Die Handwerker verabschieden sich

Do., 02.Mrz.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3197, 24.696 sm von HH

Mit viel Verzögerung durch Regen im Januar und Zyklon Gabrielle vor gut zwei Wochen sind wir nun doch endlich fertig. Das letzte Projekt ist abgeschlossen. Die Löcher-Reparatur in den Fächern vom Cockpit war da noch einmal ein extra Schmankerl. Achim kam von unten an die Löcher nicht heran. Also hat er aus einem Joghurtbecher einen Deckel geschnitten. Diesen mit einer Schnur versehen und von außen mit Gewichten stramm vor dem Loch festgesetzt. Auf diesem  schwebenden Boden hat er dann Epoxy geschmiert. Toller Trick. Den habe er aber aus einem Buch, wie er mir gesteht. Trotzdem: Skipper Achim ist jetzt Bootsbauer-Experte in allen Belangen. ;-)

Bereits vor Weihnachten lackiert – jetzt erst eingebaut

Letztes Projekt im Cockpit – die Löcher stopfen – die zum Wassereinbruch bei Gabrielle geführt haben

Das Cockpit ist wieder zusammengebaut – alles lackiert inklusive Halter für die Instrumente und dem Brett im Hintergrund, alles glänzt – das Cockpit ist poliert und gewaxt – wir sind tatsächlich fertig!

Der Kahn ist aufgeräumt. Kisten mit Werkzeug und Material sind aufgelöst. Atanga sieht wieder wie ein Schiff aus. Die Fender baumeln am Bug. Das Dinghy steht wieder an Deck.
Wir haben jetzt tatsächlich alles erledigt, was wir uns an Renovierung und Erneuerung vor 15 Monaten vorgenommen hatten. Na ja, man soll nicht lügen … fast alles. Es gäbe am Rumpf noch ein paar Gelcoat Reparaturen. Dafür bräuchten wir wieder das große Gestell – das ist anderweitig vermietet. Eine vortreffliche Ausrede. Die Luft für ein weiteres zwei-Wochen-Projekt ist raus. Wir hängen unsere Overalls an den Haken.  Unsere Lebensleistung an Schleif-Arbeiten ist sowieso verbraucht. :mrgreen:

Boat Builder gesucht bei uns auf der Werft – kein Problem für uns, den Job nehmen wir – nach 15 Monaten Arbeit durch alle Gewerke :mrgreen:

Und nun? Jetzt ist noch einmal eine Tour mit dem Auto geplant. Einen Besuch der Südinsel haben wir im Geiste schon vor sechs Wochen gestrichen. Zufällig eine weise Entscheidung. Die Plätze auf den Fähren sind bis Ende März ausgebucht. Durch Gabrielle gab es Ausfälle im Fährbetrieb und dann ist auch noch eine Fähre so kaputt, dass sie wochenlang nicht fahren wird.

Wir machen da weiter, wo wir unsere Tour im November abgebrochen haben: beim schönsten Vulkan auf der Nordinsel, beim Mt. Taranaki. Mein Fuß ist wieder gut für fünf Kilometer ebene Strecke. Ob er in den Bergen zickt, werden wir erleben. Drückt mal die Daumen, dass die Sehnen-Reizung ausgeheilt ist. Die letzten Wochen habe ich noch einige Massagen und Mobilitäts-Anwendungen bekommen. ACC sei Dank war alles kostenlos. Die junge Physio-Dame hat mich nun als geheilt entlassen.

Spätestens am 1. April kommen wir von unserem Trip zurück und zwei Wochen später Atanga wieder zurück ins Wasser. Erst war uns der Termin zu spät. Jetzt sind wir froh. Die Zyklon-Saison ist voll im Gang. Judy und Kevin sind gerade auf dem Weg Vanuatu zu verwüsten. Diese beiden Stürme werden Neuseeland zum Glück nicht mal streifen.
Die Schäden von Gabrielle sind noch lange nicht beseitigt. Viele Straßen noch gesperrt. Wir werden uns auf einige Umwege einstellen müssen.

