate Nummero zwei: weitere 450 Seemeilen Richtung Süd-Ost, 105 Grad direkter Kurs. Das wird wohl kaum segelbar sein. Der gleiche Mist, den wir schon auf dem Weg hierher hatten. Aber das Wetterfenster ist ja gut :shock: : Ost Wind mit kleiner Nord-Komponente.
Unser Ziel heißt Santa Marta. Das liegt im Osten von Kolumbien Festland. Normale Menschen fahren von hier aus nach Panama. 200 Seemeilen, zweieinhalb Tage, fertig, abgearbeitet. Unsere Prognose lautet sieben, acht Tage.
Warum Kolumbien?
Genießt Kolumbien doch ebenfalls einen zweifelhaften Ruf. Kokain-Mafia, Entführungen westlicher Touristen und die FARC-EP beherrschten die Negativ-Schlagzeilen in den letzten Jahrzehnten. In Segler-Foren gibt es Spielverderber, die vor Maus großen Kakerlaken in Kolumbien warnen. Bis zur 14. Etage sollen die Biester es schaffen. „Zähle Deine Finger nach, wenn Du einem Kolumbianer die Hand gibst“, warnen solche Insider. „Ich bin schon auf der ganzen Welt gereist, mir kannst Du glauben“, wird als Beweis-Führung hinterher geschoben.
Aber die gefährlichen Zeiten sind vorbei. Seit genau einem Jahr (Vertrag vom 22.Juni 2016) herrscht Waffenstillstand zwischen den FARC-EP Guerillakämpfern und der kolumbianischen Regierung. Nach über 50 Jahren Bürgerkrieg konnte man sich endlich auf einen Friedensvertrag einigen.
180 Tage hatten die FARC-EP Mitglieder Zeit, ihre illegalen Waffen an die Vereinten Nationen abzugeben. Die sind rum und das wird ja wohl geklappt haben. :mrgreen: Berichte über Entführungen von Touristen sind ebenfalls auf Null zurück gegangen. Das Auswärtige Amt spricht keine Warnungen mehr aus. Eine gute Nachricht. Wurde doch noch 2010 eine entführte Deutsche verklagt, ihre Befreiungs-Kosten an das Konsulat zurück zu erstatten. Die Charter des Hubschraubers, der sie aus dem Dschungel ausflog, belief sich auf 13.000 EUR. Jetzt, so die Vermutung, wäre so eine Befreiung kostenfrei. ;-) Bleiben noch die Kakerlaken. Na, mal sehen, ob die weltgereisten Experten Recht behalten werden.
Heute der Bericht von Land mal per Funk, seit zwei Tagen ist das Internet verschwunden.

Karneval auf Providencia

Mi./Do., 21./22.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1117/8, 11.213 sm von HH

Was wir zum Karneval auf Providencia geboten bekommen ist traumhaft.
Einem Drehbuch-Autoren für eine Slap-Stick-Sitcom-Komödie würde man das Drehbuch allerdings um die Ohren hauen: zu unrealistisch, zu übertrieben.

Noch während der Eröffnungsworte des Bürgermeisters fängt es Tropen-typisch zu gießen an.
Alle flüchten ins Trockene, der Bürgermeister spricht ins Leere.
Die Jury für die Misswahlen, der man ein Platz ohne Überdachung zugeteilt hat, ist ebenfalls verschwunden.

Der Guss ist kurz. Alle strömen wieder herbei.
Eilig besorgte Besen und Mopps aus dem naheliegenden Haushalts-Laden feudeln die Bühne trocken. Rechts und links wird das Wasser vom Laufsteg gefegt. Alles prima in Augenhöhe der Gäste. :lol:

Dann kommt der erste Akt: die Insel eigene Tanztruppe.
Gleich beim ersten Takt fliegen drei Damen die Federbüschel vom Haupt. Macht nichts, ganz Profis wird weiter getanzt.

Leider selten synchron.

