Taranaki – ein verliebter Vulkan

9.-13.Mrz.23, Neuseeland/New Plymouth, Tag 3204-9, 24.688 sm von HH

Der Taranaki steht weit abgeschlagen von seinen Vulkan-Kollegen im Westen der Nordinsel. Mit 2.500 Metern ragt er als perfekter Spitzkegel auf einer weiten Ebene hervor. Warum er nicht auf der neuseeländischen Vulkan-Route steht, ist für Geologen noch ein Rätsel.
In der Mythologie der Maori gibt es dafür eine einfache Erklärung: Liebeskummer! Denn einst stand der Taranaki friedlich zusammen mit seinen Vulkan-Kollegen im Zentrum der Nordinsel. Aber dann verliebte sich der baumlose Taranaki in die bewaldete Bergin Pihanga. Leider war Vulkan-Kumpel Tongariro ebenfalls in Pihanga verliebt. Zwischen den beiden Bergen kam es zu einem heftigen Streit. Die Erde bebte und rumpelte – bis sich Pihanga für Tongariro entschied. Der abgewiesene Taranaki war todtraurig, verließ die anderen Berge und wurde an der Küste, seinem heutigen Standort, sesshaft. Erst wenn es zu dauerhaftem Frieden auf Erden kommt, werden die zerstrittenen Vulkane sich wieder vertragen und der Taranaki wird zu den anderen Bergen zurück kehren.

Bereits im November als wir in dieser Gegend waren, befürchteten wir, dass wir die wichtige Nachricht über den Weltfrieden verpasst haben. Kein Berg zu sehen. Auch als wir jetzt aus Kawhia anreisen, ist er unsichtbar. Ist er weg oder hüllt er sich in Wolken?

Zunächst ziert er sich für uns sichtbar zu werden. Ein beliebter Foto-Spot liegt an einem mehrere Kilometer langen Küstenweg, der um New Plymouth herum führt. Eine architektonisch gelungene Fußgängerbrücke wurde genau in Blickrichtung auf den Taranaki gebaut. Leider trüben Bauarbeiten in der Mitte der Brücke das tolle Fotomotiv.

Das weiße Tuffige im Hintergrund ist der Taranaki

Dekorative Fußgängerbrücke

in New Plymouth

Am nächsten Morgen umkreisen wir mit dem Auto den Taranaki. Ringstraßen führen durch den Nationalpark in verschiedenen Abständen. Mit dem Zirkel hat man die Grenze zum Nationalpark gezogen. Der Rand besteht aus Wiederaufforstung – überwiegend Kiefern. Dann schließt sich natürlicher Buschbewuchs an. Auf ungefähr 1500 Metern verschwindet die Vegetation. Im Winter ist das obere Drittel vom Taranaki Schnee bedeckt. Es gibt sogar eine Ski-Piste an der Ostflanke.
Die weite Ebene ist Baum frei und besteht nur aus Weideland.

Aus Westen gesehen – der perfekte Kegel

Mt. Taranaki oder auch Mt. Egmont genannt aus dem All – gut erkennbar der kreisrunde Nationalpark

strahlender Sonnenschein und für 10 Minuten freier Gipfel

 

New Plymouth hat knapp 50.000 Einwohner und ist schlechthin der Touristen-Standort für Ausflüge zum Berg. Zusätzlich ist der weitläufige Strand ein Surfer- und Kiter-Paradies. Entsprechend groß für so viel Andrang ist der Campingplatz am Ortsrand. Schwach besucht an den Wochentagen (es ist schon Nebensaison – deutlich zu merken), aber am Freitag reist die halbe Kiwi-Bevölkerung mit Wohnwagen, Kind und Kegel an zum Kurzurlaub. Schluss mit der Beschaulichkeit für die Atanga Rentner. Die Küche bei den Zelt-Parzellen ohne Strom sieht aus wie ein Schlachtfeld. Wir gehen zu den Einrichtungen bei den Hütten. Bingo! Dort ist es besser. Schnell haben wir raus, dass nach 19.00 Uhr Grill und Spülen wieder frei sind. Alle sitzen dann in ihren Wohnmobilen beim Abendkrimi oder bringen die Kinder ins Bett. Größer könnte der Unterschied zum betulichen Platz in Kawhia nicht sein.