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Besuch in der Nacht

Do., 23.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3190, 24.696 sm von HH

Normalerweise braucht es eine Elefanten-Herde, um mich nachts zu wecken. In dieser Nacht ist es anders – ich höre ein leises Klingeln. Die Nacht ist windstill, die Luke über meinem Bett steht weit offen. Außer dem Klingeln ist nichts zu hören. Ich lausche: da wieder! Das müssen die Ketten der Ständer sein in denen Atanga steht, erkenne ich. Was mag in drei Metern Höhe mit den Ketten rasseln? Mein schlaftrunkenes Hirn versucht eine Lösung zu finden. Eine Katze? Dann höre ich Schritte an Deck. Tapp, tapp, tapp. Zu laut für eine Katze. Ich lausche und starre in die Dunkelheit. Über mir erscheint ein Gesicht und schaut frech zu mir herunter. Ich starre zurück. Ohne Brille kann ich nicht wirklich erkennen, wer da über mir hockt.

Höchste Zeit den Käpt’n zu wecken. Ich rüttel ihn wach. Das Gesicht an der Luke ist verschwunden. „Da ist was an Deck“, flüstere ich Achim zu. „Ein Tier.“  Mein Jäger ist sofort auf den Beinen. 30 Tausend Jahre Evolution seit Neandertal haben keinen Schaden angerichtet. Wiesel schnell schaltet Achim auf Jagdmodus und die Decksbeleuchtung an. Er springt ins Cockpit. „Da ist nichts. Hast du geträumt?“ Er schleicht ums Cockpit herum. „Doch, hier sitzt was. Ich glaube das ist ein Possum.“ Der freche Kerl lässt sich gar nicht stören. Ich kann auch einen Blick auf ihn werfen und sogar gemütlich den Fotoapparat holen. Selbst der Blitz irritiert unser Possum kein bisschen. Erst als wir ihm von zwei Seiten auf den Pelz rücken, klettert er an den Ketten so herunter, wie er gekommen ist.

Possum in der Nacht

Der Fuchskusu, in Australien und Neuseeland Possum genannt, wird knapp so groß wie eine Katze und ist Neuseelands größter Schädling. Das Beuteltier mit wertvollem Pelz stammt ursprünglich aus Tasmanien. Vor hundert Jahren wurden 200 Tiere für die Pelzzucht nach Neuseeland gebracht und die haben sich hier ungehemmt vermehrt. Ohne natürliche Feinde ist die Population auf 40 bis 70 Millionen (!) Exemplare angewachsen.

Diese verwüsten nicht nur Gärten und Felder, sie fressen wortwörtlich ganze Wälder kahl. Bevorzugte Nahrung sind Blätter und Knospen.
Seit den 1990er Jahren rückt man den Possums mit Fallen auf den Pelz. Unterwegs auf unseren Wanderungen haben wir viele Fallen gesehen. Häufig sind die erst nach stundenlangem Marsch zu erreichen. In keiner Falle haben wir ein erschlagenes Possum gefunden.
Dafür sieht man umso mehr überfahrene Tiere. Die nachtaktiven Fuchskusus scheinen auf Autos so zu reagieren, wie auf uns an Deck. Nämlich gar nicht. Somit sind in einigen Gegenden die Straßenränder förmlich übersät mit Kadavern. Wer für Naturschutz ist in Neuseeland, bremst nicht für Tiere.
Zusätzlich gibt es noch Fallen mit Giftködern. Die Possums auszurotten ist erklärtes Ziel der Naturschutz-Behörde.

Possum-Falle in Opotiki – Achim hat die Falle gespannt und mit einem Ast ausgelöst – der wurde von der Wucht der Falle in tausend Stücke zerschlagen

Das Fell der Fuchskusu ist außerordentlich weich. Da aber weltweit die Nachfrage nach Pelz zurück gegangen ist, kam in Neuseeland der Handel fast zum Erliegen. Vor knapp zwanzig Jahren fand man jedoch ein Verfahren, um aus den Haaren des Possums Wolle zu spinnen. Seitdem lohnt sich die Jagd nach dem Schädling wieder.
Putzige Tiere – nur zur falschen Zeit am falschen Ort. In Australien ist das Possum übrigens geschützt. Durch Fress-Feinde, wie Schlangen, Eulen und Dingos hält sich ihr Bestand auf ein natürliches Maß.

