Wind

Di., 05.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 584, 3.765 sm von HH

Wenn es eins genug gibt hier in der Bucht von Mindelo, dann ist es Wind.
Dieser versorgt uns mit lecker Strom, denn der Windgenerator braust nur so vor sich hin.
Fast ununterbrochen haben wir Windstärke fünf, häufig sechs, in Böen gerne sieben.
In der Beaufort-Skala-Beschreibung heißt es schlicht über solche Winde: „In den Wanten fängt der Wind an zu heulen, kleine Bäume biegen sich, im Gesicht stark spürbar.“

Dieser Wind versorgt uns auch mit dem Zweiten, was es hier im Überfluss gibt: mit rotem Staub.
Alles ist mit einer rot-braunen Schicht überzogen. Das Schiff, die Tampen, Fliegengitter und Obstnetze.
Alles. Allerdings nur einseitig.
Einseitig ist die windzugewandten Seite eingestaubt, wie eine deutsche Eiche, die im Westen mit Moos bewachsen ist. Dagegen an zu putzen ist eine Sisyphos-Arbeit, die ohne fließendes Süßwasser im Überfluss nicht zu leisten ist.
Wir versinken gerade im Staub…

Jeden Tag heißt es, dass der Wind Morgen nachlässt.
Morgen aber wirklich. Okay, das andere Morgen.

Neben dem Staub fängt auch der Wind an sich an zu nerven.
„Im Gesicht spürbar“ ist bei einem Spaziergang am Meer eine schöne Sache. Ganzkörper spürbar bei jeder Tätigkeit außerhalb der schützenden Sprayhood und beim Fahren mit dem Dinghi wird es lästig. Das ewige Geheule zerrt an den Fallen und Nerven.

Dieser Wind ist auch alles andere als warm. Die Sonne ballert zwar heiß vom Himmel und im windstillen Schiffsinneren sind tagsüber 28 Grad. Sobald die Sonne untergegangen ist, kühlt es so stark ab, dass wir kaum mehr draußen sitzen mögen und alle Crews haben dicke Socken, Step-Westen und Jacken hervor gekramt.
Ilse kommt in Rollkragen-Pulli zum TO-Treffen und sagt, dass sie wie ein Schneider friere und die dicken Decken zum Schlafen hervorgeholt habe.
Winter geht gar nicht, sagt sie…, sie sei sonst auch viel dunkler.
Scherze darüber, dass sie schon ganz blass aussehe, treiben ihr die Empörung ins hübsche, schwarze Gesicht. :mrgreen:

Inseltour auf São Vicente

So., 03.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 582, 3.765 sm von HH

São Vicente ist die drittkleinste der bewohnten acht Inseln von Kap Verde.


Durch Mindelo, mit 80.000 Einwohnern, ist sie allerdings stark bevölkert. Der große Naturhafen von Mindelo hat bereits zur Zeit der Dampfschiffe dazu geführt, dass hier einer der bedeutendsten Häfen auf der Atlantischen Ostseite entstanden ist. Der Umschlagplatz für die Kohle der Dampfschiffe ist verschwunden, die Menschen sind geblieben.
98% aller Einwohner von São Vicente wohnen in Mindelo. Die weiteren Orte sind arg ärmliche, graue Nester durch die grauer Staub fegt.

 

Dabei dürfte auf São Vicente niemand wohnen.
Die Insel ist karg, staubig und extrem wasserarm. Unmöglich können die Menschen von dem, was der Boden hergibt, ernährt werden. Fällt dann noch der Regen aus, so wie in diesem Jahr, verdorrt der Mais, der in den Bergen angebaut wird.
Andere Inseln wurden in diesem Jahr mit viel Regen beschenkt. São Vicente ging leer aus.

 

Die Bustour, die wir unternehmen, wurde von Milan, dem umtriebigen, hilfsbereiten und überaus netten TO Stützpunktleiter organisiert. Milans Frau, Ilse, eine schwarze Schönheit, Milan selber, ein reizendes, reichlich betagtes, amerikanisches Seglerpaar, die bereits seit 17 Jahren unterwegs sind, die Findus Crew und drei weitere Mitstreiter sind mit von der Partie.

 

In einem etwas klapprigen Bus zuckeln wir über die staubige Insel. Die meisten Straßen bestehen aus Basalt-artigen, kleinen Pflastersteinen. Die arbeitsintensiven Straßen wurden vor gut 40 Jahren auf fast allen Inseln erbaut.
Viel zu sehen, gibt es unterwegs wahrlich nicht. Hin- und wieder kleine Ziegenherden, vertrockneten Mais und ein paar Agaven.

In Baia das Gatas machen wir am Strand einen Stop. Hier haben die im Ausland lebenden (reichen) Kap Verdier ihr Wochenendhaus.
Zweidrittel der Kap Verdier leben nicht auf den Inseln, sondern in Brasilien oder Portugal. Von dort aus versorgen sie ihre Angehörigen mit Geld.
Von den hier Gebliebenen haben über 1/4 keine Arbeit und die meisten leben in großer Armut.

Eine Kellnerin verdient 120 EUR im Monat, ein Lehrer 400 EUR.
Ohne Unterstützung der Verwandten im Ausland kann man davon hier nicht überleben. Die Preise sind, abgesehen von Fisch, nicht eben niedrig.

Hinter Baia das Gatas beginnt eine Dünenlandschaft mit Sand aus der Sahara.
Bis vor kurzem haben die Einwohner diesen Sand zum Hausbau verwendet.
Um die Dünen zu schützen, ist dies jetzt verboten.
Wer erwischt wird, landet ohne Verhandlung für eine Woche im Kittchen.

In São Pedro, auf der Westseite, hat Milan in einem beliebten Ausflugslokal, betrieben von einem Schweden, einen Tisch für uns reserviert.


Die Spezialität des Hauses ist Spanferkel und der Duft von Holzkohle-Grill zieht verführerisch über die Terrasse. Die meisten in der Gruppe entscheidet sich für das Schwein.
Vor meinem geistigen Auge erscheint wabbelige Ferkelhaut statt knackiger Kruste.
Ich wähle Fisch.
Und mit dieser Entscheidung hab ich richtig Schwein: Das kleine Ferkel hätte nicht sterben dürfen. Die Haut hat nie einen Grill gesehen und das Fleisch ist fade und neben Fett kaum auszumachen.

Die Beilagen, scharfe, kross gebratene Blutwurst, Blattkohl (eine Unterart unseres Grünkohls und ihm im Geschmack sehr ähnlich), rote Bete und Petersilienkartoffeln mit Schale sind hingegen sehr gut.

Die Umständlichkeit der Kellnerinnen ist für uns gewöhnungsbedürftig.
Zuerst werden die Getränkewünsche aufgenommen (noch normal), dann werden die Getränke gebracht (gut), dann wird verschwunden (schade).
Erst „Stunden später“ werden die Essen-Wünsche notiert. Ein weiteres Getränk zu bestellen, traut sich da keiner mehr. Nicht dass der Prozess wieder von vorne beginnt.  ;-)
So ein Essen in Kap Verde kann sich schon mal in die Länge ziehen.

Ein frohes neues Jahr

Do., 31.Dez.15, Sao Vicente, Mindelo, Tag 579, 3.765 sm von HH

In Mindelo treffen wir auf die La Joya und einen Tag nach uns trudelt die Findus ein.
Schnell ist klar, dass wir Sylvester gemeinsam feiern wollen.
Gekocht wird allerdings getrennt. Die La Joyas essen zu dritt und wir werden von der Findus eingeladen. Reinhard legt sich richtig ins Zeug und die Messlatte hoch: Er zaubert ein Viergänge-Menü vom Feinsten. Kleine-Mini-Wraps als Amuse Guoule, gefolgt von Fischsuppe als Vorspeise. Der Hauptgang besteht aus gegrilltem Fisch aus dem Ofen mit Rosmarinkartoffeln und knackigem Salat. Der Nachtisch besteht aus flambierten Bananen mit buntem Pfeffer.
Hallo? Aber hallo! Wir sind schwer beeindruckt und köstlich satt.

Nach dem Essen ziehen wir alle auf die La Joya um.
In Spanien hatte ich noch am letzten Tag die dort üblichen Spaß-Beutel mit Sylvester-Verkleidungen entdeckt und für uns mitgebracht. Erstaunlich, wie erwachsene Menschen, eigentlich auch ganz vernünftig, zu gackernden Kindern werden. Sich Plastiknasen aufstülpen und alberne Hüte aufsetzten. :shock:
Bereits im letzten Jahr (mit Dagmar und Thomas) haben diese Tüten zu unfassbarer Erheiterung geführt.

Wir warten das Feuerwerk ab und gehen anschließend gemeinsam in die Stadt zur Life-Musik. Leider verlieren wir einander, so dass wir in zwei getrennten Gruppen weiter feiern müssen. Karen, Achim und ich bilden ein Team. Während die drei La Joyas mit Reinhard weiter ziehen.

Wir finden uns im Gewühl auch nicht wieder. Erst um 4:00 Uhr morgens trudeln die letzten in der Marina ein.

Die Life-Musik ist angenehm ohne zu laut zu sein. Und die feierlustigen Einheimischen entpuppen sich als überraschend ruhig. Ich hatte mehr Temperament, Tanz und Hektik erwartet.
Wir können uns unbehelligt und sicher bewegen. Keiner macht den Eindruck als wolle er uns etwas Böses. Es mag Banden geben, die es auf das Geld der Touristen abgesehen haben, wir erleben es in dieser Nacht nicht.
Das einzige, was wir verlieren, ist eine halb volle Flasche Sekt, die uns von kichernden Teenager-Mädchen abgetrickst wird.

Ankern, nichts für Ungeduldige

Mo./Di., 28./29.Dez. 15, Atlantik, Tag 576/7, 3.765 sm von HH

Als wir in der Ankerbucht von Mindelo ankommen, pfeift es mächtig über die Bucht.
Der normale Nord-Ost Passat pustet mit seinen 20 kn plus ordentliche Fallböen.

Wir müssen vorbei an ein paar altersschwachen Frachtern, die auf Reede liegen. Ein Frachter war bereits so klapprig, dass er vor 14 Tagen einfach umgekippt ist. Nun liegt er als unmarkiertes Wrack direkt vor dem Ankerfeld.

Die Bucht ist ganz schön voll. Wir suchen uns einen Platz am nördlichem Rand zum Ankern aus. Es ist allerdings wie verhext, selbst nach drei Versuchen, hält der Anker nicht.
Ein nahebeiliegender Holländer wird schon nervös, weil wir ihm, für seinen Geschmack, zu nahe kommen. Er fuchtelt wie wild auf seinem Vorschiff herum. Die Anweisungen, die er brüllt, gehen zum größten Teil und zum Glück im Windgetöse unter.

Wir geben den gewählten Platz auf und versuchen unser Glück am südlichen Ende.
Hier ist mehr Platz, aber der Weg an Land ist mächtig weit.
Erst mal egal. Nach sechs Tagen auf See wollen wir nun zur Ruhe kommen.
Also ein neuer Versuch. Diesmal hält der Anker sofort. Ich fahre ihn kräftig ein, denn die Böen, die über uns herfallen, haben es in sich.

Unsere Nachtruhe wird von keinem Ankeralarm gestört.
Als Achim am nächsten Morgen zur Emigration geht, um uns einzuklarieren, bleibe ich trotzdem als Ankerwache auf Atanga zurück.
Michael von der La Joya ist so nett und führt Achim durch die Stadt zum Geld wechseln und in einen Handy-Shop zum Internet kaufen.
Mir bleibt nur sehnsüchtig an Land zu starren.

