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Hausberg mit Tücken

Fr., 09.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1105, 11.213 sm von HH

Neben dem Hintern von Henry Morgan, hat Santa Isabel noch einen Hausberg, vielleicht 250 Meter hoch. Das kann ja wohl kein Problem sein, da mal eben hoch zu kraxeln. :lol:

Wir fragen uns durch, wo es einen Weg geben könnte: „Nur durch das Gatter, über die Kuhweide und immer der Nase nach.“
Die Kühe liegen dösig im Schatten und käuen wieder. Schmetterlinge tanzen, Eidechsen huschen umher. Eine bäuerliche Idylle.

Man hätte es von unten ahnen können, dieser Hausberg hat es in sich.
Zunächst kommen wir gut voran auf den Pfaden, die die Kühe ins hohe Gras getrampelt haben. Im Zick-Zack die Wiese hoch.
Dann noch mit den Hintern unterm Zaun durch.

Ab hier wird es schwierig und richtig steil. Wir quälen uns vorwärts.
Die Pumpe schlägt, der Schweiß fließt.
Inzwischen kommen wir nur noch mit Hilfe der Hände vorwärts. An Grasbüscheln ziehen wir uns hoch. Man muss schon beherzt zugreifen, sonst schneidet das Gras in die Finger.
Und aufpassen, dass man nicht einen dieser Kameraden zu fassen bekommt. ;-)

Pause im Schatten liegt nicht drin. Dann kommen sofort, angelockt vom Schweiß, irgendwelche Flug-Tiere. Verschnaufen geht nur in der Sonne. Es ist unfassbar heiß.
Die Wiese steht in voller Blüte. Wir sind übersät mit Pollen und Blütenteilen. Überall klebt das Zeug auf der nassen Haut. Es krabbelt und kribbelt.
Dazwischen eine Ameise, die einen sofort anpinkelt, wenn man zu lange auf der Stelle verharrt. Also weiter, weiter. Es wird immer steiler. 40 Grad Steigung, ungelogen.

schon steil

schon steil

Wir geben auf. 10 Meter vor dem Gipfel.
Na, das ist ja was für uns beide. Aufgeben, so kurz vorm Ziel. Aber wir merken, zurück geht es nur auf dem Hosenboden (warum habe ich ausgerechnet heute den kurzen Rock an).
Es ist unfassbar steil. Das Wort ’senkrecht‘ darf ich schon seit einer halben Stunde nicht mehr verwenden. :mrgreen:
Wer hier ein Grasbüschel erwischt, was nicht hält, kommt erst wieder im Dorf zum Stoppen.

Es nützt nichts. Wir drehen um.

Die Kühe sind nun auch munter. Aber halt! Ein Blick zwischen ihre Beine stellt klar, zwei sind gar keine Kühe, sondern echte Männer, echte Bullen.
Achim sind Rindviecher suspekt. Er behauptet, sie warten nur auf ihn und haben sich bereits in Formation aufgestellt.

Er wählt den Weg direkt am Zaun. Dort ist es mir zu steil, außerdem wachen dort Kakteen. Ein falscher Tritt und man sieht aus wie ein Nadelkissen. Nein, danke. Ich nehme wieder die Trampel-Pfade im Zick-Zack.

Die Rindviecher, Männer und Frauen, ignorieren uns komplett. Ungehindert kommen wir zum Gatter zurück. Was für ein kleines, großes Abenteuer. :-)

Erster Landgang

Di., 05.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1101, 11.213 sm von HH

Nach fast drei Wochen ‚Gefangenschaft‘ auf dem Kahn ist es eine Freude an Land zu sein.
Wenn es dann noch so hübsch ist, wie auf Providencia ist alles im Lot. :-)

Providencia ist winzig, nur sieben Kilometer lang, vier Kilometer breit, 360 Meter hoch und beherbergt 5.000 Einwohner.
Zu Providencia gehört noch Santa Catalina mit dazu. Eine noch winzigere Nebeninsel, die mit einer gefälligen Schwimmbrücke mit der Mutterinsel verbunden ist.

Die Gemeinde investiert viel Aufwand in ‚mein-Dorf-soll-schöner-werden‘. Gepflasterte Wege sind mit bemalten Bänken bestückt, die Häuser bunt, Müll wird getrennt und es blinkt und blitzt an jeder Ecke.

 

 

Autos spielen keine Rolle, auf Providencia fährt man Moped. Selbst die Taxis sind zweirädrig. Dann wird eben zu dritt auf den kleinen Zweisitzern gefahren.

Es gibt fünf kleine Supermärkte, alle liegen direkt nebeneinander. Warum auch immer. Ein Laden wäre viel sinniger. Für einen Einkauf muss man alle Läden abklappern. Der eine hat nur gammelige Zwiebeln, der nächste keine Kartoffeln. Aber man bekommt alles, was man zum Leben braucht. Zu überraschend niedrigen Preisen.

In der Bucht liegen kein zehn Schiffe am Anker und über allem thront der Hintern von Henry Morgan.

The ass of Henry Morgan

The ass of Henry Morgan

 

Henry Morgen, seines Zeichens Freibeuter im Auftrag der englischen Krone, startete von Providencia aus sein größtes Husarenstück: der Überfall und die Unterwerfung von Panama. Über 1.800 Mann auf 36 Schiffen konnte er für diese Unternehmung gewinnen. Eng dürfte es in der kleinen Bucht mit den ganzen Piraten-Schiffen gewesen sein.

Henry Morgan gilt als Erfinder des „Piraten-Ehren-Kodex“, eine Art Sozialversicherung für Freibeuter: „Sie erhalten für den Verlust eines rechten Arms 600 Piaster oder sechs Sklaven, für den Verlust eines linken Arms 500 Piaster oder fünf Sklaven…
Eine Menge Holz bedenkt man, dass eine Kuh nur zwei Piaster kostete.

Nicht zu Unrecht wurde der berühmte Rum ‚Captain Morgan‘ nach Henry benannt. Der Freibeuter galt sein Leben lang als starker Trinker und ist wahrscheinlich an einem Leber-Leiden gestorben.

Den Einwohnern von Providencia hat der lange Aufenthalt der Engländer die Sprache hinterlassen. Mit dem Spanisch vom Festland Kolumbiens hat Providencia nicht viel am Hut. Geschrieben ist alles in der offiziellen Amtssprache, gesprochen wird überwiegend Englisch.

„Oh, mein Gott, wie furchtbar!“

Sa./So., 03./04.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1098/9, 11.213 sm von HH

Mit jeder Schicht, die Achim entfernt, wird mein Entsetzen größer. Ich halte mich nicht an die Abmachung und wiederhole gebetsmühlenartig meinen Spruch.

Hinter unserer Sitzbank lauert das Grauen. Das blanke Wasser steht kurz vor dem Polster.
Es hilft nichts, die Sperrholz-Verkleidung muss runter. Die Isolierung dahinter ebenfalls.
Wir sind runter bis aufs nackte Polyester.
Soviel ist klar, hier steht nicht das erste Mal Wasser.
Die Rückwand war mit Sicherheit noch nie ab. Warum auch? Dahinter hat sich der Staub der Jahrhunderte mit Salzwasser zu einem unangenehmen, schwarzen Brei verbacken.

Providencia, adé. Heute lernen wir uns mit Sicherheit nicht kennen.

Die durchfeuchteten Bretter und Isolierung kommen an Deck zum Trocknen. Alles wird schön sauber gemacht und gewienert. Bis auf Auslieferungs-Niveau (ich kann’s nicht mehr hören :lol: )

Den, zum Teil abgelösten, weißen Kunstleder-Überzug auf den Rückwand-Platten entfernen wir komplett. Der ist überhaupt Schuld, dass wir bislang nicht gesehen haben, dass Feuchtigkeit hinter der Rückwand wohnt.
Eine überlappende Klebung hat die Sicht auf die Dinge verhindert.
Erst jetzt, durch das viele Wasser, hat der Kleber aufgegeben und gibt den Blick frei: „Oh, mein Gott!“

Die, alles entscheidende, Frage…wo kommt das Wasser her? Der in Verdacht geratene Dorade-Lüfter scheidet aus. An der Stelle ist alles dicht. Es können somit nur kleine Fugen-Undichtigkeiten im Teak-Deck sein. So richtige Übertäter sind allerdings selbst mit Lupe nicht zu entdecken. Vielleicht sucht sich das Wasser auch einmal quer über Deck seinen Weg, läuft an der Decke entlang, um hinter unserem Sofa zu enden.
Um Laufspuren an der Decke zu finden, müsste allerdings die Decken-Verkleidung runter. :shock: Nein, nein, soweit sind wir noch nicht.

Der Törn hat Mensch und Material ganz schön etwas abverlangt. Obwohl ich den Törn fast weniger schlimm fand als die Aufräum-Arbeiten danach. :mrgreen:

1.) Der Radar-Dom hat sich los gewackelt. Zum Glück nur Schrauben, keine gebrochenen Nieten. Bereits gefixt.

2.) Unser gebrochenes Want werden wir erst in Kolumbien Festland tauschen können. Bis dahin muss Achims Not-Reparatur seinen Dienst verrichten.

3.) Unser Schlauchboot (Aluboden) hat scheinbar ein klein wenig Spiel gehabt.
Trotz guter Verzurrung auf dem Vorschiff. Durch eine Million kleiner und großer Schläge hat sich eine Kante der Klampe auf der Ankerwinsch aufgerieben.
Der Fender, als Polster dazwischen, hat sich bereits an Tag drei verabschiedet und lag herrenlos an Deck herum.
Ein kleiner Kurs in Ladungs-Sicherung wäre nicht schlecht. ;-)

Die unter-den-Bodenbrettern-Kontrolle hat keine Überraschungen mehr gebracht.
Wir sind dankbar. Und Morgen, Morgen, geh‘ ich nun wirklich von Bord.

Wie gefällt Ihnen eigentlich Providencia?

Fr., 02.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1097, 11.213 sm von HH

Keine Ahnung. Ich war noch nicht an Land. Seit fünf Tagen nicht.
„Ich geh‘ hier nicht runter, bevor nicht alles wieder schick ist“, informiere ich Achim gleich nachdem der Anker fällt.
Da kann ich stur sein. Hab ja sonst keine Macken. :mrgreen:

Auf der Jagd nach Salzkristallen stoße ich schnell auch auf Schimmel. Die mangelnde Lüftung der Überfahrt zeigt sich mit leichtem Überzug von weißem Pferd auf Holz. Dort wo sowieso wenig Luft hinkommt.
Gut, dann brauch ich eben drei statt zwei Tage, bevor ich hier runter komme.

Achim erkundet derweil die Insel.
Er kennt schon die halbe Inselbevölkerung. Mr. Bush, den Agenten (ohne ist nicht erlaubt in Kolumbien) zum Einklarieren (alles ganz easy hier, macht alles Bushi für 180 USD und einen gratis Revierführer Kolumbien gibt es noch oben drauf).
Und Barbara, die Frau mit der einzigen Wäscherei (teuer, aber gut) der Insel.

Vom Supermarkt und einer Eisdiele wird mir berichtet. Er findet das Bucht-übergreifende Internet. Gratis und nachts sogar schnell.
Es passt mir ganz gut, dass Achim stundenweise von Bord verschwunden ist, ein wenig Abstand vom Mann nach so einer Fahrt schadet nicht. ;-)

Neben seinen Landgängen kümmert er sich um unser gebrochenes Fall.
Natürlich ist das Ende vom Fall im Mast verschwunden. An eine Pilot-Leine kommen Muttern als flexibles Gewicht und die fädelt Achim von oben in den Mast ein. Am unteren Ausgang für das Fall (knapp zwei Meter über Deck) soll diese Pilotleine wieder zum Vorschein kommen. Das gelingt auf Anhieb.
Problem Nr. 1 ist gelöst, wir haben wieder ein Fall an der Fock.

Dem Windmesser ist nicht so leicht beizukommen.
Die stille Hoffnung von unterwegs, dass es sich nur um ein korrodiertes Kabel handeln könnte, stirbt nach einem Vormittag Gepröcker und Gemesse an den Kabeln.
Vorläufige Diagnose: echter Tod.

Ich putze mich in Rage.
Alle Oberflächen, jeder Gegenstand ist salzig. Gischt und der Wassereinbruch haben ganze Arbeit geleistet. Die Salzkruste auf den Glas-Scheiben der Sprayhood ist nicht wasserlöslich (hat man da in der Schule nicht mal was anderes gelernt…, hä?).
Auch nicht essiglöslich. :cry: Erst mit dem Ceran-Feld-Schaber geht es runter (seit drei Jahren liegt der Kerl ungenutzt im Schrank).
Alle Schapps werden kontrolliert, ausgeräumt, Staulisten erneuert und wieder eingeräumt.
Die Polster mit Teppichschaum bearbeitet und Achim an Land für Putzmittel-Nachschub gejagt.

Dann ein unvorsichtiger Blick in unsere Box in der Pantry.
In der riesigen Edelstahlbox lagern wir Getränke-Dosen. Da man diese auch als Kühlbox benutzen könnte, hat die Box einen dicht schließenden Deckel mit Gummi-Lippe.
Der Gestank, der mir entgegen kommt ist eine brisante Mischung aus Bier-Maische mit Orangen-Note, leicht vergoren und vergammelt.
Knapp zehn Dosen haben die holperige Fahrt nicht überlebt und sich in die Box ergossen.
„Ich geh‘ nicht von Bord. Nicht ehe alles fertig ist…“!

An Tag fünf ist noch das Vorschiff übrig. Das kann ich nur mit Achim zusammen. :shock:
Die schweren Ersatzteil-Kisten und Segel tief aus dem Bug zu hieven, schaff ich nicht alleine. Wider Erwarten, können wir ganz gut zusammen arbeiten.
Noch besser wird es als wir vereinbaren, dass ich aufhöre nach jedem Brett, was er hoch nimmt „Oh, mein Gott, wir furchtbar“ zu rufen und er nicht mehr mit „Alles wie im Auslieferungs-Zustand“ kontert. :mrgreen:

Wir haben im Vorschiff mehr Wasser genommen als erwartet.
Einen echten Grund finden wir nicht dafür. Wir vermuten, dass die Wellen, die wir übergenommen haben, mit so viel Druck gegen die Luken geschlagen sind, dass die ganz leicht angehoben wurden und, schupps, wieder eine Tasse voll Wasser seinen Weg in unser Schiff gefunden hat.

Nach acht Tagen Dauerwasser auf dem Vorschiff läppert sich da so manch Liter zusammen.
Das Wasser ist zum größten Teil an der Steuerbord-Wand entlanggelaufen, hat sich seinen Weg über fast alle Kisten, Tüten und Taschen bis nach unten in die Bilge gesucht.
Ein aufgeweichter Sack mit Holzkohle, der beim zweiten Anfassen rechts und links aufplatzt, ist ein Quell der Freude. :evil:
Wir brauchen den ganzen Tag zum Ein- und Ausräumen.
Zum Glück regnet es nur nachts, so dass wir durchgeweichte Sachen gut auf dem Vorschiff trocknen können.

Jetzt sieht es aus wie im Auslieferungs-Zustand. „Sag ich doch“, freut sich der Skipper.

Morgen noch unter die Bodenbretter schauen und hinter die Polster von der Sitzbank. Einmal feucht durchwischen. Fertig.
Und dann geh ich Providencia angucken. :-)

Gegen den Wind segeln

Di., 30.Mai 17, Kolumbien/Providencia, Tag 1095, 11.213 sm von HH

Kann man machen, muss man aber nicht.

Joke is

Joke is

 

over

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Bis 15 Knoten ist das noch Spaß (wie letztes Jahr als wir von Guyana nach Französisch Guyana gesegelt sind).
Ab 20 Knoten fängt es an ungemütlich zu werden, bei 25 Knoten wird es fies und ab 30 Knoten ist definitiv Feierabend. Da macht man keinen Handschlag mehr, außer sich festzuhalten.
Und bei Boen bis 38 Knoten entgleisen alle freundlichen Gesichtszüge. Sogar Achim hat geschluckt. :mrgreen:

Mit Ausnahme des letzten Tages mussten wir auf diesem Törn ausschließlich hoch am Wind segeln. Das ist nicht zu erklären. Schließlich haben wir unseren Kurs um 90 Grad geändert. Eine Strecke hätte also Halbwind sein sollen. Hätte, hätte, Ankerkette. War aber nicht. Die dichtgedröhnten Windgötter hatten drollige fünf Minuten.

949 Meilen hoch am Wind. Früher, zu Ostsee-Urlaubs-Zeiten, haben wir es nicht bis Bornholm geschafft…80 sm gegen den Wind zurück erschien uns einfach nicht machbar. :lol:

Wer Bock auf Nudeln mit Ketchup hat, sollte so einen Törn unbedingt versuchen. Und du willst deinen Mann mal nackt (Waltraut! ;-) ) reffen sehen, dann mach so eine Tour.
Memo an die Pantry: Unbedingt für drei, besser vier Tage vorkochen.
Memo an den Verstand: Unbedingt so eine Strecke vermeiden.