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Aug in Aug mit Gabrielle

Mi., 15.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3182, 24.696 sm von HH

Gabrielle ist hebräisch und bedeutet „Gottes Heldin“. Wer hatte nur die schlechte Idee, einem Zyklon diesen Namen zu geben?
Hurrikane, Taifune und Zyklone sind dasselbe. Mit dem einzigen Unterschied, dass Zyklone nur auf der Südhalbkugel vorkommen und sie sich im Uhrzeigersinn drehen. Das Gute an Wirbelstürmen ist, dass man ihre Entstehung heutzutage frühzeitig entdecken kann. Die Vorwarnzeit beträgt mehrere Tage. Nur die exakte Laufbahn ist noch immer schwierig vorherzusagen.

Samstag, 4. Februar
Wir bekommen heute das erste Mal Wind (`tschuldigung – doofes Wortspiel  :lol: ) von einem sich aufbauenden System. Das ist total uninteressant. Eher beunruhigend für Insel-Staaten im Norden wie Neu Kaledonien und Fiji. Was hat Neuseeland mit diesem Tief zu tun?

Dienstag, 7. Februar
Aus dem harmlosen Sammelbegriff „Tief“ ist nun ein Zyklon geworden. Die ‚Heldin Gottes‘ wird aus der Taufe gehoben. Gabrielle ist in den letzten drei Tagen mächtig gewachsen und auf direktem Weg nach Neuseeland unterwegs. So richtig ernst nehmen wir das noch nicht. Gabrielle wird schon abdrehen. Wann wird Neuseeland direkt von einem Zyklon getroffen? Eben! So gut wie nie! Deswegen kommen die Segler aus Fiji ja extra hier rüber.
„Hui, das wird windig“, amüsieren wir uns.

Die Laufbahnen von Zyklonen zwischen 1985 und 2005 – Bola 1988 war noch schlimmer als Gabrielle – Foto Wiki

Mittwoch, 8. Februar
Gabrielle ist nun ein Zyklon der Klasse 3. Hat einen Druck von 962 Hektopascal. Eine Faustformel behauptet, je niedriger der Druck, desto größer die Zerstörungskraft.
An Neukaledonien und Fiji zieht Gabrielle bequem vorbei. Mehr als 30er Böen sind nicht vorhergesagt. Gabrielle hält weiter Kurs auf Neuseeland. Mit Amüsement ist es nun auf Atanga vorbei. Das Auge soll direkt über den Norden der Nordinsel ziehen. Über uns. Mit einem Grundwind von 45 Knoten und Böen bis 72 Knoten. Sonntag oder Montag soll das passieren. Erste Empfehlungen kommen über die Medien rein: Kaufen sie für einige Tage was zu essen, halten sie Trinkwasser bereit und eine Taschenlampe.
Ich gehe einkaufen.

Gabrielle rückt näher

Donnerstag, 9. Februar
Gabrielle rollt unbeirrt auf Neuseeland zu. Prognosen sagen jetzt, das Auge soll etwas weiter östlich an uns vorbei ziehen. Das würde einen Unterschied bedeuten von Böen 70 Knoten zu 50 Knoten – gefährlich zu unangenehm.
Wir binden alles weg. Räumen das Deck leer und unseren Arbeitsplatz unter dem Schiff.

Freitag, 10. Februar
Bestes Sommerwetter. Achim und ich gehen noch mal in die Stadt etwas bummeln. Die nächsten Tage kommen wir garantiert nicht vom Kahn. Gabrielle ist weiter auf dem Weg zu uns. Dass sie noch abdreht, wird immer unwahrscheinlicher. Nur wie stark wird sie sein? Die letzten zwei Tage ist sie zum Glück auf Kategorie 2 runter gestuft worden. Der Luftdruck im Auge ist etwas gestiegen.
Das Auge soll weiterhin östlich vorbei gehen, dann allerdings auf halber Höhe der Nordinsel einen Schlenker nach Süden machen. Die Regenfälle, die der Zyklon mitbringen soll, sind außerordentlich. Es gibt örtliche Warnungen von 400 mm in 24 Stunden.

