Saint-Laurent-du-Maroni

Mi., 23.Mrz.16, Saint-Laurent-du-Maroni/Franz. Guyana, Tag 662, 5.699 sm von HH

St. Laurent ist mit 45.000 Einwohnern doppelt so groß wie Kourou.
Während Kourou ungefähr so spannend ist, wie Wandfarbe beim Trocknen zuzuschauen, ist St. Laurent deutlich schöner.
Die Straßen sind belebt, besonders an den Markttagen Samstag und Mittwoch.

Einen ordentlicheren Markt habe ich noch nie gesehen.
Es gibt feste Gebinde-Größen oder Kontingente. Alles kostet entweder einen oder zwei EUR.
Ob das mangelnden Rechenkünsten, Bequemlichkeit oder Cleverness (man muss eigentlich immer mehr kaufen als man will, einzelne Gurken gibt es ums Verrecken nicht) geschuldet ist, bleibt unklar.
Das Obst und Gemüse ist frisch und haltbar, da es noch nie eine Kühlung gesehen hat.

Dazwischen Getränkestände, die Sirup-Eiswasser verkaufen.
Unter dem Handtuch befindet sich ein Eisklotz von dem Eis-Späne geschabt wird, sobald Kundschaft naht.

St. Laurent ist nicht so schmuddelig wie Kourou.
Allerdings, die die verbliebenen Kolonial-Holzbauten sind vielfach dem Untergang geweiht.
Nur wenige sind schön renoviert und gut in Schuss.

Es gibt viel mehr schwarze Bewohner als in Kourou und die Straßen sind voll mit Kindern und Teenagern. Fast 60 % der Bevölkerung ist unter 14 Jahre (in DE sind es 12% :shock: ).

St. Laurent gilt als sicher, obwohl es grade letzte Woche zwei bewaffnete Übergriffe gegeben hat (SY Lili). Der erste Fall seit Jahren hier am Maroni. So heißt es.

Wir meiden die Uferzone an der es passiert ist und fühlen uns in der Stadt sicher.
Ich war auch schon alleine mit dem Rad im Supermarkt und hatte kein schlechtes Gefühl dabei. Das Pfefferspray, was ich mir in Las Palmas gekauft habe, bleibt an Bord.

Wir nehmen jetzt nur noch mit, was wir ohne große Verlust-Schmerzen bereit sind abzugeben. Kein Handy, kein Laptop oder Pad, nur die alte, kleine Kamera ist dabei.
Falls ich den Rucksack hergeben sollte, so habe ich von nun an meine Sonnenbrille auf der Nase und die normale steckt im Haar oder umgekehrt. :roll:
Nicht schön, aber safe.

We are back in social life

So., 20.Mrz.16, Saint-Laurent-du-Maroni/Franz. Guyana, Tag 659, 5.699 sm von HH

Wir sind zurück in einem Leben mit sozialen Außenkontakten. Nach zwei Monaten Zweisamkeit.
Mit Besuchen auf anderen Schiffen, mit BBQ, einfach mal eine andere Stimme hören, als die von Achim. ;-) Was für eine Wohltat.
Auf ein Bierchen auf andere Schiffe gehen, den vernünftigen Worten einer Frau lauschen und nicht nur Jemanden nach dem Weg fragen.

Es ist nicht so, dass wir uns nicht gut verstünden und vertragen tun wir uns auch fast die meiste Zeit. Immerhin ‚halten‘ war das ja nun schon fast zwei Jahre aus.
Auf engem Raum und jeden Tag.

Aber, wenn man acht Wochen keinen anderen Gesprächspartner als den eigenen Mann hat, fallen einem Merkwürdigkeiten auf.
Redewendungen, die der andere wahrscheinlich seit Jahrzehnten benutzt, krabbeln wie Ameisen ins Ohr und man wird sie nicht wieder los.
„In aller Fairness muss ich sagen“ (ich), „eine innere Stimme sagt mir“ (Achim) und ähnliche gruselige Beispiele mehr. Beim dritten Mal am Vormittag, möchte man den anderen über Bord werfen. :mrgreen:

Warum erzählt er mir viermal in drei Tagen etwas von Untiefen-Fehlern auf dem Maroni-River in der Navionic App?
Und wie oft ich mir seine Ampere-Geschichten abhören muss. Lieber Heiland.
Die sind weder interessant für mich, noch kapier ich wirklich, was er mir berichtet.
Hat er den keine anderen Themen?

Ein Sach- und fachkundiges Gespräch über neue Schuhe, meinen verkorkten Haarschnitt („ich weiß gar nicht, was Du hast, sieht doch gut aus“), erscheint unmöglich.

Das ist nun vorbei. We are back.
Wir liegen in einer recht neuen Marina in St. Laurent. 20 Moorings liegen fest verankert im Fluß, so dass wir sicher am Haken hängen. Wifi an Bord.
Der Ort, mit Markt, Gefängnis und großem Supermarkt, direkt vor der Tür.

Davide, der Betreiber der Anlage, ist ein umtriebiger Italiener, der seinen Gästen alle Wünsche von den Augen abließt. Es gibt eine Hightech-Waschmaschine, ich darf mein Fahrrad unterstellen und er fährt uns zur Immigration, damit wir endlich einen Einreisestempel im Pass vorweisen können.

Davide betreibt ein kleines Café am Marina-Office und sonntags gibt es BBQ.
Er stellt den Grill, den er mit einem Höllenfeuer einheizt. Die Gäste bringen ihr eigenes Essen mit. Getränke gibt es zu fairen Preisen bei ihm zu kaufen.
Neben den anderen Yachties, ist Samuel, ein sympathischer Mitarbeiter der Marina dabei und die örtliche Lokal-Prominenz, wie der Zahnarzt.
Der Frauenanteil ist noch etwas klein, so dass die richtig wichtigen Informationen noch fehlen, aber ein sinnvoller Anfang ist gemacht. :-)

Schon wieder im Knast

Fr., 18.Mrz.16, Saint-Laurent-du-Maroni/Franz. Guyana, Tag 657, 5.699 sm von HH

Gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft gibt es eine Führung auf Englisch durch das Gefangenenlager in St.Laurent-du-Maroni.
Da dies nicht so häufig vorkommt, nutzen wir die Gelegenheit.
Erstmalig müssen wir in Französisch Guyana für etwas Eintritt (6,00 EUR) zahlen. Wir haben den Guide aber exklusiv nur für uns.

Zwei, dreimal im Jahr kam eine Schiffsladung mit bis zu 600 Männern in St. Laurent an. Entweder mussten sie hier oder in einem der zwei Dutzend Dschungel-Camps Zwangsarbeit verrichten.


Die Männer, die einen Fluchtversuch unternahmen oder sich anderweitig etwas zu Schulden kommen ließen, kamen in das Gefängnis im Gefängnis.

In Zellen, gebaut für 40 Personen, mussten bis zu 80 Männer angekettet schlafen und auf ihre Gerichtsverhandlung warten.
Tagsüber durften sie sich im schattenlosen Hof aufhalten.
Die malerischen Mango-Bäume auf den Bildern, sind erst nach Schließung des Gefängnisses gewachsen.

 


Unser Guide betont mehrfach, dass das Lager sehr sauber gewesen sei. Alle 4 Jahre wurde es frischgestrichen. Alte Farbschichten an den Wänden belegen dies.
Um so paradoxer, dass den Sträflingen nur einmal in der Woche gestattet wurde, sich zu waschen. Nur einmal im Monat die Kleidung.

Wer sich nicht benahm, wurde in Einzelhaft gesteckt.
Winzige Löcher von zwei mal drei Metern. Die Wand neben dem Bett und die ersten 80 cm der umlaufenden Wände waren mit Ruß bestrichen.
Es war den Gefangenen verboten, die Wände zu berühren. Wurde bei der Kontrolle von Händen und Kleidung schwarzen Spuren gefunden, zog dies weitere Strafen nach sich. Dadurch war es den Gefangen nicht möglich, sich tagsüber sitzend an die Wand zu lehnen.

Wer dadurch noch nicht zu bändigen war, wurde für 48 Stunden mit Fußfesseln an sein Bett gekettet.
Es gab verschiedene Härtegrade der Fessel.
Linker Fuß: Das machte es sehr schwierig, seine Notdurft außerhalb des Bettes zu verrichten. Beide Füße: Machte es unmöglich… :shock:
Beide Füße erhöht: Brachten zusätzliche Schmerzen, da das Gewicht der Fußfesseln von je zwei Kilo auf die Beine drückte.

Selbstverständlich zog das Berühren der geschwärzten Wand gefesselte Folgetage nach sich.

In vielen Zellen finden sich Spuren der Verzweiflung an den Wänden: Strichlisten für die bereits abgesessenen Tage.


Auf dem Boden der Zelle, in der Papillon einsaß, ist sein Name geritzt. Sogar zweimal.
Das eine soll Original sein, der zweite stammt tatsächlich von ihm, als er anlässlich einer Reportage seine alte Zelle wieder besuchte. Lange nach Schließung des Gefängnisses.

Auf you tube haben wir eine schöne Reportage über diesen Alptraum in der Französischen Geschichte gefunden.

Schatten in der Nacht…

Mi./Do., 16./17.Mrz.16, Küste vor Franz. Guyana, Tag 655/6, 5.583 sm von HH

…die ich für ein Piraten-Schiff halte, treiben mir den Angst-Schweiß auf die Stirn. :shock:

90 sm sind es von den Teufelsinsel zur Mündung vom Maroni.
Da wir mit dem Morgen-Niedrigwasser dort ankommen wollen, fällt der größte Teil der Strecke in die Nacht.

Wir halten uns im Abstand von ca. 15 sm von der Küste. Flach ist es hier, keine 20 Meter.

Es beginnt perfekt. So muss Gott segeln gemeint haben: Windstärke vier, glattes Meer, kaum Schiffsbewegung, warm ohne Schwitzen, gekrönt von Schäfchen-Wolken am Himmel.

Beim hissen des Großsegels fällt ins ein Kokon aufs Deck. Die Wespe, der wir den Zugang zur Cockpit-Klappe verwehrt haben, hat sich ein neues Heim für ihre Kinder gesucht. Zehn Larven sitzen in ihrem Mangroven-Schlamm-Hülle und scheinen kurz vor dem Schlüpfen gestanden zu haben.
Nun ist alles zerbrochen und geht über Bord.

 

Wir gehen mit Vollzeug an den Start und sind, dank des geschenkten Stroms, mit sieben, acht Knoten flott unterwegs.
Ausgerechnet, wenn alles zusammenpasst, können wir diese Geschwindigkeit nicht gebrauchen. Wir kämen noch im Dunkeln am Maroni an.

Mit Einbruch der Dämmerung gehen wir im Gross ins dritte Reff und machen die Genua winzig klein. Jetzt passt es, unsere Geschwindigkeit reduziert sich auf fünf Knoten.
Sturmbesegelung bei Windstärke drei, verrückte Segelei. :-)

Dank des Halbmondes ist es nicht stockdunkel. Ich übernehme die Wache bis Mitternacht.
Wache bekommt Küstennah eine neue Bedeutung.
Viele Fischer sind unterwegs. AIS haben sie nicht, aber wir sehen ihre Lichter.
Also Augen auf. Nur alle 15 Minuten ein Rundblick ist zu wenig.

Kurz vor 23:00 Uhr passiert es: Steuerbord voraus sehe ich plötzlich einen Schatten.
Es ist ein Boot.
Eines von diesen offenen Fischer-Holzbooten, zehn Meter lang.

Wegen der ganzen blöden Geschichten, die man so hört, denke ich sofort: „Piraten!“
Ich ducke mich hinter die Sprayhood und wünschte, ich hätte statt der Rettungsweste eine kugelsichere Weste.
Was besseres als dieser Wunsch fällt mir nicht ein. Wir hatten im Vorwege nicht besprochen, was man bei Piraten-Verdacht unternimmt.

Noch bevor ich nach dem Käpt’n brülle, fällt mir auf, dass ich kein Motorengeräusch von dem gegnerischen Boot höre.
Was sind das denn für Piraten, die uns rudernd überfallen?
Du meine Güte, was ist das für ein Boot??

Adrenalin pumpt durch meinen Körper, ich habe echte Angst und bekomm die Flatter hinter meiner Sprayhood.
Dann realisiere ich, der Kahn liegt da vor Anker oder treibt.
Unbeleuchtet! Unglaublich.

Wahrscheinlich pennen die Fischer während sie warten, dass sich die Reusen oder Netzte füllen.Wir passieren einander mit vielleicht 20 Meter Abstand.
Irgendwie fies wenig.

Warum habe ich die so spät gesehen? Wäre das jedem so gegangen oder habe ich vor mich hin geträumt? Ich bin froh, dass ich noch nicht nach Achim gebrüllt habe.
Das hätte Mecker gegeben. :mrgreen:

Ich verfluche die Fischer und brauch eine ganze Weile, um wieder runter zu kommen.
Eine Kollision mit einem Fischer bekommt von mir die gleichen schlechten Noten wie ein Piratenangriff.

Den Rest meiner Wache starre ich aufs Meer.
Ununterbrochen.
Pipi machen, liegt nicht mehr drin. Hinter jedem Wolken-Schatten  sehe ich ein Boot.

Richtig lustig wird es dann bei meiner zweiten Wache.
Der Mond ist untergegangen und mit ihm jede Chance so einen schlafenden Fischer rechtzeitig zu entdecken. Selbst auf dem Vorschiff stehend, ist das ein unmögliches Unterfangen.

Die Kategorie ‚unabwendbares Schicksal‘ ergänze ich neben ‚Walen‘ und ‚treibenden Containern‘ um ‚unbeleuchtete Fischer‘.
Verrücktes Segeln. Das macht einen fertig. ;-)

Natürlich kommen wir trotz Schleichfahrt noch eine Stunde zu früh an der Maroni Anfahrtstonne an.
Wir dümpeln in der Mündung und warten auf Licht.
Die Betonnung in der realen Welt deckt sich nicht mit der auf unserer Karte. Teilweise haben wir angeblich nur noch einen halben Meter Wasser unter uns. In echt sind es 4 Meter. Der Fluss scheint sich ein neues Bett gesucht zu haben.
Nur unter Androhung von Strafe würden wir hier im Dunkeln fahren wollen.

Der Maroni ist 5 km breit.
Die Fahrrinne führt aber zeitweise keine 50 Meter vom Französisch Guyanesischen Ufer entfernt. Wir kommen vorbei an Mangroven und üppigem Urwald. Unterbrochen von kleinen Sandstränden an denen im April und Mai Lederschildkröten ihre Eier ablegen werden.
Ein Traum in grün und schlamm.

 

Ile Saint-Joseph

Auf ihrem Blog Reisespatz hat Sabine zur Blogparade ‚mein schönstes Naturerlebnis auf Reisen‘ aufgerufen.
Mit unserem einmaligen Erlebnis auf den Teufelsinseln möchte ich mich daran beteiligen.
Dieser Besuch hallt noch immer in mir nach, so schwer beeindruckt war ich von der Ile Saint-Joseph.

 

Mo./Di., 14./15.Mrz.16, Iles du Salut/Franz. Guyana, Tag 653/4, 5.583 sm von HH

Die kleine Ile St. Joseph ist nur mit dem Bagne, dem Bagno, dem Bunker bebaut.
Eine grausame Menschenfresser-Anstalt in der die Gefangenen gebeugt, gebrochen werden sollten.
In zwei mal drei Meter große Betonverschläge pferchte man die Häftlinge.
Satt Decken hatten die Räume nur ein Metallgitter durch das sie von den patrouillierenden Wärtern beobachtet werden konnten.

Sprechen und Rauchen war verboten. Ebenso, wie tagsüber das Bett zu benutzen. Dies wurde an der Wand hoch geklappt und der Sträfling konnte sich nur auf den Betonboden setzten.
Die Ernährung war katastrophal und der Banco war unter den Gefangenen gefürchtet. Die Insel hatte wegen der hohen Sterblichkeit den Beinamen ‚trockene Guillotine‘.
Entweder man überlebte den Aufenthalt nicht oder war physisch und psychisch kaputt (bis auf Papillon, natürlich).

Heute ist dieser Bunker, sorry, wunderschön.
Die üppige tropische Natur nagt seit 70 Jahren an dem streng geometrischen Gebäude.


Das macht sie auf eine so malerische, herrliche Art und Weise, dass wir uns nicht satt sehen können. Viel wird gegen nicht die Zerstörung durch die Pflanzen unternommen. Gerade das macht aber den unwiderstehlichen Reiz aus.
In einigen Zellenbereichen werden Bäume, die sich ansiedeln, beschnitten. Dort wo man einen rechtzeitigen Schnitt verpasst hat, machen sich Urwald-Riesen breit. Die Tage von diesem Gefängnis sind wohl gezählt.

Trotz aller Schönheit ist die Atmosphäre in den schmalen Gängen düster, ja fast bedrohlich. Unheimlich.
Wir können uns freuen, dass die Wände keine Geschichten erzählen können. Für die Grausamkeiten, die hier stattgefunden haben müssen, reicht zum Glück die eigene Phantasie nicht aus.

Neben dieser Ruine beschert uns St. Joseph einen der schönsten gelegenen Friedhof unserer Reise. Dieser war nur für die Beerdigung der Wärter vorgesehen.
Die verstorbenen Gefangenen wurden einfach ins Meer gekippt. Unter Palmen, direkt am einzigen Strand der Inseln fanden hier die Wärter ihre letzte Ruhe. Die Gräber sind fast alle namenlos.
Der Zahn der Zeit hat kaum noch eine Beschriftung übrig gelassen. Die Daten, die wir noch lesen können, sind mehr als 120 Jahre alt.

Der Strand besteht nicht aus Sand, sondern komplett aus gemahlenen Muschelstückchen.
Im April kommen Schildkröten nach Französisch Guyana, um ihre Eier zu legen.
Wir stoßen auf unserem Rückweg auf zwei kämpfende Schildkröten. Bauch an Bauch führen sie an der Wasseroberfläche einen plumpen Tanz auf. Immer kurz vor dem Ertrinken. ;-)

Eine ganze Weile kämpfen sie lautlos miteinander (ich hab mal gehört, dass Schildkröten bei der Paarung alles andere als leise sein sollen), dann lassen sie von einander ab und jeder der Turtles taucht seines eigenen Weges.