Die Kostüme sitzen schlecht. Permanent droht, dass die linke Brust der Tänzerinnen aus der Bluse rutscht. Es wird gezuppelt und gezogen, aber alle Probleme werden weg gelächelt.
Und es wird weiter getanzt. Mit so viel Freude und Inbrunst, als ginge es um ihr Leben. :-)

Dann der Haupt-Akt: er erscheinen die Kandidatinnen für die Wahl zu Miss Providencia.
Die Mädchen werben auf der gesamten Insel mit hinreißenden Plakaten für sich.
Sie konnten sich bereits gegen die Dorf eigene Konkurrenz durchsetzen und kommen mit klangvollen Titeln wie Miss ‚Altes Dorf‘, Miss ‚Süßwasser‘ und Miss ‚Süd-West‘ auf die Bühne.

Sie werden charmant bewacht von den jungen Soldaten, des kleinen Armee-Stützpunktes auf der Insel. Die Ausgeh-Uniform der Jungs hat auch jemand entworfen mit viel Sinn für Humor.
Galant werden die Mädels auf die Bühne begleitet.

Dort dürfen die fünf jungen Mädchen eine Runde auf dem Laufsteg tribbeln unter dem großen Gejohle des jeweils eigenen Fan-Clubs.
So recht will das Laufen auf den hohen Hacken nicht klappen, kein Wunder, sind doch alle Schuhe zwei Nummern zu klein. :mrgreen:

Jetzt sind die Mütter dran.
Ob die Talente der Mütter mit in die Wertung bei der Wahl zu Miss Providencia einbezogen werden, wissen wir nicht. Hoffentlich nicht.

Eine Mutter wagt eine Tanzeinlage. Mit einem Tänzer, halb so groß wie sie, halb so alt und halbes Gewicht. Dafür schafft er doppelt so viele Schritte wie sie. Auf Hebefiguren wird weitestgehend verzichtet. :mrgreen:
Eine ganz, ganz schlimme Vorstellung.

Eine Mutter singt dann noch und schon fertig. Das war er, der Eröffnungsabend.

Am nächsten Nachmittag erfolgt die Parade, wie uns ein Veranstaltungs-Flyer verrät.
Erwartungsvoll stehen wir am Straßenrand.

Es ist eine sehr kurze Parade. In zwei Minuten ist sie vorbei.
Bestehend aus einem geschmückten, menschenleeren Wagen, aus der Tanz-Truppe von gestern Abend und einer süßen Kinder-Gruppe.

Alles weitere gleicht einem großen Kindergeburtstag.
Die Jungs der Insel knattern, mehr oder weniger originell maskiert, mit ihren Mopets im Kreis umher. Tollkühn auf dem Hinterrad, durch die Kurven rutschend. Haarscharf am Publikum vorbei. Mal gekonnt, dann wieder so schlecht, dass man besser hinter eine Mauer flüchtet.

Diese Insel ist ein rechtsfreier Raum für alle Moped-Fahrer.
Der Polizei, die den Zug begleitet, geht das Geschehen am Arsch vorbei. Hier darf wirklich jeder mit seinem Moped machen, was er will. :lol:

Der Verkaufs-Schlager sind Kartuschen mit denen Schaum versprüht werden kann.
Alles, was nicht flüchten kann, wird eingeseift. Ein großer Spaß, bis das Zeug in die Augen gerät. Dann fließen schon mal Tränen.

Zum Schluss kommen die Miss-Anwärterinnen.
Jede auf ihrem eigenen Wagen. Hübsche Dinger, so bei Tageslicht betrachtet. Aufgerüscht mit Federschmuck, der so mächtig ist, dass die Stromleitungen schon mal mit einem Besen hoch gedrückt werden müssen. Unglaublich.

Wenn so Kolumbien ist, dann freuen wir uns auf mehr. Eine großartige Veranstaltung, dieser Karneval auf Providencia. :-)

Der Peak

Mo., 19.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1115, 11.213 sm von HH

Neben dem Hausberg hat Providencia noch seinen höchsten Berg, den Peak. 360 Meter hoch. Da wollen wir hin. Da wollen wir hoch.

Der Startpunkt des Wanderweges liegt auf der anderen Insel-Seite. Also mieten wir uns erneut ein Moto. Busse fahren auf Providencia leider nicht.
Jede Familie hat mindestens ein Moto und damit wird alles transportiert und die Familien-Mitglieder kutschiert. Zur Not auch alle auf einmal.