Samstag, 11, Februar
Gabrielle hält Kurs. Sie ist zum Tropensturm herab gestuft worden. Zum Glück. Es geht los. Erste Böen mit 30 Knoten kommen tagsüber rein. Es regnet heftig. Aber alles auszuhalten. Dass Neuseeland so ein Wetter kann, hat es uns diesen Sommer schon etliche Male gezeigt. Nichts Besonderes.  Wir hocken trotzdem vor dem Wetter-Ticker. Der Wind soll zunehmen in der Nacht. Also beschließen wir als letzte Amtshandlung  auch noch das Bimini abzubauen.  Alle Luken sind zu, inzwischen schüttet es aus Eimern. Böen von 36 Knoten berichtet uns die Alrisha. Wir schlafen trotzdem gut in dieser Nacht.

Gabrielle

Sonntag, 12. Februar
Wir tappen morgens in den Salon. Ihhh! Pfui, was ist das denn? Der Fußboden im Eingangsbereich schwimmt. Es tropft von der Decke. Es tropft durch das Schott am Niedergang. Es tropft von den Leisten. Erste Rinnsale haben sich gebildet, die die Wand runter laufen. Es tropft auf den Herd, in die Spüle. Wir gucken uns ratlos an. Wo kommt das her? Da haben wir Millionen Dollar für die Decks-Sanierung ausgegeben und haben Wasser im Schiff? Da haben wir das Cockpit mit Epoxy repariert, Dichtungen neu gezogen und haben Wasser im Schiff? Ich könnte heulen.

Achim ist pragmatischer und geht auf die Fehlersuche: Der Wind kommt genau aufs Heck von Atanga (natürlich kommt er genau von hinten, grrr). Und waagerecht. Und in Mengen. Durch das fehlende Bimini wird der Regen bis an die Scheiben vom Cockpit getrieben. Dort weiß das Wasser nicht, wo es hin soll und sucht sich einen Fluchtweg durch einen Kabelkanal für die Navigation. Außerdem findet es seinen Weg durch zwei Abflüsse, die sich in den Kästen rechts und links vom Eingang befinden. Diese Abflüsse sind mit Kunststoffabdeckungen verschlossen und versiegelt. Hahaha, dachten wir zumindest. Die Versiegelung hat Undichtigkeiten, die wir bisher nicht gesehen haben. Ja, gar nicht sehen brauchten. Denn noch nie hat es so bei uns ins Cockpit geregnet.
Achim hat die Ursache gefunden und wer es findet, muss es beseitigen. Achim muss raus. :mrgreen: Das Bimini bei den Böen wieder aufzubauen, geht nicht. Da würden wir von Deck fliegen. Also installiert Achim ein Provisorium aus Planen vor den Niedergang. Die Planen bringen etwas Schutz, aber es tropft weiterhin im Halbsekundentakt von der Decke.
Achim baut eine Deckenverkleidung ab. Er schafft es, unter das Ende vom Kabelkanal eine Schüssel zu stellen. Die muss alle zwei Stunden ausgeleert werden. Der Rest fließt weiterhin die Wände runter. Mehr können wir nicht machen. Außer Handtücher überall auslegen. Immerhin ist es nur Süßwasser. :-)
Gabrielle wird zu unserer heimlichen Heldin erklärt  –  ohne sie hätten wir diese Schwachstelle niemals gefunden.

Um 16:30 Uhr dröhnt aus dem Handy ein Alarm. Der Notstand wird für unsere Region –Northland-  ausgerufen.

