Tag 3 – Richtung Bonaire

Fr. 02.Dez.16, Karibische See, Tag 916, 8.449 sm von HH
Seit 24 Stunden rasen wir entfesselt dem Ziel entgegen. Der Wind ist konstant bei 20 Knoten und mehr. Dazu noch etwas Stroemung mit uns. Wir kommen phantastisch voran. 145 Seemeilen seit gestern. Zeitweise rauschen wir mit 8 Knoten durch die Fluten.

Unseren Zeitverlust haben komplett wett gemacht – die Hochrechnung besagt nun, dass wir 6 Stunden unter den geplanten 80 Stunden bleiben. :-)

Die Welle hat sich mit dem Wind entsprechend aufgebaut. Die Brecher, die genau von hinten kommen sind okay. Wir werden sanft angehoben und im Wellental wieder abgesetzt. Alle paar Minuten treffen ein paar seitliche Ausreisser auf uns. Die werfen uns heftig auf die Seite und verursachen die so beliebten Roll-Bewegungen.

Unser Weg fuehrt uns heute direkt an vorgelagerten Inseln vorbei, die zu Venezuela gehoeren und absolut einen Zwischenstopp wert sein sollen. Wir haben im Vorwege lange ueberlegt, ob wir das machen sollen. In Venezuela herrscht seit einem halben Jahr Ausnahme-Zustand und das Auswertige Amt spricht ausdruecklich eine Reisewarnung aus. Allerdings seien die ‚Los Roques‘ davon ausgenommen. Es wird von Piraten gewarnt, die an der Kueste ankernde Yachten ausrauben sollen.

Nahrung ist knapp in Venezuela und es waere schoen gewesen, benoetigte Gueter mitzubringen und zu verteilen. Nur wie gerecht kann so eine Verteilung sein? Gibt man einem alles oder vielen nur ein wenig? Die von uns mitgebrachten Mengen waeren stark begrenzt.

Mitgebrachten Reis von 50 kg zu verteilen ist eine Aufgabe, die wir uns nicht zugetraut haetten. In Krisengebieten uebernehmen das Hilfsorganisationen, die fuer eine gerechte Verteilung sorgen koennen. Wir als ‚Laien‘ moechten weder Menschen ungerecht behandeln, noch den Neid oder Zorn Nicht-Bedachter auf uns ziehen. Ein Kilo Reis hat auf dem Schwarzmarkt einen Wert von 200 EUR, so dass allein unser ’normaler‘ Proviant ein kleines Vermoegen wert ist. Das koennte Begehrlichkeiten an der falschen Stelle wecken, die wir nicht einschaetzen koennen. Die Fischer, die auf den ‚Los Roques‘ wohnen, sollen unglaublich freundlich sein, wie uns eine befreundete Yacht vor zwei Monaten berichtete. Trotzdem haben wir uns am Ende entschieden an den schoenen Inseln vorbei zu fahren. :cry:

Tag 2 – Richtung Bonaire

Do. 01.Dez.16, Karibische See, Tag 915, 8.449 sm von HH

Der Tag endet grau, ab und an Nieselregen oder kleine Schauer. Nach Sonnenuntergang ist es stockdunkel, kein Mond, keine Sterne. Wir haben das Gross stark gerefft, aber die Genua ist voll draussen und ausgebaumt. 15 Knoten Wind treiben uns mit Halbwind (direkt von der Seite) harmlos voran.
Ich bin unten im Salon und lese und hoere schon die Veraenderung der Geraeusche im Schiff. Da ruft Achim auch schon nach mir: „komm schnell, Du musst ans Ruder.“
Es reicht grad noch die Regenjacke ( die selbsterverstaendlich griffbreit am Niedergang haengt ;-) ) ueberzuwerfen und die Rettungsweste anzulegen. Da geht es los. Der Wind heult wie ein D-Zug uebers Schiff. 25 Knoten, 30 Knoten, 35 Knoten. Wir muessen uns anschreien. Kommandos, in die falsche Richtung gesprochen, gehen im Laerm unter. Dazu Regen, der waagerecht durchs Cockpit peitscht. Die Sicht betraegt vielleicht noch zehn Meter. Ich aendere den Kurs auf achterlichen Wind, sofort ist mehr Ruhe im Schiff. Wir muessen trotzdem schreien. Es regnet in so unvorstellbaren Mengen, dass die Wellen platt geregnet werden.
Es ist total spooky. Viel Wind macht sofort Windwellen, die unangenehm in solchen Situationen dazu kommen. Heute nicht, das Wasser ist wie ein Brett. Wir donnern mit 8,5 Knoten voran. Von eben auf sofort hat jemand den Turbo angeworfen. Ich halte am Ruder den Kurs, waehrend Achim unser Vorsegel stark verkleinert. Wir koennen zurueck auf halben Wind. Das hat den Vorteil, dass es etwas weniger auf uns herab prasselt. Nach 30 Minuten ist alles vorbei. Abgeknipst. Unvorstellbar.
Wir sind einfach nur froh, ueber unsere Dauer-Entscheidung in die Nacht grundsaetzlich (naja, fast grundsaetzlich) gerefft zu gehen. Zurueck bleiben signifikante Wassermengen im Bad. Durch unser Mikrofenster, was sich im Cockpit am Boden befindet mit Fliegengitter davor. Da kann es eigentlich gar nicht rein regnen. Wir funken mit der ‚Nautilus‘. Die hat es haerter erwischt. Sie hatten beide Segel komplett oben und mussten ganz schoen kaempfen, um ihren Laden in den Griff zu bekommen. Auch fuer die ‚Nautilus‘ kam der Squall unvorhergesehen aus dem Nichts. Der Rest der Nacht und der gesamte zweite Tag sind friedlich. Zeitweise scheint sogar die Sonne.
Wir kommen mit unseren 80 Stunden wohl nicht hin. 34 sind schon aufgebraucht und die Plotter-Hochrechnung verlangt noch weitere 55 Stunden. Das stinkt nach einer Punktlandung mitten in der Nacht.

Tag 1 – Richtung Bonaire

Mi. 30.Nov.16, Karibische See, Tag 914, 8.340 sm von HH
Als wir aufstehen, giesst es wie aus Eimern. Kein typischer Tropenschauer, sondern kraeftiger Hamburger Landregen. Grauer Bleihimmel von einer Seite zur anderen.
Nein, bei aller Liebe, da laufen wir nicht aus. Sitzen wir am Anker auch im Trockenen, weil der Wind von vorne kommt, so kaeme er auf See von hinten. :shock: Nein, das macht keinen Sinn. Ich will nicht das Wort ‚kalt‘ benutzen, aber es ist doch frisch und somit warten wir.
Um 10:30 Uhr nieselt es nur noch und wir koennen los. Somit verlieren wir schon vor dem Start von unseren geplanten 80 Stunden 3,5 Stunden. Na, das faengt ja toll an. Der Wind ist schwach, zeitweise unter zehn Knoten.
Jetzt sind wir knapp sieben Stunden unterwegs und haben 25 Meilen geschafft. Die Hochrechnung der Ankunft im Plotter sagt: von den geplanten 80 Stunden sind noch 110 Stunden uebrig. :Mrgreen:
Eben gerade ist die ‚Nautilus‘ mit Ian und Stefanie an uns vorbei gezogen. Die beiden kennen wir von der Rally und haben uns zufaellig auf Grenada wieder getroffen. Auch dort waren sie deutlich schneller als wir. Ihr Ziel heisst ebenfalls Bonaire. So wie es aussieht, werden sie in 80 Stunden da sein.

Ankunfts-Falle Bonaire

Di. 29.Nov.16, Grenada – St. George’s, Tag 913, 8.319 sm von HH

Grenada macht es uns leicht, Morgen früh ‚good bye‘ zu sagen und Anker auf zu gehen. Regenschauer, Boen, grauer Himmel… Aufbruch-Wetter.

Bis nach Bonaire sind es knapp 400 sm ( 740 km ). Laut Wettervorhersage ist Morgen das Schwachwindgebiet vorbei (Grüße an die Balou und La Joya  :mrgreen: ) und normaler Passat-Wind mit einer Südkomponente erwartet uns.

Unser Reise-Schnitt liegt zwischen 5 und 5,5 Knoten, macht rechnerisch eine Segeldauer von ca. 80 Stunden. Starten wir Morgen mit Sonnenaufgang und wollen im Hellen ankommen, haben wir ziemlich genau diese 80 Stunden zur Verfügung.

Auf Bonaire will man unbedingt im Hellen ankommen.
Die Anfahrt ist einfach, keine fiesen Buchten, keine Riffe, alles tutti.
Bonaire hat aber eine Besonderheit: man darf nicht ankern.

Also um Mitternacht ankommen, den Anker fallen lassen, ist nicht. Der gesamte Seeraum um Bonaire ist Marine-Park und wir müssen an eine Boje gehen. Oder in die Marina. Aber das ist im Dunkeln ebenfalls keine Option.
Dass wir eine Boje im Dunkeln finden, ohne Mond, bezweifeln wir. Daher lautet der Plan, nicht wieder eine Stunde nach Sonnenuntergang anzukommen.
Diesmal gibt es weder Plan B, noch C oder D. Diesmal muss das sitzen.

Auf 80 Stunden genau zu planen, ist nicht möglich. Zuviel kann dazwischen kommen und die Windvorhersagen werden auch per Würfel gemacht.
Daher, drückt uns die Daumen, dass es diesmal passt.

 

 

Gummibereifte Kasperbuden

So. 27.Nov.16, Grenada – St. George’s, Tag 911, 8.319 sm von HH

Ein Begriff, der häufig unter Motorrad-Fahrern Verwendung findet.
Die Puristen, die Naked-Bike-Fahrer machen sich so über überladene Motorräder wie ‚Gold Wings‘ oder überfrachtete Harleys lustig: Vollverkleidung, Rückwärtsgang, Plüschteddy und Sitzbank-Bezug in Tigeroptik für Muddi, die hinten drauf thront.

Dieser Tag fällt der Begriff (für den es sogar ein Akronym ‚GBKB‘ gibt) an Bord sehr häufig. Schuld daran sind die Kreuzfahrer, die sich vor St. George’s die Klinke in die Hand geben. Die Kreuzfahrer-Saison in der Karibik ist eröffnet…jeden Tag liegen zwei der glitzernden Kleinstädte an der Pier vor der Altstadt. Die blinken und funkeln wie übergroße Weihnachtsbäume.

Traumschiff

Traumschiff

 

 

 

 

 

 

 

 

Meist kommen sie mit Sonnenaufgang oder im Laufe des Vormittags an. Wir haben den First-Class-View auf die Buden, die 14 Tage Karibik-Rundreise mit ‚All-Inklusive‘ anbieten.
Im wesentlichen fahren alle ähnliche Routen: Barbados, Grenada, ABC, Jamaika, Martinique, St. Lucia, Barbados.

Nachts wird gefahren und morgens befindet man sich in einem neuen Hafen. Strecken auf See werden als ‚Erholungstag auf See‘ bezeichnet. Buchbar sind neben preiswerten Innenkabinen auch Außenkabinen mit Balkon. Einige Balkone haben gemäß Katalog ‚eingeschränkte‘ Sicht, durch vorgelagerte Rettungsboote.
Die Kabinengröße für den normalen Geldbeutel beträgt ungefähr 25 qm. Inklusive Bad.

So, und jetzt kommen wir ins Spiel. Achim sagt, ich soll aufhören nach den Luxus-Dampfern zu geiern.

Mit den Quadratmetern könnten wir locker mithalten und eingeschränkte Sicht hätte ich bei meinen ‚Erholungstagen‘ ebenfalls nicht. „Alles Außenkabine“, sagt er. :mrgreen:
Mein Argument, dass auf der Queen Mary ein Extra sei, dass abends das Bett aufgeschlagen wird und ein Betthupferl wartet, wischt er beiseite. „Dein olles Laken kriegst Du ja wohl noch selber angehoben“.

Die Verweildauer für die Cruiser ist kurz. Mit Sonnenuntergang legen die Pötte bereits wieder ab. Je nach Niveau der Cruise-Line mit penetrantem 10-fach Gehupe und einer Beschallung übler 80er-Jahre Musik über die ganze Bucht oder einem gepflegten 3-fach Signal.

Bis zu 2.500 Menschen verleben gemeinsam ihren Urlaub im schwimmenden Hotel. Wenn die alle gleichzeitig von Bord strömen, dann tut das dem 7.000 Seelen Ort nicht nur gut.
Konnte ich im August noch normalen Schritts durch die Straßen gehen, so heißt es nun: „Achtung, Kreuzfahrer, orientierungslose Person kreuzt ihren Weg“.

Die Gäste, die nicht durch die Stadt flanieren, werden auf dem Wasser bespaßt. Sonnen- und Strandhungrige werden nach Grand Anse gefahren, einem weitläufigem Strand am Ende der Bucht. Im 10-Minuten-Takt düsen die Barkassen durchs Ankerfeld. Wissen die nicht, dass es gilt, Sog-und Wellenschlag zu vermeiden? ;-)
Zwiebeln rollen schon quer durch die Bude.

Schön finden wir auch die organsierten Schlauchboot-Ausflüge. Ein Leit-Boot fährt vorweg und acht bis zehn Schlauchboote wie die Lemminge hinterher.
In aller Fairness muss man sagen, dass der Trip wahrscheinlich total cool ist, wenn man noch nie im Leben Schlauchboot gefahren ist – 15 PS Außenborder, mit Lenkrad und Sitz…da kann der Atanga-Skipper schon mal neidisch gucken.

Allabendlich betrachten wir die Cruiser und diskutieren, ob wir tauschen wollten oder nicht.  Unseren schlichten Dampfer gegen die aufgerüschten Luxus-Schiffe mit Mega-Buffet.
Mir wäre es zu wenig Verweildauer an einem Ort, aber den Betthupferl, den hätte ich schon gerne. ;-)