Unter der Woche ist wenig los – am Wochenende der Teufel

Leuchtturm an der Westseite – Ebene bis zum Berg – jetzt wieder in den Wolken

Auch in New Plymouth schwarzer Sandstrand

Witzige Skulptur in New Plymouth

 

Perfekte Spiegelung – wo ist unten – wo ist oben? Park-Szenerie im größten Park von New Plymouth

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Kawhia – ein Zufalls-Fund

6.-8-.Mrz.23, Neuseeland/Kawhia, Tag 3201-3, 24.688 sm von HH

Neuseelands Hauptverkehrsadern nennen sich State-Highway. Das klingt nach Autobahn. Um Auckland herum stimmt das auch – mit Höchstgeschwindigkeit 110 km/H.
Im Rest des Landes sind die Highways im Grunde einfache Landstraßen. Häufig kurvenreich, gar nicht mal so breit und mit vielen Schlaglöchern gespickt.
Nebenstrecken sind ‚local roads‘ – noch kurvenreicher, noch enger.
Abgelegene Gegenden sind nur über Schotterpisten zu erreichen. Die haben immerhin noch einen Anteil von 40 Prozent des Straßennetzes.
Somit schafft man bei Leben erhaltender Fahrweise kaum 60 Kilometer in der Stunde – manchmal weniger. Wir beschließen zum Mount Taranaki (550 Kilometer) nicht in einem Rutsch durchzufahren.

Die Reiseleitung wählt Kawhia (sprich Kafia) als Zwischenstopp aus. Ein Ort, der in Reiseführern mit knapp zwei Zeilen Erwähnung findet. Muss man doch vom Highway runter und eine extreme enge ‚local road‘ 40 Kilometer zur Westküste runter fahren.
Da es sich nicht lohnt für eine Nacht das Zelt aufzubauen, planen wir von Anfang an zwei Nächte. Bereits am nächsten Morgen verlängern wir auf drei Nächte.

Der Campingplatz sieht von der Straße etwas rummelig aus. Klein, verbaut und in den Ecken gammelt etwas Schrott vor sich hin. Wir lassen uns nicht abschrecken und gratulieren uns zu dieser Entscheidung die nächsten zwei Tage. Küche und Waschgelegenheiten sind alt, aber sauber und alles funktioniert. Wir bekommen eine große Parzelle auf der Wiese – direkt am Wasser. Näher kann man nicht am Meer zelten. Der nächste Schritt wären nasse Füße. Der Preis mit 30 Dollar (18 Euro) liegt 20 Dollar unter dem Durchschnitt. Nachts hört man außer Zikaden nichts. Ein Rentner-Paradies. ;-)

Links unten unser Campingplatz – klein, aber fein

Die Bucht von Kawhia – unser Blick vom Campingplatz

Kawhia liegt an einem gewundenem Meeresarm ein paar Kilometer vom offenen Ozean entfernt. Ruhiges Wasser mit Mangrovensäumen. Die Wellen brechen sich weiter draußen an der Küste. Knapp 700 Einwohner, zwei Kirchen, ein Gemischtwaren-Laden und eine Tankstelle. Eine beschauliche Stimmung.

In Kawhia wohnen viele Maori – entsprechend hoch die Dichte an Maraes – Versammlungshäuser der verschiedenen Stämme

und Totems

 

Am nächsten Morgen gehen wir zu Fuß zum schwarzen Sandstrand. Der ist Kilometer lang und menschenleer. Nur ein Pärchen vergnügt sich in den Wellen. Das ist nichts für uns. Zwanzig Grad kaltes Wasser können uns nicht verlocken.

Schwarzer Traumstrand – hier noch bei Hochwasser

Am Nachmittag kommen wir zur Ebbe noch einmal wieder. Bewaffnet mit einer Schaufel, die wir uns vom Campingplatz leihen können. Die Hauptattraktion von Kawhia findet man nur bei Niedrigwasser. Ein offensichtliches Profi-Buddel-Paar scheint schon erfolgreich zu sein. Er buddelt wie ein Verrückter ein Loch in den Sand. Grade dort, wo die Wellen nicht mehr ankommen. Es rieht deutlich nach Schwefel dort wo er gräbt.