Alle zwei Stunden ist die Schüssel voll

Der Rest tropft daneben

Mit diesen Provisorien versuchen wir etwas Regen vom Eingang fern zu halten

 

Hier ist das Wasser rein gelaufen – Foto ist heute entstanden

und hier – die Deckel sind schon runter – die Reparatur hat bereits begonnen

Montag, 13. Februar
Wir gehen nur raus, wenn wir unbedingt müssen.
Es gießt und stürmt. Es stürmt und gießt.
Wieder starren wir auf den Wetter-Ticker. Der Wind soll doch drehen. Wann ist es denn so weit? Dann, am Nachmittag, ist es für zwei, drei Stunden etwas ruhiger. Das Zyklon Auge befindet sich ungefähr 150 Kilometer draußen auf offener See. Endlich dreht der Wind. Er kommt jetzt von vorne. Mit voller Wucht. Die Rückseite hat es in sich. Atanga rappelt und wackelt in ihren Stützen. Es fühlt sich an wie in einem Achterbahn-Wagon. Segeln ohne Schräglage. Segeln ohne Wasser. Schön ist das nicht, außer, dass spontan das Getropfe im Salon aufhört. Es gießt und gießt und gießt, aber der Regen bleibt draußen. Wunderbar. Da ist das Gewackel fast zweitrangig.
Die Nacht ist unruhig. Der Höhepunkt von Gabrielle ist erreicht. Unser Windmesser ist noch nicht wieder installiert, aber Alrisha und der Wetterbericht sprechen von Böen bis knapp 60 Knoten. Ja, so hört es sich auch an. Das Heulen und Brüllen des Windes ist grausam.

Der Blick runter von den Whangarei Falls an normalen Tagen

Gleicher Blick – gleiche Bäume am Sonntag – Foto credit unknown – Internetfund

Townbasin von Whangarei bei normalem Wasserstand

Der Wasserstand von Sonntag vor dem Restaurant – Foto Credit unknown – Internetfund

Dienstag, 14. Februar
Die hefigen Böen halten noch den Vormittag an. Dann hört der Regen auf. Der Wind geht runter. Grundwind noch 30 Knoten, Böen 45 Knoten. Nichts Besonderes ;-)
Wir haben das Gefühl, es überstanden zu haben. Uns ist nichts passiert. Nichts ist kaputt gegangen. Atanga steht noch – wäre auch irgendwie blöd gewesen,  das frisch renovierte Schiff auf die Seite zu legen.

Hier ist das höchste Hochwasser schon vorbei – Atanga steht links – zweites Schiff

Allerdings hat Gabrielle die Nordinsel in Verwüstung hinterlassen: Überflutungen. Erdrutsche und umgewehte Bäume. Weg gerissene Straßen. Stromausfall. Einhundert tausend Haushalte verbringen die nächsten Tage im Dunkeln. Ein Feuerwehrmann soll von einem Erdrutsch verschüttet worden sein. Von mehr Todesfällen haben wir zum Glück noch nicht gelesen. Whangarei ist im Augenblick abgeschnitten, so wie viele andere Orte auch. Zu viele Straßen sind nicht passierbar. Die Versorgung wird schwierig. Schon am Samstag soll es kein Brot und keine Milch mehr im Supermarkt gegeben haben. Der nationale Notstand ist ausgerufen worden.

Mittwoch, 15 Februar
Der prognostizierte Schlenker von Gabrielle ist eingetroffen. Was für ein Unglück. Das bedeutet, dass der Osten der Nordinsel auch die Rückseite vom Wirbel abbekommt. Als ob der Schaden im Norden nicht gereicht hätte. Im Süd-Osten kommt es zu den schlimmsten Überflutungen. 240 mm Regen fällt in 24 Stunden. Böen bis 75 Knoten an exponierten Stellen werden gemessen. MetService berichtet von 11 Meter hohen Wellen offshore. An der Küste kommen noch 5 bis 6 Meter Brecher an.

Bei uns in Northland scheint die Sonne mit stahlblauem Himmel. Als wir aufwachen, ist es fast windstill. Kein Geräusch mehr zu hören. Eine Wohltat nach 72 Stunden Dauerwind, Dauergetöse. Aber es fühlt sich wie eine Verhöhnung an: war was?
Niemals, nie, unter keinen Umständen möchten wir so einem Wirbel auf See begegnen. Ein Lehrstück, wie wichtig Wetter-Beobachtung ist – sogar an Land.

