Mast Marathon

Di./Mi, 13./14.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1109/10, 11.213 sm von HH

Das ist die neue sportliche Betätigung auf Atanga. Aber nur für Achim.
Ich darf unten stehen und ihn sichern. Und ich darf an Strippen ziehen, wenn das entsprechende Kommando von oben kommt.
Achim hat es keine Ruhe gelassen, dass unser Windmesser wirklich kaputt sein soll und somit nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Das Kabel für den Windmesser steht unter Tatverdacht und soll aus dem Mast raus.
Es muss von oben gezogen werden, denn oben ist ein Stecker für den Windsensor befestigt. Unten kommt eine Pilotleine dran, damit das Kabel nach der Kontrolle wieder an seinen Platz zurück kann. Das klappt vom Feinsten.

Schieres Entsetzen bei der Begutachtung des Kabels.
Es ist auf eine Länge von zwei Meter korrodiert. Da kann ja kein Wind mehr durchkommen.
Am liebsten würde Achim das Kabel komplett tauschen, aber sechs-ädrig gibt es auf Provedencia nicht zu kaufen.
Im Kabel-Fundus von Atanga befinden sich noch sieben Meter entsprechendes Kabel. Also wird als Notreparatur ein Stück an das alte Kabel dran geflickt.
Es wird gelötet und gebastelt. Bis hierhin alles fein.

Das geflickte Kabel soll nun an seinen Platz zurück. Jetzt kommt mein Einsatz.
Ich darf unten an der Pilotleine ziehen bis das Kabel kommt. Kurz bevor es aus dem Mast-Loch flutschen soll, ist Feierabend. Nichts geht mehr.

Alle Kabel im Mast (Antenne, Toplicht, Radar) laufen in einer Art Kabel-„Rohr“. Dieses Rohr hat sich am Mast-Fuß etwas verdreht, einen Knick gebildet, so dass das Wind-Kabel dort stecken bleibt. Alle Versuche bleiben ohne Erfolg. Mit Isolierband und Vaseline ein geschmeidiges Flutschen zu erzwingen, scheitern. Das Kabel bleibt kurz vor dem Ausgang stecken.

Das Loch im Mast, aus dem die Kabel kommen ist klein. Nicht mal groß genug, um zwei Finger gleichzeitig reinzustecken. Aber man kann fühlen, das Problem ist das abgeknickte Rohr. Außerdem ist das Rohr proppe voll. Voll mit Kabeln, aber auch mit diversen Pilotleinen, die irgendwer dort mal „vergessen“ haben muss.

Mit Zange, Messer, Zahnarzt-Besteck und einer Rohr-Reinigungs-Spirale rückt Achim dem Knick im Rohr auf die Pelle. Stück für Stück kann er die verdächtige Stelle abbrechen. Stunde um Stunde prökert er in dem winzigen Loch herum.
Okay, nun kommt das große Aufräumen. Groß Reinmachen im Kabel-Rohr. Alle überflüssigen Pilotleinen werden losgeschnitten, entfernt und gezogen.
Nun sollte es klappen. Das Kabel sollte aus dem Loch flutschen.

Beim Ziehen an der Pilotleine kommt es, wie es kommen muss, sie reißt.
Durch die vielen Fehlversuche hat sie sich am Knick aufgerieben. :cry:
Das Kabel für den Windmesser ist nun unerreichbar.

Als neue Pilotleine für den Windmesser kann jetzt nur noch ein anderes Kabel fungieren, was sich bereits im Kabel-Schacht befindet. Achim wählt das Kabel für das Toplicht. Das funktioniert prima.

Aber, dass wir no
ch Licht auf dem Mast-Top haben, grenzt an ein Wunder. Das Top-Licht-Kabel ist ebenfalls rott. Ersatz, Ihr habt es gleich erraten, gibt es auf der Insel nicht.
Alle drei-ädrigen Kabel sind zu dick, der Platz im Schacht ist begrenzt.
Kurzerhand opfert Achim die Kabeltrommel. Da sind 25 Meter drauf, das langt.

Nach zwei Tagen ist es geschafft.
Der Windmesser zeigt wieder Wind in Richtung und Stärke an. Und das Top-Licht leutet ebenfalls noch.
Wir sind happy über unsere Mast-Stufen. Niemals hätte ich Achim so oft hoch winschen können. Ein unverzichtbarer Ausrüstungs-Gegenstand.
Ich weiß nicht, wie oft Achim den Mast hoch geklettert ist. Fünfzehn Mal. Zwanzig Mal. Oder mehr.

Übrigens, das Antennenkabel hat eine Scheuerstelle, das Kabel vom Radar muss ebenfalls noch getauscht werden und der 13-polige Radar-Stecker ist ebenfalls vergammelt. Das alles tauschen wir am Festland, wenn es wieder Kabel zu kaufen gibt.
Ein neuer Mast-Marathon wartet.

Idyllisches Providencia

Mo., 12.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1108, 11.213 sm von HH

Providencia muss man lieben. Bis auf das Essen.

Wir stoppen an einer zauberhaften kleinen Garküche.
Die Chefin rattert runter, was heute im Angebot ist. Und sie deutet in den Hintergarten. Dort steht ein Topf auf dem Holzfeuer und dampft vor sich hin.
„Was ist drin?“, fragt Achim. Ich höre ‚Fisch, muy bien, und Cocos‘ raus, die anderen Zutaten gehen in genuscheltem Spanisch unter.
Klingt doch gut, nehme ich. Achim setzt auf altbewährtes Huhn.

Der Hausherr scheint begeistert, ob meiner Wahl, ruft mich in den Garten und gewährt mir einen Blick in den Topf. Ich will nicht unhöflich sein und bleibe bei meiner Entscheidung, obwohl der Anblick keine Gelüste weckt.

Als mein Teller kommt, fällt sofort der zitternde Schweine-Schwanz ins Auge. Er erinnert stark an 50 Jahre Portugal. Der kommt als erstes an den Tellerrand.
Der Rest ist nicht gut. Warum sieht alles gleich blass aus? Die Soße ist fade und ungewürzt.War nicht von Cocos die Rede?

Was zum Teufel habe ich auf meinem Teller? Den Fisch (trocken und geschmacklos) erkenne ich und Maniok ebenfalls. Die beiden einzig essbaren Teile.
Der Restkommt zum Schweine-Schwanz.
Auf der anderen Tischseite wird lecker Huhn mit Kochbanane und Reis gefüttert. Gute Wahl.

Der Rest unserer Insel-Tour ist zauberhaft. Die besichtigt man am besten per Moto.
Für 13 EUR inklusive Sprit mietet man ein ausgelutschtes Teil.
Führerschein? Keiner fragt nach.

Ich lass mich kutschieren und spring bei Achim hinten drauf.
Trotz geringer PS-Zahl und Fliehkupplung, kommt sofort ‚Easy Rider Feeling‘ auf.
Man darf auf Providencia ohne Helm fahren.
Kein Mensch fährt mit Helm, außer der Polizei. Cool.

Dafür trägt die Lady, die als lebende Baustellen-Ampel den Verkehr regelt einen Bau-Helm. Das hat Sinn.

Providencia ist untouristisch. Nur ein paar blasse Kolumbianer machen hier Urlaub.
Kleine Hütten werden am Traumstrand im Süd-Westen vermietet. Der Rest der Insel ist Felsenküste.

Auf der ganzen Insel findet man liebevoll zurecht gezimmerte Mini-Pinten, Pensionen und Häuschen für die Kinder, die auf den Schulbus warten.
Kein Müll fliegt umher, die Mongo-Bäume brechen unter der Last der kommenden Ernte zusammen, die Menschen haben Freude an Blumen-Ampeln und pflegen ihren Garten.
Überall wird sich viel Mühe gemacht, dass diese Insel nett und gepflegt wirkt.

Als einziges will der Friedhof nicht dazu passen. Trostloser geht nicht.
Eine ungepflegte Wiese mit einer Mauer. Grau und ungeschmückt.
Die meisten Toten bekommen ihren Namen in den frischen Beton geritzt. Geburts-Tag und Todes-Tag dazu, fertig. Nur wenige Gräber sind verziert.
Entweder mit einem aufwendigen Relief aus Zinn oder mit einem bunten ‚Werbeplakat‘ der schlechtesten Machart.
Wahrlich, die Menschen investieren hier weder Zeit noch Mühe in einen Totenkult.

Am Ende unserer Tour stoßen wir auf eine überfahrene Schlange. :shock:
Ein Würger wahrscheinlich, so unsere Einschätzung.
Hätten wir die vorher gesehen, hätten wir uns wohl nicht so auf der Wiese herum gewälzt.

:mrgreen:

Hausberg mit Tücken

Fr., 09.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1105, 11.213 sm von HH

Neben dem Hintern von Henry Morgan, hat Santa Isabel noch einen Hausberg, vielleicht 250 Meter hoch. Das kann ja wohl kein Problem sein, da mal eben hoch zu kraxeln. :lol:

Wir fragen uns durch, wo es einen Weg geben könnte: „Nur durch das Gatter, über die Kuhweide und immer der Nase nach.“
Die Kühe liegen dösig im Schatten und käuen wieder. Schmetterlinge tanzen, Eidechsen huschen umher. Eine bäuerliche Idylle.

Man hätte es von unten ahnen können, dieser Hausberg hat es in sich.
Zunächst kommen wir gut voran auf den Pfaden, die die Kühe ins hohe Gras getrampelt haben. Im Zick-Zack die Wiese hoch.
Dann noch mit den Hintern unterm Zaun durch.

Ab hier wird es schwierig und richtig steil. Wir quälen uns vorwärts.
Die Pumpe schlägt, der Schweiß fließt.
Inzwischen kommen wir nur noch mit Hilfe der Hände vorwärts. An Grasbüscheln ziehen wir uns hoch. Man muss schon beherzt zugreifen, sonst schneidet das Gras in die Finger.
Und aufpassen, dass man nicht einen dieser Kameraden zu fassen bekommt. ;-)

Pause im Schatten liegt nicht drin. Dann kommen sofort, angelockt vom Schweiß, irgendwelche Flug-Tiere. Verschnaufen geht nur in der Sonne. Es ist unfassbar heiß.
Die Wiese steht in voller Blüte. Wir sind übersät mit Pollen und Blütenteilen. Überall klebt das Zeug auf der nassen Haut. Es krabbelt und kribbelt.
Dazwischen eine Ameise, die einen sofort anpinkelt, wenn man zu lange auf der Stelle verharrt. Also weiter, weiter. Es wird immer steiler. 40 Grad Steigung, ungelogen.

schon steil

schon steil

Wir geben auf. 10 Meter vor dem Gipfel.
Na, das ist ja was für uns beide. Aufgeben, so kurz vorm Ziel. Aber wir merken, zurück geht es nur auf dem Hosenboden (warum habe ich ausgerechnet heute den kurzen Rock an).
Es ist unfassbar steil. Das Wort ’senkrecht‘ darf ich schon seit einer halben Stunde nicht mehr verwenden. :mrgreen:
Wer hier ein Grasbüschel erwischt, was nicht hält, kommt erst wieder im Dorf zum Stoppen.

Es nützt nichts. Wir drehen um.

Die Kühe sind nun auch munter. Aber halt! Ein Blick zwischen ihre Beine stellt klar, zwei sind gar keine Kühe, sondern echte Männer, echte Bullen.
Achim sind Rindviecher suspekt. Er behauptet, sie warten nur auf ihn und haben sich bereits in Formation aufgestellt.

Er wählt den Weg direkt am Zaun. Dort ist es mir zu steil, außerdem wachen dort Kakteen. Ein falscher Tritt und man sieht aus wie ein Nadelkissen. Nein, danke. Ich nehme wieder die Trampel-Pfade im Zick-Zack.

Die Rindviecher, Männer und Frauen, ignorieren uns komplett. Ungehindert kommen wir zum Gatter zurück. Was für ein kleines, großes Abenteuer. :-)

Erster Landgang

Di., 05.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1101, 11.213 sm von HH

Nach fast drei Wochen ‚Gefangenschaft‘ auf dem Kahn ist es eine Freude an Land zu sein.
Wenn es dann noch so hübsch ist, wie auf Providencia ist alles im Lot. :-)

Providencia ist winzig, nur sieben Kilometer lang, vier Kilometer breit, 360 Meter hoch und beherbergt 5.000 Einwohner.
Zu Providencia gehört noch Santa Catalina mit dazu. Eine noch winzigere Nebeninsel, die mit einer gefälligen Schwimmbrücke mit der Mutterinsel verbunden ist.

Die Gemeinde investiert viel Aufwand in ‚mein-Dorf-soll-schöner-werden‘. Gepflasterte Wege sind mit bemalten Bänken bestückt, die Häuser bunt, Müll wird getrennt und es blinkt und blitzt an jeder Ecke.

 

 

Autos spielen keine Rolle, auf Providencia fährt man Moped. Selbst die Taxis sind zweirädrig. Dann wird eben zu dritt auf den kleinen Zweisitzern gefahren.

Es gibt fünf kleine Supermärkte, alle liegen direkt nebeneinander. Warum auch immer. Ein Laden wäre viel sinniger. Für einen Einkauf muss man alle Läden abklappern. Der eine hat nur gammelige Zwiebeln, der nächste keine Kartoffeln. Aber man bekommt alles, was man zum Leben braucht. Zu überraschend niedrigen Preisen.

In der Bucht liegen kein zehn Schiffe am Anker und über allem thront der Hintern von Henry Morgan.

The ass of Henry Morgan

The ass of Henry Morgan

 

Henry Morgen, seines Zeichens Freibeuter im Auftrag der englischen Krone, startete von Providencia aus sein größtes Husarenstück: der Überfall und die Unterwerfung von Panama. Über 1.800 Mann auf 36 Schiffen konnte er für diese Unternehmung gewinnen. Eng dürfte es in der kleinen Bucht mit den ganzen Piraten-Schiffen gewesen sein.

