100 Tage Fazit (getrennt von einander befragt)

Sabine`s Fazit:

Ich vermisse nicht Fernsehen oder Auto, nicht die Arbeit (wen wundert’s) und weder Waschmaschine noch Geschirrspüler. Noch nicht einmal meinen Garten, denn meine liebsten Pflanzen haben ja eine neues Zuhause gefunden.

Das neue Leben bietet mehr als genug Herausforderungen, jeder Tag kommt mir wie ein kleines Abenteuer vor. Denn neue Orte, Geschäfte, Waschsalons, Gepflogenheiten und Märkte mit ständig wechselnden Sprachen wollen erobert und sich erarbeitet werden.

Außerdem sind wir ja nun nicht mehr nur Küstensegler, sondern machen jetzt die langen Segel-Schläge mit den Nachtwachen und Wachwechseln (die aber halb so schlimm sind, wie ich erwartet hatte), mit  der ungewöhnlichen Atlantikdünung und dass 6 Windstärken auf einmal Normalität zu sein scheinen (es gibt Charterfirmen in der Ostsee, die verbieten bei 6 das Auslaufen aus dem Hafen). :shock:

Die Seekrankheit hält sich, wenn ich bei Welle die ersten Stunden konsequent an Deck bleibe, prima zurück. Und Achim als Skipper erweist sich nicht nur als seefest, sondern als vertrauenerweckend souverän, umsichtig, zuverlässig, streng und gerecht und sehr liebenswürdig. Aber trotz der zunehmenden Gewöhnung an das Segeln und das wachsende Vertrauen in unser Schiff, wird dies nie meine Passion werden, aber als Mittel zum Zweck ist es akzeptabel und erträglich.

Langeweile ist bislang ein Fremdwort:

Spanisch Vokabeln werden gepaukt, mein Gitarrenspiel wird je nach akutem Erfolg oder Misserfolg fortgeführt oder sein gelassen…. Mal muss die Naht an einer Tasche genäht werden, ein Obst-Netz wird gehäkelt oder die  Blog-Einträge wollen geschrieben werden, Fotos sortiert und eine Art Buchhaltung über unsere Ausgaben wird erstellt (peinlich :mrgreen: )… genau genommen ist es eine echte Buchhaltung mit einem alten Einnahme-Überschußprogramm (sehr peinlich :mrgreen:  :mrgreen: )

Ich habe viel Zeit zum gemütlichem Einkaufen und Kochen, eigentlich einem meiner liebsten Hobbies. Wir gehen auf richtige touristische Sightseeing-Touren, machen Fahrrad- oder Fotoausflüge und selten, ganz, ganz selten ist noch etwas Zeit zum Lesen übrig. ;-)Zum Video Filmen bin ich noch gar nicht gekommen, die Tage sind einfach zu kurz….

Zwischenmenschlich läuft es auch super gut… was bei 24 Stunden auf engstem Raum zusammen leben nicht selbstverständlich sein muss. Auch wenn es mal atmosphärische Störungen zwischen uns gibt, so sind diese nicht ausgeprägter als im ersten Leben. Besonders einfach wird das Miteinander dadurch, dass wir uns über die Reisegeschwindigkeit, Ortswahl, Freizeitgestaltung und Zeiteinteilung einig sind. Der Rest wird mal mehr mal weniger impulsiv besprochen…

Tja, und  vermissen…, was ich wirklich vermisse neben der Familie, Freunden und dem besten Kumpel, ist eine Dunstabzugshaube.

Joachim`s Fazit:

Nach 100 Tagen ist nun an der Zeit ein erstes Fazit zu ziehen. War die Entscheidung richtig, alles aufzugeben und haben wir das bekommen, was wir uns erträumt hatten?