Gabrielle ist Morgen weg. Sie wird sich über dem kalten Wasser weiter im Süden einfach auflösen. Neuseeland wird etwas länger unter dieser Antiheldin leiden.

Nur ein Beispiel von vielen – Straßen sind verschwunden – Foto credit unknown – Internetfund

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Wir sind Helden

Mi., 08.Feb.23, Neuseeland/Whangarei, Tag 3175, 24.696 sm von HH

Zumindest fühlen wir uns so. Aus allen Ecken des Boat-Yards kommen sie gelaufen. Sogar mit dem Fahrrad angefahren,  aus dem letzten vergessenen Winkel. Selbst Leute mit denen wir kaum ein Wort gewechselt haben. Alle stehen sie mit offenem Mund vor unserem Schiff. Umrunden Atanga andächtig. Die Bewunderer. Die Ungläubigen. Die, die auch gerne so ein Wunder vollbringen können wollen. ;-)
Und die Schmeichler. Die, die ihr Lob eine Schippe zu dick auftragen: „Wie vom Profi!“ Egal. Jedes Lob geht runter wie Öl. Das tut gut.

Spieglein an der Wand – wer ist der beste Maler im ganzen Land? Hahaha – ich wollte nicht aufs Foto ;-)

vorher

Zumal der zweite Akt der Streifen-Lackiererei nach der Regenpause noch eine Tücke bereit gehalten hat. Der zweite Anstrich erfolgt an einem bewölkten, windarmen Tag. Gut so. Gleich läuft die Arbeit viel besser. Erfolgreich und fehlerfrei bekommen wir den Lack auf den Kahn. Endlich trauen wir uns auch das spezielle Vinyl-Tape runter zu reißen. Die Naht zwischen ‚rot und grau‘ und ‚rot und weiß‘ ist sen-sa-tio-nell! Wie mit dem Lineal gezogen.
Aber natürlich hat in der Zwischenzeit das Vinyl-Tape seinen Klebstoff an den Untergrund abgegeben. Und nun? Mit Aceton trauen wir uns nicht auf den Lack. Rubbeln hilft nicht. Aus „Frag Mutti“ weiß ich, dass sich Etiketten mit Speiseöl ablösen lassen. Das funktioniert auch – würde jedoch Wochen dauern. Aaron rät uns zu Petroleum oder Terpentin. Das sei unschädlich auf 2-Komponenten-Lack und ebenfalls ölig. Wir versuchen es und, hurra, es funktioniert.
Die Mietzeit unseres Gestells geht sich genau aus, dass wir es noch schaffen, den Rumpf fertig zu polieren und zu waxen.

Wenn man nah ran geht, sieht man natürlich, dass es mit der Hand gepinselt ist und nicht gespritzt

Auch das weiße Gelcoat glänzt wieder in der Abendsonne

Die Kosten:
Der Kostenvoranschlag für die drei Streifen belief sich auf 6.250 Euro (10.600 NZ$). Davon für Material 1.000 Euro.
Wir haben für Material – inklusive zweimal Kauf rote Farbe und zweimal Abkleben – etwas mehr als die Hälfte bezahlt. Und davon war das teuerste die Miete des Gestells für zwei Wochen (300 Euro). Der Fairness halber muss ich dazu schreiben, dass der Lack von Aaron extra auf unsere alten Farbtöne abgemischt worden wäre. Wir haben „irgendwelchen“ Lack gekauft. Dass der zufällig genau unserem Farbton entsprach, war pures Glück.

Und der Arbeitslohn? Über den wir uns kaputt gelacht haben, weil er uns absurd hoch vorgekommen ist? Der war tatsächlich realistisch kalkuliert. :shock: Zusammen haben Achim und ich 132 Stunden an den Streifen gearbeitet. Okay einiges doppelt und sicher auch umständlich. Dafür haben wir keine aufwändigen Vorarbeiten gemacht, wie Pin Hole Filling, was im Kostenvoranschlag enthalten war.
132 Stunden x 43 Euro Stundenlohn (so viel kostet hier ein Maler) ergibt 5.700 Euro. Das passt also pi mal Daumen.

Wir haben die Arbeit deutlich weniger aufwändig eingeschätzt und ganz schön geflucht.  Memo an uns selber: Maler ist ein Lehrberuf! Finger weg.
Bleibt die Frage, was fangen wir jetzt mit dem ganzen gesparten Geld bloß an?

 

PS: Ich hinke ein paar Tage mit dem Blog. Während ich dies schreibe, fegt gerade Gabrielle über uns hinweg. Alles sieht noch gut aus. 👍

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Waitangi Day

Mo., 06.Feb.23, Neuseeland/Waitangi, Tag 3173, 24.696 sm von HH

Jedes Jahr am 6. Februar wird in Neuseeland der Waitangi Day gefeiert. Der wichtigste Feiertag im Land. Wobei viel Wert darauf gelegt wird, dass es sich um einen Gedenktag handelt. Denn ob es aus Maori Sicht tatsächlich etwas zu feiern gibt, darüber wird seit 183 Jahren kontrovers diskutiert.
In Waitangi – nur 70 Kilometer von Whangarei entfernt – wurde der Vertrag von Waitangi zwischen den englischen Siedlern und vielen Klan-Chefs der Ureinwohnern, den Maoris,  geschlossen. Es ging um Land- und Machtverteilung, da England 1840 plötzlich großes Interesse daran zeigte, dass Neuseeland zur englischen Kolonie erklärt wird. Die englische Version des Vertrages wurde auf Maori übersetzt  – leider mit einigen Übersetzungsfehlern. Ob absichtlich oder versehentlich, ist unklar. Aber der Vertrag führte zu Interpretationsfehlern und bis heute zu Rechtsstreitigkeiten.

Ungeachtet dieser Vorgeschichte ist es voll in Waitangi rund um den Gedenk-Platz. Nur rund 15 Prozent der Einwohner Neuseelands sind noch Maori-stämmig. Ein Blick über das anwesende Publikum lässt etwas anderes vermuten. Die halbe Population der Maoris scheint auf den Beinen zu sein.

Auf die Andacht um 6:00 Uhr im Morgengrauen haben wir verzichtet. Gemeinsamt mit den Crews der Seven Seas und Alrisha haben wir uns für eine Abfahrt erst um 7:00 Uhr entschieden. Brigitte ist so nett und fährt. Bei leichtem Nieselregen geht es los (das gibt der Atanga Crew ein gutes Gewissen – können wir doch nicht am Rumpf weiter arbeiten). ;-)

Pünktlich zur Hauptattraktion erreichen wir Waitangi. Eine Flotte von Kanus befindet sich bereits auf dem Wasser.  Waka, wie der Maori seine Kanus nennt. In einer Bucht sammeln sich die Boote. Weit über das Wasser schallen die Rufe der Kanuten bis zur Brücke auf der das Publikum wartet. Dann beginnen sie zu singen. Kraftvoll, kehlig. Gänsehaut! Muschelhörner erklingen. Die Boote setzten sich in Bewegung. Am auffälligsten ist ein riesiges Kriegs-Waka. Von 80 Paddlern wird es angetrieben. Der Gesang wird lauter. Dazwischen wird gebrüllt. Und typisch für die Maori mit den Augen gerollt und Grimmassen gezogen. Unter lautem Gejohle wird die Zunge herausgesteckt. Diesen Kriegern wollte man nicht im Ernstfall begegnen.

 

Auch einige Doppel-Kanus sind mit dabei

Auch einige Doppel-Kanus sind mit dabei

Großes Kriegs-Kanu mit 80 Mann zum Paddeln

Ich muss hier unwillkürlich an Pipi Langstrumpfs Vater denken – Südseekönig

Die Kanus drehen ein paar Runden, machen halt am Marae – einem Versammlungshaus für Maori-Gemeinschaften. Ein paar Reden werden geschwungen von denen wir nichts mitbekommen.
Wir nutzen die Zeit und gehen zum Museum von Waitangi. Dort befindet sich der Unterstand für das große Waka. Dies wird nur zum Waitangi Day ins Wasser gelassen. Aus gutem Grund. Um das Waka die knapp zwei Meter höher an Land zu ziehen, braucht es alle 80 Kanuten. