Unsere Hertha

So., 06.Mrz.16, Französisch Guyana/Kourou, Tag 645, 5.573 sm von HH

Irgendwie habe ich sie vergessen, als ich über unsere Ausrüstung schrieb. Das muss wohl daran liegen, dass sie so bescheiden am Heck hängt und nie nach besonderer Aufmerksamkeit ruft. Klaglos verrichtet sie über Wochen ihren Dienst ohne auch nur ein Fünkchen Strom zu verbrauchen.

Die Rede ist von unserer Hertha. Hertha ist eine Pacific Plus Windsteueranlage. Natürlich haben wir auch einen Autopiloten (Simrad AP20). Dieser hat aber den entscheidenden Nachteil, dass er Winddreher nicht registriert und so das Schiff unter Segeln in die Patenthalse führen würde, wenn der Wind ungünstig dreht (z.B. auch bei Squalls). Darüber hinaus verbraucht er Strom und ist bei weitem nicht so leise, wie es Hertha ist.

Unsere Pacific Plus hat aus unserer Sicht noch einen zweiten Vorteil. Sie läuft nicht über das Hauptruder sondern lenkt das Schiff mit ihrem eigenen Ruder. Dieses Ruder könnte bei Verlust oder Ausfall des Hauptruders (z.B. durch Kollision, Bruch der Steuerseile…) auch als Notruder verwendet werden.

Wir finden die Kombination aus elektrischen Autopiloten und Windsteueranlage ideal. Egal wie gut die neuen elektrischen Autopiloten sind. Im Falle eines kompletten Stromausfalls hilft der beste Autopilot nämlich nicht mehr weiter und die Crew muss Ruder gehen…24 Stunden am Tag und wenn es ganz blöd läuft über Hunderte Seemeilen.

Natürlich hat Hertha auch Nachteile. Sie ist nicht gerade klein und benötigt Platz. Wir mussten somit auf Davits verzichten, aber für unserer fleißigstes und bescheidenstes Crew Mitglied haben wir das gerne getan.

Leben auf dem Fluss

Sa., 05.Mrz.16, Französisch Guyana/Kourou, Tag 644, 5.573 sm von HH

Vielmehr ankern in Südamerika, ankern in Kourou.
Das ist schon speziell. Tag und Nacht brüten 30 Grad über uns. Decken in der Nacht brauchen wir schon lange nicht mehr.
Bis zur Morgendämmerung, dann kühlt es auf 28 Grad empfindlich ab, so dass wir für eine Stunde nach den Laken greifen. Achim braucht seit ein paar Tagen sogar eine dünne Wolldecke dazu.
Sobald die Sonne aufgeht, wird es sofort wieder warm.

Schön sind die Stunden, wenn sich Atanga in Wind und Strömung so dreht, dass der Wind ordentlich in die Achter-Koje pfeift. Das ist etwas Tiden-abhängig.
Somit bleibt, nicht nur auf hoher See bist Du in Gottes Hand, sondern er hat auch noch im Fluss das Sagen ( ist da etwa jemand allmächtig ;-)  ).
Zum Glück lässt er fast 24 Stunden den Passat freundlich über uns hinweg fegen.
Somit ist es gut auszuhalten.

Kochen, was mir sonst viel Spaß bereitet, wird zur Sauna-Tour.
Kurzbrat-Gerichte liegen gerade hoch im Trend. In meiner kleinen Niesche habe ich neulich  fast 35 Grad gemessen.
Die sowieso schon lästigen Alte-Frauen-Hitze-Wallungen bekommen an dieser Stelle eine neue Qualität. :mrgreen:

Was uns nervt, sind die Mücken.
Tagsüber lassen sie uns in Ruhe. Zumindest meistens. An dunklen Tagen lauern sie bereits mittags unterm Tisch in unserem Internet-Cafè. Wir haben jetzt in jeder Tasche, Rucksack und Satteltasche eine Flasche Mücken-Ex dabei.

Mit Beginn der Dämmerung beginnt der Run auf Süßblut. Nur kurz noch das Dinghi gesichert mit dem letzten Licht und zack, fünf Stiche mindestens. Einer garantiert auf dem Rücken durchs T-Shirt.
Damit wir beim Essen unsere Ruhe haben, ziehen wir ab 18:00 Uhr unsere Gardine über das Cockpit. Ich bin froh das hässliche Teil bereits in Las Palmas genäht zu haben.  Gardinen-Unfall

Als ob die Biester nicht reichen, machen uns zeitweise noch Sand-Flies zu schaffen.
Diese lungern in der Marina und warten nur darauf, dass wir unbedarft den Steg entern.
Die Stiche jucken wie Sau! Und das 48 Stunden lang.
Warum  sie mal da sind und mal nicht, konnten wir noch nicht herausfinden.

Es gefällt uns auf dem Kourou.
Schiffsverkehr ist fast nicht existent und wir haben unsere Ruhe.
Monatlich soll ein Frachter einer Ariane-Rakete im Gepäck vorbei kommen . Den haben wir bislang noch nicht gesehen.
Ein paar Fischer schauen manchmal neugierig vorbei und regelmäßig wird für Kanu-„Drachen“-Boot-Rennen geübt. Schnell zischen die Kanus an uns vorbei. Der Taktgeber ruft laut seine Kommandos die weit über den Fluss schallen. Einen Wettkampf zu erleben, wäre mal nicht schlecht.

Unser neues Dinghi bewährt sich gut. Ist es doch viel einfacher überzusteigen, wenn so ein Schlauchboot einen festen Boden hat.
Zur Belohnung für seine guten Dienste, haben wir angefangen ein Cover zu nähen.

Je nach Tide ist die Fahrt an Land mehr oder weniger feucht. Wenn wir gegen kleinere Wellen anfahren müssen, kommt schon schlammiges Spritzwasser über.
Schnell lernt man, dass helle Klamotten im Dinghi fehl am Platz sind.
Wenn man nicht nass gespritzt wird, dann scheuert garantiert ein bemooster Tampen über den Rücken.

Nicht beliebig zu jeder Zeit an Land zu können ist etwas ungewohnt, aber wir haben unseren Rhythmus gefunden.
Zum Einkaufen und Wäsche waschen, fahre ich alleine mit dem Rad. Achim bringt mich dann meistens an Land. Wenn ich von ihm abgeholt werden möchte, rufe ich ihn über Funk mit unserem Handfunk-Gerät. :-)

Fast jeden Tag gehen wir gemeinsam ins Internet-Café. Ein kleines Bistro mit gutem Wifi.
Ein Internet-Stick für endloses Surfen an Bord ist in Französisch Guyana zu teuer.
Ein Giga Datenvolumen kostet 100 EUR. Zum Vergleich: Auf den Kap Verden hatten wir für 6 Giga nur 15 EUR bezahlt.

Durch die von Achim beschriebene Unabhängigkeit an Energie und Wasser hat dieses etwas beschwerlichere Leben etwas von der ganz großen Freiheit. Und als Ökos noch dazu. ;-)

P.S. Hier als Nachtrag auf vielfachen Wunsch noch die neue Frisur.
Sie ist ja nicht schlecht geworden, nur einfach viiiiel zu kurz.

Wie autark kann ein Boot sein

Di., 03.Mrz.16, Französisch Guyana/Kourou, Tag 642, 5.573 sm von HH

Mittlerweile ist es fast 6 Wochen her, dass wir in einer Marina lagen. In dieser Zeit haben wir den Atlantik überquert und 3 Wochen im Kourou Fluss in Französisch Guayana vor Anker gelegen. Die Maschine wurde in der Zeit lediglich für etwa 3 Stunden verwendet, als wir aus Mindelo fuhren und noch einmal, als wir in den Kourou Fluss einfuhren. Für die reine Stromerzeugung wird unsere Maschine nicht eingesetzt, da ich (der Capt’n) nichts davon halte, unser altes Mädchen ohne Last und mit für die Stromproduktion zu niedriger Tourenzahl laufen zu lassen.
Ausrüstung:

    • Wassertanks: 2 x 300l
    • Solarpanele (Phaesun): 2 x 100WP (Votronic mpp Regler) und 1 x 130WP (über Diode am Superwind Regler)
    • Windgenerator: Superwind 350
    • Wassermacher: H2O EX2-21 (14-28l/hr)
    • Brotbackautomat: Kenwood (500W max)
    • Batterien: 2x140Ah (Haupverbraucherbank), 1x180Ah (Reserveverbraucherbatterie), 108Ah Starterbatterie; wir haben ausschließlich Nassbatterien im Einsatz (LKWheavy duty), da sie deutlich billiger sind als Flies oder AGM Batterien
    • Inverter: Waeco Sinepower (900W); dieses Teil ist praktisch täglich im Einsatz, um all die PC, Phones, Tablets und Kameras zu laden, und um den Brotbackautomaten zu betreiben

Den Wassermacher lassen wir ca. alle 1-2 Tage für jeweils 1 Stunde laufen. Meist am späten Vormittag, wenn wir abschätzen können, dass wir den verbrauchten Strom wieder reinholen können. Im Atlantikwasser liefert der Wassermacher ca. 18l/hr, während es hier im Kourou Fluss ca. 30l/hr sind.
Der Brotbackautomat kommt in etwas alle 2-3 Tage zum Einsatz. Gutes Brot ist und bleibt ein Luxusartikel.
Fazit:
Wir haben zur Zeit noch etwa 400l Wasser an Bord. Das wir nicht voll sind, liegt in erster Linie daran, dass wir den Wassermacher hier im Fluss nur laufen lassen, wenn die Sonne scheint und wenn das Wasser wirklich klar ist. Beides kommt jetzt zum Beginn der Regenzeit nicht immer gleichzeitig vor.
Wir haben seit verlassen von Mindelo bislang weniger als 5Kg Butan verbraucht. Hier zeigt sich der Wert des elektrisch betriebenen Brotbackautomaten. Ohne diesen wäre ein Flaschenwechsel bestimmt schon fällig gewesen.
Die Panele sind und bleiben unsere Haupstromlieferanten und funktionieren sehr gut. Die beiden 100er Panele laufen dabei meist bei ca. 50% ihrer Nominalleistung von 100WP. An dem 130er ist leider keine Anzeige, aber ich denke, dass es sich dort ähnlich verhält.
Der Windgenerator liefert seinen Beitrag. Insbesondere während der Nächte auf dem Atlantik lieferte er selbst auf Vorwindkurs noch genug, um unseren nächtlichen Strombrauch fast komplett zu decken. Auch hier am Anker im Kourou Fluss erbringt der Generator seinen Teil zu unserem Energiehaushalt. Es gab mal eine kurze Phase, in der ich den Windgenerator für überflüssig hielt, da die Panele einfach verlässlicher und leistungsstärker sind. Es gibt aber immer wieder Phasen, in denen der Windgenerator den Unterschied zwischen Strom haben oder nicht haben macht.
Natürlich müssen wir uns etwas einschränken. Duschorgien sind nicht möglich und auch müssen wir unseren Ladezustand im Auge behalten. Dennoch reicht das, was wir auf dem Boot haben, um viele Wochen ohne Marinazeiten auszukommen und ohne, dass wir Wasser von Land (weder Brauch- noch Trinkwasser) anschleppen müssen. Gerade der Wassermacher macht hier den Unterschied zwischen Luxus und Leid.

Was uns jetzt allerdings noch fehlt ist ein Gerät, was Wasser in Wein verwandelt, denn den müssen wir immer noch an Land kaufen.

Wächst ja wieder

Di., 01..Mrz.16, Französisch Guyana/Kourou, Tag 640, 5.573 sm von HH

Ich muss mal wieder zum Friseur.
An den meisten Salons steht ‚mixte‘ geschrieben.
Ob sich das ‚gemischt‘ auf Mann und Frau oder auf Krauskopp und Glattbirne bezieht, weiß ich nicht.
Es leben so viele Weiße in Kourou, dass ich hoffe, dass auch glatte Haare geschnitten werden können.
Die Werbe-Fotos im Schaufenster und in den ausliegenden Zeitschriften sagen was anderes. :shock:

Sprachlich bin ich mit einem Zettel mit den wichtigsten Floskeln vorbereitet.
Und ich nehme ein Foto mit.
Dies ist von unserer Hochzeit und schon fast 16 Jahre alt, aber als Schnittvorlage sollte es gehen.

In dem Salon meiner Wahl spricht der Chef nur französisch, findet mich und meinen Zettel zum totlachen komisch, ist schwul und hat ein Händchen für Innendekoration.
Alles ist in schwarz, silber, lila gehüllt.

Er gibt mir Sam an meine Seite. Eine reizende junge Schwarze.
Wenn Worte unsere gemeinsame Sprache wären, ginge es leichter. So müssen wir uns mit meinem Zettel, dem Foto und Zeichensprache begnügen.
Dabei ist sie kreativ. Und schnell haben wir raus, ich möchte Volumen am Hinterkopf, den Pony minimal kürzer und die gesamte Frisur nicht so kurz wie auf dem Foto.

Sam beginnt.
Nass schneiden bekommt bei ihr eine neue Dimension. Von den pitschnassen Haaren läuft mir 10 Minuten das Wasser am Hals unter den Umhang.
‚Wella professional‘ steht drauf. Auf dem Umhang.

Was Sam macht, erzeugt bei mir den Eindruck von Können.
Haarpartien werden abgetrennt und hoch geclipt. Und zunächst läuft alles wie besprochen.

Sie schneidet und schneidet. Mal hinten mal rechts, mal links.
Bei jeder Runde schnippelt sie wieder ein Stückchen mehr. Mal dünnt sie die Haare aus, dann wieder schneidet sie die Spitzen fransig.
Sie ist nicht zufrieden. Noch einmal rundherum.
‚Nicht so kurz wie auf dem Foto‘, ist bei ihr nicht angekommen.

Beim Friseur habe ich immer das Problem, ohne Brille da sitzen zu müssen.
Daher kann ich eher fühlen als sehen, dass  etwas schief geht.
Ich habe ein mächtiges Gefühl.

Endlich ist sie fertig.
Charmant dabei. Findet sie doch eine meiner grauen Strähnen ‚tres chic‘. Sagt sie.  ;-)
Nun, das Frisuren-Ergebnis an sich kann sich sehen lassen.
Leider ist es mir an den Seiten viel, viel zu kurz geraten.
Warum  nur muss ich nur an Meryl Streep in ‚Schrei in der Dunkelheit denken, wenn ich mich im Spiegel sehe.

Macht ja nix, wächst ja wieder. :mrgreen:

Tyrann an Bord

Mo., 29.Feb.16, Französisch Guyana/Kourou, Tag 639, 5.573 sm von HH

Hiermit ist nicht der Skipper gemeint. Ausnahmsweise nicht.  ;-)
Sondern der Bauchschnabel-Tyrann.
Dieser ist hübsch, gelb, amselgroß und, sorry, hacke-blöd.

Der Bauchschnabel-Tyrann gehört zur Familie der Sperlingsvögel und verdankt seinen Namen seiner aggressiven Art, selbst große Greifvögel aus seinem Nest-Revier zu vertreiben.
Uns tyrannisiert er auf andere Weise.

Praktisch vom ersten Tag an, seit wir in Kourou vor Anker liegen, kommt uns ein Pärchen der Tyrannen morgens und abends besuchen.
Laut und nachdrücklich rufen sie einander und schon bald erkennen wir sie an ihren Ruf.

Zuerst hüpfen sie scheu auf unserem Geräteträger herum, um schon bald im Gemüsenetz zu tunen.
Wir vermuten, dass die zwei es auf den Kürbis abgesehen haben.
Den lassen sie allerdings in Ruhe und fliegen wieder ihres Weges.

Nach ungefähr einer Woche legt er morgens einen langen Faden Moos in unser Netz.
Uns schwant Übles. Er will doch nicht etwa ein Nest bauen? Als er nicht hinschaut, werfen wir sein Moos ins Wasser.
Nein, Fehlalarm, das war’s. Mehr schleppt er nicht an.
Zunächst. Einen Tag später das gleiche Spiel, er legt etwas Moos ab und beide sind den ganzen Tag verschwunden.
So geht das eine ganze Woche. Er bringt ein Teil, zwitschert Frauchen herbei. Beide beäugen sein Werk und verschwinden wieder.
Sie scheinen bei ihrer Abendrunde auch nicht verwundert, dass ihr Morgen-Gestrüpp wieder verschwunden ist.

Dann plötzlich gibt er Gas.
Jetzt kommt er nicht mehr nur morgens und abends, sondern fliegt den ganzen Tag zwischen Wald und Atanga hin- und her. Bei jedem dritten Landeanflug bringt er nun Stöckchen mit.
Dann setzt er sich auf die Saling, ruft Frauchen und beide blicken hoch zufrieden drein.

Als wir Freitag vom Space Center wieder nach Hause kommen, hat er in einem halben Tag fast ein komplettes Nest fertig gebaut. :shock:
Keiner von uns mag es entfernen.

Wir überlegen ernsthaft, ob wir die beiden nicht mitnehmen können.
Samt Eier, die ja wohl in absehbarer Zeit kommen werden. Den Quatsch verwerfen wir. Geht ja gar nicht. Wie blöd, wenn er grade Futter sucht und wir los fahren. Dann guckt sie aber traurig.
Darauf warten, bis Aufzucht und Hege abgeschlossen ist, wollen wir auch nicht. Wer weiß, wie lange sich das noch zieht…

Also fällt die Entscheidung per Ching-Chang-Chong, dass Achim der Arsch sein wird und das Nest ins Wasser wirft. :cry:

In einem unbeobachteten Moment schreitet er zur Tat.
Nicht einen Augenblick zu früh, denn schon ist unser Tyrann mit Moos im Anflug.
Eine Schreck-Sekunde verharrt er, um unverdrossen das neue Moos an die alte Stelle zu stopfen.

Zwei Tage zeigt er sich total lernresistent. Wir werfen weg, er schleppt nach. Wir scheuchen und klatschen die beiden bei jedem Anflug weg. Egal.
Kaum, dass wir unter Deck sind, kommt er wieder mit Gestrüpp angeflogen.
Wie blöd kann Vogel eigentlich sein?
Selbst als wir Bretter an die Stelle stopfen, wo der Palast gebaut werden soll, guckt er nur doof.
Sein Mitgebrachtes wird er nicht los, er  lässt es fallen, fliegt weg, kommt mit neuem Moos, wird es nicht los, lässt es fallen.

An Tag vier nach Nestzerstörung wird es etwas ruhiger. Aber morgens und abends schauen beide Tyrannen noch immer vorbei. So ganz haben sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir ihren Bauplatz von den Brettern wieder befreien.