Der Weg beginnt sanft neben Kuhweiden und ein paar landwirtschaftlichen Nutzflächen.
Schnell geht Kulturfläche in Wald über. Die gesamte Insel ist mit dichtem Urwald überzogen. Ohne herausragende, übertriebene Urwaldriesen. Aber doch Urwald, mit Orchideen, Lianen, Farnen und Bäumen bewaffnet bis unter die Blattspitze.

Aus netten Waldwegen werden Glitsch-Pfade. Der Boden ist weich und lehmig. Das Zeug bleibt an den Schuhen kleben. Eine drei Zentimeter-Schicht macht Beton-Schuhe aus unseren Tretern. Der Wald wird dichter und dunkler.

noch immer alles easy

noch immer alles easy

Wir werden von einem Frosch-Orchester begleitet. Von weitem klingt das Gequake wie das Gebell von kleinen giftigen Wadenbeißern. Kommt man näher macht es Geräusche wie das Platzen von großen Blasen. Griesbrei-Blasen. Mit einem metallischem Unterton.
Kommt man noch näher, verstummen die Apfelsinen großen Frösche. Zu sehen sind sie nicht. Nur der Froschkönig zeigt sich.

Wir kämpfen uns weiter hoch.
Nahe dem Gipfel ändert sich wieder die Vegetation. Lichter, flacher Wald, der bereits vereinzelte Blicke auf die Insel zulässt. Zig verschiedene Farne bedecken den Boden. Endlich weht ein Lüftchen.

Nach anderthalb Stunden haben wir es geschafft.

Jetzt nur noch runter. ;-)
Zum Teil ist das schwieriger als hoch. Der örtliche Alpen-Verein hat an einigen Stellen ein Geländer installiert. So brandneu, dass sogar noch die Sägespäne vom Aufbau zu finden ist. Sehr hilfreich, die Teile, an den rutschigen Passagen. Schulkinder haben Tafeln gemalt mit Hinweisen auf Naturschutz, Flora und Fauna.
Providencia gibt sich wirklich alle Mühe die Insel schön zu gestalten.

Providencia

Providencia

 

Liebliches Providencia

So., 18.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1114, 11.213 sm von HH

Providencia ist toll.
Ums Dorf führen kleine Trampel-Pfade, mal durch die Mangroven, mal am Küstensaum entlang. Immer idyllisch, immer sauber, immer sicher.
Über Kriminalität auf Providencia gibt es keine Berichte, ein Schubkarren-Diebstahl ist der schlimmste Vorfall der letzten Jahre.

Wundervolle Wanderwege

Wundervolle Wanderwege

Auf Atanga sieht es anders aus. Nix Idylle.
Egal was wir anfassen und kontrollieren, es gibt was auszubessern. An unserem kleinen Vorsegel, was uns die elf Tage hier hoch gepeitscht hat, sind zwei kleine Risse zu finden.
Das Unterlieg hat ebenfalls Scheuerspuren.
Die Risse näht Achim mit der Hand-„Nähmaschine“, dem ‚Speedy Sticher‘. Zwei Flicken müssen bis zum nächsten Segelmacher halten.

Das Einroll-Reffband für das Vorsegel ist ebenfalls hin. Zwei Scheuerstellen kurz vor durch. Wenn das bei 30 Knoten Wind reißt, hat man Stress auf dem Kahn.
Da haben wir ja mal richtig Schwein gehabt.
Ersatz ist nicht an Bord, aber die Reffleine ist lang genug. Es brauchen nur die Beschädigungen abgeschnitten werden.

Als das Vorsegel geflickt, die Leine gekürzt und alles fertig zum Aufrollen ist: Ende.
Die zuständige Winsch für die Schot dreht durch. Achim leitet eine außerplanmäßige Wartung ein.

Ist es denn zu fassen? Diese 1000 Meilen gegen an mit dem starken Wind haben dem Schiff mehr zugesetzt als 5000 ’normale‘ Meilen.

Es gefällt uns gut, dieses Providencia. Aber irgendwann müssen wir weiter. Ich mag noch gar nicht daran denken. Schön verdrängt diese Tatsache in den letzten drei Wochen.
Wir haben noch einmal 500 Meilen vor uns. Hoch am Wind. :shock: