Wie gefällt Ihnen eigentlich Providencia?

Fr., 02.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1097, 11.213 sm von HH

Keine Ahnung. Ich war noch nicht an Land. Seit fünf Tagen nicht.
„Ich geh‘ hier nicht runter, bevor nicht alles wieder schick ist“, informiere ich Achim gleich nachdem der Anker fällt.
Da kann ich stur sein. Hab ja sonst keine Macken. :mrgreen:

Auf der Jagd nach Salzkristallen stoße ich schnell auch auf Schimmel. Die mangelnde Lüftung der Überfahrt zeigt sich mit leichtem Überzug von weißem Pferd auf Holz. Dort wo sowieso wenig Luft hinkommt.
Gut, dann brauch ich eben drei statt zwei Tage, bevor ich hier runter komme.

Achim erkundet derweil die Insel.
Er kennt schon die halbe Inselbevölkerung. Mr. Bush, den Agenten (ohne ist nicht erlaubt in Kolumbien) zum Einklarieren (alles ganz easy hier, macht alles Bushi für 180 USD und einen gratis Revierführer Kolumbien gibt es noch oben drauf).
Und Barbara, die Frau mit der einzigen Wäscherei (teuer, aber gut) der Insel.

Vom Supermarkt und einer Eisdiele wird mir berichtet. Er findet das Bucht-übergreifende Internet. Gratis und nachts sogar schnell.
Es passt mir ganz gut, dass Achim stundenweise von Bord verschwunden ist, ein wenig Abstand vom Mann nach so einer Fahrt schadet nicht. ;-)

Neben seinen Landgängen kümmert er sich um unser gebrochenes Fall.
Natürlich ist das Ende vom Fall im Mast verschwunden. An eine Pilot-Leine kommen Muttern als flexibles Gewicht und die fädelt Achim von oben in den Mast ein. Am unteren Ausgang für das Fall (knapp zwei Meter über Deck) soll diese Pilotleine wieder zum Vorschein kommen. Das gelingt auf Anhieb.
Problem Nr. 1 ist gelöst, wir haben wieder ein Fall an der Fock.

Dem Windmesser ist nicht so leicht beizukommen.
Die stille Hoffnung von unterwegs, dass es sich nur um ein korrodiertes Kabel handeln könnte, stirbt nach einem Vormittag Gepröcker und Gemesse an den Kabeln.
Vorläufige Diagnose: echter Tod.

Ich putze mich in Rage.
Alle Oberflächen, jeder Gegenstand ist salzig. Gischt und der Wassereinbruch haben ganze Arbeit geleistet. Die Salzkruste auf den Glas-Scheiben der Sprayhood ist nicht wasserlöslich (hat man da in der Schule nicht mal was anderes gelernt…, hä?).
Auch nicht essiglöslich. :cry: Erst mit dem Ceran-Feld-Schaber geht es runter (seit drei Jahren liegt der Kerl ungenutzt im Schrank).
Alle Schapps werden kontrolliert, ausgeräumt, Staulisten erneuert und wieder eingeräumt.
Die Polster mit Teppichschaum bearbeitet und Achim an Land für Putzmittel-Nachschub gejagt.

Dann ein unvorsichtiger Blick in unsere Box in der Pantry.
In der riesigen Edelstahlbox lagern wir Getränke-Dosen. Da man diese auch als Kühlbox benutzen könnte, hat die Box einen dicht schließenden Deckel mit Gummi-Lippe.
Der Gestank, der mir entgegen kommt ist eine brisante Mischung aus Bier-Maische mit Orangen-Note, leicht vergoren und vergammelt.
Knapp zehn Dosen haben die holperige Fahrt nicht überlebt und sich in die Box ergossen.
„Ich geh‘ nicht von Bord. Nicht ehe alles fertig ist…“!

An Tag fünf ist noch das Vorschiff übrig. Das kann ich nur mit Achim zusammen. :shock:
Die schweren Ersatzteil-Kisten und Segel tief aus dem Bug zu hieven, schaff ich nicht alleine. Wider Erwarten, können wir ganz gut zusammen arbeiten.
Noch besser wird es als wir vereinbaren, dass ich aufhöre nach jedem Brett, was er hoch nimmt „Oh, mein Gott, wir furchtbar“ zu rufen und er nicht mehr mit „Alles wie im Auslieferungs-Zustand“ kontert. :mrgreen:

Wir haben im Vorschiff mehr Wasser genommen als erwartet.
Einen echten Grund finden wir nicht dafür. Wir vermuten, dass die Wellen, die wir übergenommen haben, mit so viel Druck gegen die Luken geschlagen sind, dass die ganz leicht angehoben wurden und, schupps, wieder eine Tasse voll Wasser seinen Weg in unser Schiff gefunden hat.

Nach acht Tagen Dauerwasser auf dem Vorschiff läppert sich da so manch Liter zusammen.
Das Wasser ist zum größten Teil an der Steuerbord-Wand entlanggelaufen, hat sich seinen Weg über fast alle Kisten, Tüten und Taschen bis nach unten in die Bilge gesucht.
Ein aufgeweichter Sack mit Holzkohle, der beim zweiten Anfassen rechts und links aufplatzt, ist ein Quell der Freude. :evil:
Wir brauchen den ganzen Tag zum Ein- und Ausräumen.
Zum Glück regnet es nur nachts, so dass wir durchgeweichte Sachen gut auf dem Vorschiff trocknen können.

Jetzt sieht es aus wie im Auslieferungs-Zustand. „Sag ich doch“, freut sich der Skipper.

Morgen noch unter die Bodenbretter schauen und hinter die Polster von der Sitzbank. Einmal feucht durchwischen. Fertig.
Und dann geh ich Providencia angucken. :-)

Drei Jahre – zwei Fazits

Do., 01.Jun.17, Kolumbien/Providencia, Tag 1097, 11.213 sm von HH

Wie immer getrennt voneinander geschrieben.

Zuerst die Fakten:
4.659 sm (Vorjahre 5.344 sm )
40 Tage auf See (Vorjahre 53 Tage)
Wir waren im dritten Jahr sehr segel-fleißig.
Achim (macht dieses Jahr keine großen Worte, sein Fazit lautet stumpf): „Alles super!“

Sabine:
Fernweh. Schon immer hatte ich Fernweh. Ein Wort, dass es zu Goethes und Schillers Zeiten noch nicht gab. Von Goethe wird Fernweh als „umgekehrtes Heimweh beschrieben, eine Sehnsucht ins Weite statt ins Enge“.

Das Segeln geht mir zunehmend auf die Nerven (okay, der Stachel vom letzten Törn sitzt noch tief) und wird immer mehr zum Zweck.
So manches Mal habe ich den Kahn schon im Geiste inseriert und überlegt, dass eine Atlantik-Runde vollkommen ausreichend wäre.
„Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah“, um noch mal Goethe zu bemühen.

Das funktioniert leider nicht. Sobald mir ein Bericht über weitere Ziele in die Hände fällt, ist es sofort da, dieses Fernweh: „Da will ich hin…, unbedingt“.
Nur schwer zu erreichen? Egal.
Tagelange Quälerei auf See? Na und, übersteht man schon irgendwie.

Die Sehnsucht noch weitere schöne Länder zu entdecken, zerdrückt die Vernunft wie eine Laus. Gierig blättere und recherchiere ich: was gibt es zu sehen, wir kommt man hin, was kann dieses fremde Exoten-Land.

Mein Antrieb für die mühsamen Tage auf See. Mein Motor, diese endlosen Stunden durchzuhalten.

Heimweh. Ja, hab ich auch. Jetzt wird’s zum Dilemma.
Am besten ist das ‚umgekehrte Fernweh‘ mit einem neuen Reiseführer zu bekämpfen.
Einfach drin stöbern und schon schweigt die Seite in mir.
Und einmal im Jahr nach Hause fliegen. Zum Guten, was so nahe liegt.

Ich freu mich schon auf Euch zu Hause. :-)

Gegen den Wind segeln

Di., 30.Mai 17, Kolumbien/Providencia, Tag 1095, 11.213 sm von HH

Kann man machen, muss man aber nicht.

Joke is

Joke is

 

over

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Bis 15 Knoten ist das noch Spaß (wie letztes Jahr als wir von Guyana nach Französisch Guyana gesegelt sind).
Ab 20 Knoten fängt es an ungemütlich zu werden, bei 25 Knoten wird es fies und ab 30 Knoten ist definitiv Feierabend. Da macht man keinen Handschlag mehr, außer sich festzuhalten.
Und bei Boen bis 38 Knoten entgleisen alle freundlichen Gesichtszüge. Sogar Achim hat geschluckt. :mrgreen:

Mit Ausnahme des letzten Tages mussten wir auf diesem Törn ausschließlich hoch am Wind segeln. Das ist nicht zu erklären. Schließlich haben wir unseren Kurs um 90 Grad geändert. Eine Strecke hätte also Halbwind sein sollen. Hätte, hätte, Ankerkette. War aber nicht. Die dichtgedröhnten Windgötter hatten drollige fünf Minuten.

949 Meilen hoch am Wind. Früher, zu Ostsee-Urlaubs-Zeiten, haben wir es nicht bis Bornholm geschafft…80 sm gegen den Wind zurück erschien uns einfach nicht machbar. :lol:

Wer Bock auf Nudeln mit Ketchup hat, sollte so einen Törn unbedingt versuchen. Und du willst deinen Mann mal nackt (Waltraut! ;-) ) reffen sehen, dann mach so eine Tour.
Memo an die Pantry: Unbedingt für drei, besser vier Tage vorkochen.
Memo an den Verstand: Unbedingt so eine Strecke vermeiden.

Tag 11 – Die Ankunft

Mo., 29.Mai 17, Kolumbien/Providencia, Tag 1094, 11.213 sm von HH
Irgendwas ist anders auf Atanga. :mrgreen: Es ist so ruhig. Und wir nicken nicht mehr zwei Meter tief in die Wellen rein. Und wir segeln halbwegs grade. Und es ist trocken. Der letzte Tag ist was für Genuss-Segler. Genuss will sich nicht recht einstellen, aber wir sind froh, dass es so friedlich ist. Der Wind ist auf 13 Knoten zurück gegangen und ein vorgelagertes Riff hält die alte Dünung von uns fern. :-)
Die letzte Nacht sind wir zu schnell. Wir reffen alles weg, was geht, damit wir erst mit der Morgen-Dämmerung ankommen. Das gelingt, und um 7:00 Uhr fällt der Anker. Auf fünf Meter im Sand und hält sofort. Wir liegen in einer bezaubernden Bucht, aber die Schönheit trifft noch nicht ins Herz. Das Auge sagt, das sieht gt aus, das Herz ist noch auf See…
Wir sind total kaputt, müde und ausgepowert. Das Anleger-Bier muss trotzdem warten. Die Immigration will den Käpt’n sehen und aus dem Drecks-Dampfer muss erst wieder ein bewohnbares Heim geputzt werden. Und wieder ist das Leben kein Pony-Schlecken.
Null Meilen bis zum Ziel. 😊))))

Tag 10 Nach Providencia

So., 28.Mai 17, Karibisches Meer, Tag 1093, 11.138 sm von HH
Unser AIS ist auf Piratenhöhe ausgeschaltet und nachts fahren wir ohne Positionsleuchten. Das Schlimmste was passieren kann, dass uns ein anderer Segler entgegenkommt, der es genauso macht. Aber außer uns wird ja wohl kaum noch so ein Trottel unterwegs sein. :mrgreen:
Um 6:00 Uhr morgens dann der Schreck. Wir passieren ein kleines Kajütboot, Typ Seelenverkäufer. Abstand vielleicht eine Meile. An Deck ist niemand zu sehen. Das Boot scheint zu ankern (wir befinden uns über den flachen Nicaragua Banks mit einer Wassertiefe zwischen 15 und 60 Metern). Sind es harmlose Fischer? Oder vielleicht Drogenkuriere? Die Banks haben den Ruf als Drogenumschlagplatz. Dass hier draußen Piraten auf zufällig vorbei kommende Segelboote alauern, halten wir für beliebig unwahrsheinlich.
Misstrauisch fahren wir dran vorbei. Merkwürdig ist das Boot schon, so weit draußen, 90 sm vom Festland und 50 sm von den nächsten Inseln entfernt. In was für einer Welt leben wir eigentlich, dass man bei einem Boot nicht nur an harmlose Fischersleut denken muss?
Die Segel-Bedingungen sind weiterhin entspannter. Wir müssen zwar noch immer hoch am Wind fahren, aber Wind und Welle sind auf ein gutes Maß zurück gegangen. Zusammen mit der avisierten Ankunft für Morgen früh, hebt das ganz erheblich die Stimmung. Die Angel hängt nach Tagen wieder aus und es dauert nicht lange und wir haben einen kleinen Jack-Fish dran. Yammi.
61 Meilen Rest nach Süden.