Von der La Joya bekommen wir den Tipp, uns näher an die Stadt zu verholen. Dort sei der Ankergrund besser und die Wege sehr kurz.

Also gehen wir am Nachmittag wieder Anker auf. So richtig will das aber nicht klappen. Der Anker kommt war hoch, aber an der Wasseroberfläche ist Schluss. Mehr schafft die Ankerwinsch nicht. Was uns beim Angeln nicht gelingt, schaffen wir mit dem Anker problemlos: wir haben einen dicken Fisch an der Angel.

Es handelt sich um drei, vier Meter Ankerkette eines Frachters. Die Kettenglieder sind armdick. Diese Kette lässt sich nur mit Mühe überreden unseren Anker wieder zu verlassen.
Mit Pik-Haken, Tampen und viel Körpereinsatz bekommt Achim es hin, während ich aufpasse, dass wir nirgends gegen treiben.

Endlich befreit von den mindesten 100 zusätzlichen Kilos, fahren wir zum neuen Ankerplatz. Der Ankergrund ist hier etwas lehmig, das hält bombengut, aber der Anker benötigt drei Anläufe, bevor er sitzt.

Zusätzlich müssen wir hier einen Heckanker ausbringen, da zum unbefangenen Schwoien nicht genug Platz vorhanden ist. Es soll eine Gasse zwischen Fishing-Club und dem Ankerfeld freigehalten werden.

Der Heckanker wird ins Dinghi verfrachtet und Achim wirft ihn 20 Meter hinter Atanga ins Wasser.
Er kommt an Bord zurück, um den Anker ordentlich auf der Klampe zu belegen.
Bereits 10 Minuten später ist klar, der hält nicht. Beim erneuten Übersteigen ins Dinghi passe ich einen Augenblick nicht auf. Der Tampen vom Dinghi rutscht über die Klampe und unser Gummiboot nimmt im ablandigen Wind schnell Fahrt auf.
Ich biete noch an, dass ich springe (war ja meine Schuld), damit der wasserscheue Skipper nicht in die kalten Fluten springen muss. Aber kopfüber springt er dem abtrünnigen Dinghi hinterher. Es folgt dann triefnass noch Versuch zwei und drei bis der Heckanker ebenfalls greift.

Nun heißt es erneut, dass mindestens einer von uns an Bord bleiben sollte.
Wir wollen mindestens 24 Stunden sicher sein, dass der Anker hält.

In der Nacht bekommt er dann die Generalprobe. Boen bis 40 kn brausen über die Bucht. Wir sind morgens keinen Zentimeter von unseren Platz entfernt, so dass wir an Tag drei nach der Ankunft endlich beide zusammen an Land gehen können.

Von Europa nach Afrika

Mo., 28.Dez. 15, Atlantik, Tag 576, 3.765 sm von HH

Entfernung: 804 sm (1.489 km)
Dauer: 6 Tage, 4 Stunden
Durchschnitts-Geschwindigkeit: 5,43 kn :-)
Wind: von Null bis 30 kn
Wetter: keine Wolken bis auf den Flautentag, kein Niederschlag
Temperaturen: fünf Grad mehr, statt 23 bei Start, 28 bei Ankunft
Segelführung: Genua ausgebaumt, mal mit, mal ohne Reff
Tier-Sichtungen: 3x Delphine, fliegende Fische, 1 Goldmakrele
Verluste: 1 Salatschüssel, 1 knappes Kilo Spaghetti, 1 Goldmakrele
Schiffsbewegung: Bei einer Frequenz von 4 Sekunden bedeutet es, dass wir uns 133.200 Mal auf die Backbord-Seite und 133.200 Mal auf die Steuerbord-Seite geneigt haben.
Wellengang: Wir halten es mit dem anonymen Zitat einer befreundeten Segel-Yacht, die gerade auf dem Weg in die Karibik ist: „Wer mir noch einmal etwas davon erzählt, dass der Atlantik atmet, dem hau ich eine rein.“  :mrgreen:
Fazit: schön war’s