Henry Morgan gilt als Erfinder des „Piraten-Ehren-Kodex“, eine Art Sozialversicherung für Freibeuter: „Sie erhalten für den Verlust eines rechten Arms 600 Piaster oder sechs Sklaven, für den Verlust eines linken Arms 500 Piaster oder fünf Sklaven…
Eine Menge Holz bedenkt man, dass eine Kuh nur zwei Piaster kostete.

Nicht zu Unrecht wurde der berühmte Rum ‚Captain Morgan‘ nach Henry benannt. Der Freibeuter galt sein Leben lang als starker Trinker und ist wahrscheinlich an einem Leber-Leiden gestorben.

Den Einwohnern von Providencia hat der lange Aufenthalt der Engländer die Sprache hinterlassen. Mit dem Spanisch vom Festland Kolumbiens hat Providencia nicht viel am Hut. Geschrieben ist alles in der offiziellen Amtssprache, gesprochen wird überwiegend Englisch.

„Oh, mein Gott, wie furchtbar!“

Sa./So., 03./04.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1098/9, 11.213 sm von HH

Mit jeder Schicht, die Achim entfernt, wird mein Entsetzen größer. Ich halte mich nicht an die Abmachung und wiederhole gebetsmühlenartig meinen Spruch.

Hinter unserer Sitzbank lauert das Grauen. Das blanke Wasser steht kurz vor dem Polster.
Es hilft nichts, die Sperrholz-Verkleidung muss runter. Die Isolierung dahinter ebenfalls.
Wir sind runter bis aufs nackte Polyester.
Soviel ist klar, hier steht nicht das erste Mal Wasser.
Die Rückwand war mit Sicherheit noch nie ab. Warum auch? Dahinter hat sich der Staub der Jahrhunderte mit Salzwasser zu einem unangenehmen, schwarzen Brei verbacken.

Providencia, adé. Heute lernen wir uns mit Sicherheit nicht kennen.

Die durchfeuchteten Bretter und Isolierung kommen an Deck zum Trocknen. Alles wird schön sauber gemacht und gewienert. Bis auf Auslieferungs-Niveau (ich kann’s nicht mehr hören :lol: )

Den, zum Teil abgelösten, weißen Kunstleder-Überzug auf den Rückwand-Platten entfernen wir komplett. Der ist überhaupt Schuld, dass wir bislang nicht gesehen haben, dass Feuchtigkeit hinter der Rückwand wohnt.
Eine überlappende Klebung hat die Sicht auf die Dinge verhindert.
Erst jetzt, durch das viele Wasser, hat der Kleber aufgegeben und gibt den Blick frei: „Oh, mein Gott!“

Die, alles entscheidende, Frage…wo kommt das Wasser her? Der in Verdacht geratene Dorade-Lüfter scheidet aus. An der Stelle ist alles dicht. Es können somit nur kleine Fugen-Undichtigkeiten im Teak-Deck sein. So richtige Übertäter sind allerdings selbst mit Lupe nicht zu entdecken. Vielleicht sucht sich das Wasser auch einmal quer über Deck seinen Weg, läuft an der Decke entlang, um hinter unserem Sofa zu enden.
Um Laufspuren an der Decke zu finden, müsste allerdings die Decken-Verkleidung runter. :shock: Nein, nein, soweit sind wir noch nicht.

Der Törn hat Mensch und Material ganz schön etwas abverlangt. Obwohl ich den Törn fast weniger schlimm fand als die Aufräum-Arbeiten danach. :mrgreen:

1.) Der Radar-Dom hat sich los gewackelt. Zum Glück nur Schrauben, keine gebrochenen Nieten. Bereits gefixt.

2.) Unser gebrochenes Want werden wir erst in Kolumbien Festland tauschen können. Bis dahin muss Achims Not-Reparatur seinen Dienst verrichten.

3.) Unser Schlauchboot (Aluboden) hat scheinbar ein klein wenig Spiel gehabt.
Trotz guter Verzurrung auf dem Vorschiff. Durch eine Million kleiner und großer Schläge hat sich eine Kante der Klampe auf der Ankerwinsch aufgerieben.
Der Fender, als Polster dazwischen, hat sich bereits an Tag drei verabschiedet und lag herrenlos an Deck herum.
Ein kleiner Kurs in Ladungs-Sicherung wäre nicht schlecht. ;-)

Die unter-den-Bodenbrettern-Kontrolle hat keine Überraschungen mehr gebracht.
Wir sind dankbar. Und Morgen, Morgen, geh‘ ich nun wirklich von Bord.