Tatsächlich ist es so, dass es mir so vorkommt, alles wären wir schon ewig unterwegs. Die Erinnerung an unser altes Haus in Hamburg verblasst und es gab nur wenige Tage, an denen ich überhaupt noch einmal daran dachte. Wahrscheinlich ist die Anzahl von neuen Eindrücken einfach zu groß. Wenn wir z.B. die Häfen zu schnell hinter einander wechseln, dann erwischt man sich schon fast dabei, dass man nicht mehr weiß, wo man gerade ist. Meist umgehen wir dieses „Problem“, in dem wir einfach in jedem Hafen etwas länger bleiben. Ich denke, dass man das am Besten mit dem Zeitempfinden während der eigenen Kindheit vergleichen kann. Als Kind habe ich die Jahre als sehr lang empfunden, ohne dass diese langweilig waren.

Das Leben an Bord hat sich recht gut eingespielt. Wir haben zwar nicht mehr so viel Platz wie früher, aber vermissen tun wir/ich das nicht. Was haben wir eigentlich mit diesem Platz angefangen? Wir gingen zur Arbeit und abends wurde häufig ausgiebig ferngesehen. Fernsehen….was war das noch? In den vergangenen 3 Monaten haben wir nur ein paar Spiele während der WM in verschiedenen Kneipen gesehen und zweimal haben wir uns einen Film auf dem Laptop angeschaut. In Summe also so viel, wie wir früher in 2-3 Tagen abgearbeitet hätten.

Ein wichtiger Teil des Lebens an Bord besteht in der Beschaffung von allem, was benötigt wird. Wie bequem war es früher, einfach mit dem Auto irgendwo vorzufahren und den Kofferraum vollzupacken. Wenn wir heute in einen neuen Hafen fahren, dann heißt es erst einmal herauszufinden, wo denn überhaupt der nächste Supermarkt ist. Dann werden die Fahrräder aus ihren Taschen geholt und schon sind wir bereit, 20-30Kg Nahrungsmittel und Getränke zu transportieren. Meist übernimmt Bine den Einkauf, da sie mich im Laden als wenig motivierend empfindet.

Das Segeln ist bislang eigentlich so, wie ich es erwartetet habe. Es ist Mittel zum Zweck, um von A nach B zu gelangen. Oft kam der Wind sowieso aus der falschen Richtung, oder war zu schwach. Wir sind keine ambitionierten Segler und werden es wohl auch nicht mehr. Es ist das Leben an Bord, was den Reiz ausmacht. Es ist aber nicht so, dass wir das Segeln verdammen. Wir würden aber niemals auf die Idee kommen, unseren Liegeplatz für einen kurzen Törn zu verlassen.

Zeit…der pure Luxus und das höchste Gut. Zeit haben ist Grundlage, um diese Reise machen zu können. Gern hätten wir noch mehr davon. Die Tage sind häufig unbestimmt im Ablauf. Meist stehe ich zuerst auf und genieße die ersten ruhigen Morgenstunden im Hafen. Wenn Bine dann dazu kommt, wird irgendwann gefrühstückt und der Plan für den Tag gemacht. Das kann dann von Einkaufen, Ausflug machen, Putzen….alles Mögliche sein. Anders als im Urlaub vermischen sich Dinge. Einkaufen und Ausflug schließen sich nicht aus, sondern werden häufig in einem Abwasch erledigt. Dinge lassen sich aber auch mal verschieben, wenn man einfach keine Lust hat, oder etwas anderes machen möchte, wie z.B. Lesen oder einfach mal nur so dasitzen….

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich an einem komplett neuen Lebensrhythmus gewöhnt und Dinge als Normalität akzeptiert, die man zuhause wohl nicht lange ausgehalten hätte (lange Wege zur Dusche, die auch häufiger mal kalt ist, ein handbetriebenes Klo, Beschaffung von Gas und Wasser, niedrige Türen, an denen man sich immer mal wieder den Kopf stößt, etc etc).

Die Entlohnung in Form von maximaler Freiheit bei der Zeiteinteilung, den vielen neuen Eindrücken, dem Erleben der Länder, die wir bereisen, ist für mich jeden Preis wert.

 

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