Wir suchen uns etwas abseits ebenfalls einen Claim. Achim fängt an zu graben. Das Loch soll sich eigentlich mit heißem Wasser füllen. Nein, alles bleibt kalt. Zwei Meter weiter das gleiche. Beim fünften Versuch dann auch bei uns ein Treffer: heißes Wasser. Die Hauptattraktion In Kawhia sind geothermische Stränge, die das Wasser bis auf 60 Grad erhitzen. Ein großer Spaß. Wenn man im Loch stehend sich mit den Füßen tiefer gräbt, verbrennen die Fußsohlen.

Eine Spur vergeblicher Versuche

Wenn Erwachsene nach heißem Wasser buddeln

Dann geben sie alles

wirklich alles

Die Profi-Buddler liegen in ihrem privatem Hot-Pool

Auf einmal wird es heiß unter den Sohlen

 

Kawhia, in jeder Hinsicht ein gelungener Zwischenstopp.

Die andere Seite der Halbinsel Kawhia – ebenso schön

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Die Handwerker verabschieden sich

Do., 02.Mrz.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3197, 24.696 sm von HH

Mit viel Verzögerung durch Regen im Januar und Zyklon Gabrielle vor gut zwei Wochen sind wir nun doch endlich fertig. Das letzte Projekt ist abgeschlossen. Die Löcher-Reparatur in den Fächern vom Cockpit war da noch einmal ein extra Schmankerl. Achim kam von unten an die Löcher nicht heran. Also hat er aus einem Joghurtbecher einen Deckel geschnitten. Diesen mit einer Schnur versehen und von außen mit Gewichten stramm vor dem Loch festgesetzt. Auf diesem  schwebenden Boden hat er dann Epoxy geschmiert. Toller Trick. Den habe er aber aus einem Buch, wie er mir gesteht. Trotzdem: Skipper Achim ist jetzt Bootsbauer-Experte in allen Belangen. ;-)

Bereits vor Weihnachten lackiert – jetzt erst eingebaut

Letztes Projekt im Cockpit – die Löcher stopfen – die zum Wassereinbruch bei Gabrielle geführt haben

Das Cockpit ist wieder zusammengebaut – alles lackiert inklusive Halter für die Instrumente und dem Brett im Hintergrund, alles glänzt – das Cockpit ist poliert und gewaxt – wir sind tatsächlich fertig!

Der Kahn ist aufgeräumt. Kisten mit Werkzeug und Material sind aufgelöst. Atanga sieht wieder wie ein Schiff aus. Die Fender baumeln am Bug. Das Dinghy steht wieder an Deck.
Wir haben jetzt tatsächlich alles erledigt, was wir uns an Renovierung und Erneuerung vor 15 Monaten vorgenommen hatten. Na ja, man soll nicht lügen … fast alles. Es gäbe am Rumpf noch ein paar Gelcoat Reparaturen. Dafür bräuchten wir wieder das große Gestell – das ist anderweitig vermietet. Eine vortreffliche Ausrede. Die Luft für ein weiteres zwei-Wochen-Projekt ist raus. Wir hängen unsere Overalls an den Haken.  Unsere Lebensleistung an Schleif-Arbeiten ist sowieso verbraucht. :mrgreen:

Boat Builder gesucht bei uns auf der Werft – kein Problem für uns, den Job nehmen wir – nach 15 Monaten Arbeit durch alle Gewerke :mrgreen:

Und nun? Jetzt ist noch einmal eine Tour mit dem Auto geplant. Einen Besuch der Südinsel haben wir im Geiste schon vor sechs Wochen gestrichen. Zufällig eine weise Entscheidung. Die Plätze auf den Fähren sind bis Ende März ausgebucht. Durch Gabrielle gab es Ausfälle im Fährbetrieb und dann ist auch noch eine Fähre so kaputt, dass sie wochenlang nicht fahren wird.

Wir machen da weiter, wo wir unsere Tour im November abgebrochen haben: beim schönsten Vulkan auf der Nordinsel, beim Mt. Taranaki. Mein Fuß ist wieder gut für fünf Kilometer ebene Strecke. Ob er in den Bergen zickt, werden wir erleben. Drückt mal die Daumen, dass die Sehnen-Reizung ausgeheilt ist. Die letzten Wochen habe ich noch einige Massagen und Mobilitäts-Anwendungen bekommen. ACC sei Dank war alles kostenlos. Die junge Physio-Dame hat mich nun als geheilt entlassen.

Spätestens am 1. April kommen wir von unserem Trip zurück und zwei Wochen später Atanga wieder zurück ins Wasser. Erst war uns der Termin zu spät. Jetzt sind wir froh. Die Zyklon-Saison ist voll im Gang. Judy und Kevin sind gerade auf dem Weg Vanuatu zu verwüsten. Diese beiden Stürme werden Neuseeland zum Glück nicht mal streifen.
Die Schäden von Gabrielle sind noch lange nicht beseitigt. Viele Straßen noch gesperrt. Wir werden uns auf einige Umwege einstellen müssen.

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Besuch in der Nacht

Do., 23.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3190, 24.696 sm von HH

Normalerweise braucht es eine Elefanten-Herde, um mich nachts zu wecken. In dieser Nacht ist es anders – ich höre ein leises Klingeln. Die Nacht ist windstill, die Luke über meinem Bett steht weit offen. Außer dem Klingeln ist nichts zu hören. Ich lausche: da wieder! Das müssen die Ketten der Ständer sein in denen Atanga steht, erkenne ich. Was mag in drei Metern Höhe mit den Ketten rasseln? Mein schlaftrunkenes Hirn versucht eine Lösung zu finden. Eine Katze? Dann höre ich Schritte an Deck. Tapp, tapp, tapp. Zu laut für eine Katze. Ich lausche und starre in die Dunkelheit. Über mir erscheint ein Gesicht und schaut frech zu mir herunter. Ich starre zurück. Ohne Brille kann ich nicht wirklich erkennen, wer da über mir hockt.

Höchste Zeit den Käpt’n zu wecken. Ich rüttel ihn wach. Das Gesicht an der Luke ist verschwunden. „Da ist was an Deck“, flüstere ich Achim zu. „Ein Tier.“  Mein Jäger ist sofort auf den Beinen. 30 Tausend Jahre Evolution seit Neandertal haben keinen Schaden angerichtet. Wiesel schnell schaltet Achim auf Jagdmodus und die Decksbeleuchtung an. Er springt ins Cockpit. „Da ist nichts. Hast du geträumt?“ Er schleicht ums Cockpit herum. „Doch, hier sitzt was. Ich glaube das ist ein Possum.“ Der freche Kerl lässt sich gar nicht stören. Ich kann auch einen Blick auf ihn werfen und sogar gemütlich den Fotoapparat holen. Selbst der Blitz irritiert unser Possum kein bisschen. Erst als wir ihm von zwei Seiten auf den Pelz rücken, klettert er an den Ketten so herunter, wie er gekommen ist.

Possum in der Nacht

Der Fuchskusu, in Australien und Neuseeland Possum genannt, wird knapp so groß wie eine Katze und ist Neuseelands größter Schädling. Das Beuteltier mit wertvollem Pelz stammt ursprünglich aus Tasmanien. Vor hundert Jahren wurden 200 Tiere für die Pelzzucht nach Neuseeland gebracht und die haben sich hier ungehemmt vermehrt. Ohne natürliche Feinde ist die Population auf 40 bis 70 Millionen (!) Exemplare angewachsen.

Diese verwüsten nicht nur Gärten und Felder, sie fressen wortwörtlich ganze Wälder kahl. Bevorzugte Nahrung sind Blätter und Knospen.
Seit den 1990er Jahren rückt man den Possums mit Fallen auf den Pelz. Unterwegs auf unseren Wanderungen haben wir viele Fallen gesehen. Häufig sind die erst nach stundenlangem Marsch zu erreichen. In keiner Falle haben wir ein erschlagenes Possum gefunden.
Dafür sieht man umso mehr überfahrene Tiere. Die nachtaktiven Fuchskusus scheinen auf Autos so zu reagieren, wie auf uns an Deck. Nämlich gar nicht. Somit sind in einigen Gegenden die Straßenränder förmlich übersät mit Kadavern. Wer für Naturschutz ist in Neuseeland, bremst nicht für Tiere.
Zusätzlich gibt es noch Fallen mit Giftködern. Die Possums auszurotten ist erklärtes Ziel der Naturschutz-Behörde.

Possum-Falle in Opotiki – Achim hat die Falle gespannt und mit einem Ast ausgelöst – der wurde von der Wucht der Falle in tausend Stücke zerschlagen

Das Fell der Fuchskusu ist außerordentlich weich. Da aber weltweit die Nachfrage nach Pelz zurück gegangen ist, kam in Neuseeland der Handel fast zum Erliegen. Vor knapp zwanzig Jahren fand man jedoch ein Verfahren, um aus den Haaren des Possums Wolle zu spinnen. Seitdem lohnt sich die Jagd nach dem Schädling wieder.
Putzige Tiere – nur zur falschen Zeit am falschen Ort. In Australien ist das Possum übrigens geschützt. Durch Fress-Feinde, wie Schlangen, Eulen und Dingos hält sich ihr Bestand auf ein natürliches Maß.

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Aug in Aug mit Gabrielle

Mi., 15.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3182, 24.696 sm von HH

Gabrielle ist hebräisch und bedeutet „Gottes Heldin“. Wer hatte nur die schlechte Idee, einem Zyklon diesen Namen zu geben?
Hurrikane, Taifune und Zyklone sind dasselbe. Mit dem einzigen Unterschied, dass Zyklone nur auf der Südhalbkugel vorkommen und sie sich im Uhrzeigersinn drehen. Das Gute an Wirbelstürmen ist, dass man ihre Entstehung heutzutage frühzeitig entdecken kann. Die Vorwarnzeit beträgt mehrere Tage. Nur die exakte Laufbahn ist noch immer schwierig vorherzusagen.

Samstag, 4. Februar
Wir bekommen heute das erste Mal Wind (`tschuldigung – doofes Wortspiel  :lol: ) von einem sich aufbauenden System. Das ist total uninteressant. Eher beunruhigend für Insel-Staaten im Norden wie Neu Kaledonien und Fiji. Was hat Neuseeland mit diesem Tief zu tun?

Dienstag, 7. Februar
Aus dem harmlosen Sammelbegriff „Tief“ ist nun ein Zyklon geworden. Die ‚Heldin Gottes‘ wird aus der Taufe gehoben. Gabrielle ist in den letzten drei Tagen mächtig gewachsen und auf direktem Weg nach Neuseeland unterwegs. So richtig ernst nehmen wir das noch nicht. Gabrielle wird schon abdrehen. Wann wird Neuseeland direkt von einem Zyklon getroffen? Eben! So gut wie nie! Deswegen kommen die Segler aus Fiji ja extra hier rüber.
„Hui, das wird windig“, amüsieren wir uns.

Die Laufbahnen von Zyklonen zwischen 1985 und 2005 – Bola 1988 war noch schlimmer als Gabrielle – Foto Wiki

Mittwoch, 8. Februar
Gabrielle ist nun ein Zyklon der Klasse 3. Hat einen Druck von 962 Hektopascal. Eine Faustformel behauptet, je niedriger der Druck, desto größer die Zerstörungskraft.
An Neukaledonien und Fiji zieht Gabrielle bequem vorbei. Mehr als 30er Böen sind nicht vorhergesagt. Gabrielle hält weiter Kurs auf Neuseeland. Mit Amüsement ist es nun auf Atanga vorbei. Das Auge soll direkt über den Norden der Nordinsel ziehen. Über uns. Mit einem Grundwind von 45 Knoten und Böen bis 72 Knoten. Sonntag oder Montag soll das passieren. Erste Empfehlungen kommen über die Medien rein: Kaufen sie für einige Tage was zu essen, halten sie Trinkwasser bereit und eine Taschenlampe.
Ich gehe einkaufen.

Gabrielle rückt näher

Donnerstag, 9. Februar
Gabrielle rollt unbeirrt auf Neuseeland zu. Prognosen sagen jetzt, das Auge soll etwas weiter östlich an uns vorbei ziehen. Das würde einen Unterschied bedeuten von Böen 70 Knoten zu 50 Knoten – gefährlich zu unangenehm.
Wir binden alles weg. Räumen das Deck leer und unseren Arbeitsplatz unter dem Schiff.

Freitag, 10. Februar
Bestes Sommerwetter. Achim und ich gehen noch mal in die Stadt etwas bummeln. Die nächsten Tage kommen wir garantiert nicht vom Kahn. Gabrielle ist weiter auf dem Weg zu uns. Dass sie noch abdreht, wird immer unwahrscheinlicher. Nur wie stark wird sie sein? Die letzten zwei Tage ist sie zum Glück auf Kategorie 2 runter gestuft worden. Der Luftdruck im Auge ist etwas gestiegen.
Das Auge soll weiterhin östlich vorbei gehen, dann allerdings auf halber Höhe der Nordinsel einen Schlenker nach Süden machen. Die Regenfälle, die der Zyklon mitbringen soll, sind außerordentlich. Es gibt örtliche Warnungen von 400 mm in 24 Stunden.

Samstag, 11, Februar
Gabrielle hält Kurs. Sie ist zum Tropensturm herab gestuft worden. Zum Glück. Es geht los. Erste Böen mit 30 Knoten kommen tagsüber rein. Es regnet heftig. Aber alles auszuhalten. Dass Neuseeland so ein Wetter kann, hat es uns diesen Sommer schon etliche Male gezeigt. Nichts Besonderes.  Wir hocken trotzdem vor dem Wetter-Ticker. Der Wind soll zunehmen in der Nacht. Also beschließen wir als letzte Amtshandlung  auch noch das Bimini abzubauen.  Alle Luken sind zu, inzwischen schüttet es aus Eimern. Böen von 36 Knoten berichtet uns die Alrisha. Wir schlafen trotzdem gut in dieser Nacht.

Gabrielle

Sonntag, 12. Februar
Wir tappen morgens in den Salon. Ihhh! Pfui, was ist das denn? Der Fußboden im Eingangsbereich schwimmt. Es tropft von der Decke. Es tropft durch das Schott am Niedergang. Es tropft von den Leisten. Erste Rinnsale haben sich gebildet, die die Wand runter laufen. Es tropft auf den Herd, in die Spüle. Wir gucken uns ratlos an. Wo kommt das her? Da haben wir Millionen Dollar für die Decks-Sanierung ausgegeben und haben Wasser im Schiff? Da haben wir das Cockpit mit Epoxy repariert, Dichtungen neu gezogen und haben Wasser im Schiff? Ich könnte heulen.

Achim ist pragmatischer und geht auf die Fehlersuche: Der Wind kommt genau aufs Heck von Atanga (natürlich kommt er genau von hinten, grrr). Und waagerecht. Und in Mengen. Durch das fehlende Bimini wird der Regen bis an die Scheiben vom Cockpit getrieben. Dort weiß das Wasser nicht, wo es hin soll und sucht sich einen Fluchtweg durch einen Kabelkanal für die Navigation. Außerdem findet es seinen Weg durch zwei Abflüsse, die sich in den Kästen rechts und links vom Eingang befinden. Diese Abflüsse sind mit Kunststoffabdeckungen verschlossen und versiegelt. Hahaha, dachten wir zumindest. Die Versiegelung hat Undichtigkeiten, die wir bisher nicht gesehen haben. Ja, gar nicht sehen brauchten. Denn noch nie hat es so bei uns ins Cockpit geregnet.
Achim hat die Ursache gefunden und wer es findet, muss es beseitigen. Achim muss raus. :mrgreen: Das Bimini bei den Böen wieder aufzubauen, geht nicht. Da würden wir von Deck fliegen. Also installiert Achim ein Provisorium aus Planen vor den Niedergang. Die Planen bringen etwas Schutz, aber es tropft weiterhin im Halbsekundentakt von der Decke.
Achim baut eine Deckenverkleidung ab. Er schafft es, unter das Ende vom Kabelkanal eine Schüssel zu stellen. Die muss alle zwei Stunden ausgeleert werden. Der Rest fließt weiterhin die Wände runter. Mehr können wir nicht machen. Außer Handtücher überall auslegen. Immerhin ist es nur Süßwasser. :-)
Gabrielle wird zu unserer heimlichen Heldin erklärt  –  ohne sie hätten wir diese Schwachstelle niemals gefunden.

Um 16:30 Uhr dröhnt aus dem Handy ein Alarm. Der Notstand wird für unsere Region –Northland-  ausgerufen.

Alle zwei Stunden ist die Schüssel voll

Der Rest tropft daneben

Mit diesen Provisorien versuchen wir etwas Regen vom Eingang fern zu halten

 

Hier ist das Wasser rein gelaufen – Foto ist heute entstanden

und hier – die Deckel sind schon runter – die Reparatur hat bereits begonnen

Montag, 13. Februar
Wir gehen nur raus, wenn wir unbedingt müssen.
Es gießt und stürmt. Es stürmt und gießt.
Wieder starren wir auf den Wetter-Ticker. Der Wind soll doch drehen. Wann ist es denn so weit? Dann, am Nachmittag, ist es für zwei, drei Stunden etwas ruhiger. Das Zyklon Auge befindet sich ungefähr 150 Kilometer draußen auf offener See. Endlich dreht der Wind. Er kommt jetzt von vorne. Mit voller Wucht. Die Rückseite hat es in sich. Atanga rappelt und wackelt in ihren Stützen. Es fühlt sich an wie in einem Achterbahn-Wagon. Segeln ohne Schräglage. Segeln ohne Wasser. Schön ist das nicht, außer, dass spontan das Getropfe im Salon aufhört. Es gießt und gießt und gießt, aber der Regen bleibt draußen. Wunderbar. Da ist das Gewackel fast zweitrangig.
Die Nacht ist unruhig. Der Höhepunkt von Gabrielle ist erreicht. Unser Windmesser ist noch nicht wieder installiert, aber Alrisha und der Wetterbericht sprechen von Böen bis knapp 60 Knoten. Ja, so hört es sich auch an. Das Heulen und Brüllen des Windes ist grausam.

Der Blick runter von den Whangarei Falls an normalen Tagen

Gleicher Blick – gleiche Bäume am Sonntag – Foto credit unknown – Internetfund

Townbasin von Whangarei bei normalem Wasserstand

Der Wasserstand von Sonntag vor dem Restaurant – Foto Credit unknown – Internetfund

Dienstag, 14. Februar
Die hefigen Böen halten noch den Vormittag an. Dann hört der Regen auf. Der Wind geht runter. Grundwind noch 30 Knoten, Böen 45 Knoten. Nichts Besonderes ;-)
Wir haben das Gefühl, es überstanden zu haben. Uns ist nichts passiert. Nichts ist kaputt gegangen. Atanga steht noch – wäre auch irgendwie blöd gewesen,  das frisch renovierte Schiff auf die Seite zu legen.

Hier ist das höchste Hochwasser schon vorbei – Atanga steht links – zweites Schiff

Allerdings hat Gabrielle die Nordinsel in Verwüstung hinterlassen: Überflutungen. Erdrutsche und umgewehte Bäume. Weg gerissene Straßen. Stromausfall. Einhundert tausend Haushalte verbringen die nächsten Tage im Dunkeln. Ein Feuerwehrmann soll von einem Erdrutsch verschüttet worden sein. Von mehr Todesfällen haben wir zum Glück noch nicht gelesen. Whangarei ist im Augenblick abgeschnitten, so wie viele andere Orte auch. Zu viele Straßen sind nicht passierbar. Die Versorgung wird schwierig. Schon am Samstag soll es kein Brot und keine Milch mehr im Supermarkt gegeben haben. Der nationale Notstand ist ausgerufen worden.

Mittwoch, 15 Februar
Der prognostizierte Schlenker von Gabrielle ist eingetroffen. Was für ein Unglück. Das bedeutet, dass der Osten der Nordinsel auch die Rückseite vom Wirbel abbekommt. Als ob der Schaden im Norden nicht gereicht hätte. Im Süd-Osten kommt es zu den schlimmsten Überflutungen. 240 mm Regen fällt in 24 Stunden. Böen bis 75 Knoten an exponierten Stellen werden gemessen. MetService berichtet von 11 Meter hohen Wellen offshore. An der Küste kommen noch 5 bis 6 Meter Brecher an.

Bei uns in Northland scheint die Sonne mit stahlblauem Himmel. Als wir aufwachen, ist es fast windstill. Kein Geräusch mehr zu hören. Eine Wohltat nach 72 Stunden Dauerwind, Dauergetöse. Aber es fühlt sich wie eine Verhöhnung an: war was?
Niemals, nie, unter keinen Umständen möchten wir so einem Wirbel auf See begegnen. Ein Lehrstück, wie wichtig Wetter-Beobachtung ist – sogar an Land.

Gabrielle ist Morgen weg. Sie wird sich über dem kalten Wasser weiter im Süden einfach auflösen. Neuseeland wird etwas länger unter dieser Antiheldin leiden.

Nur ein Beispiel von vielen – Straßen sind verschwunden – Foto credit unknown – Internetfund

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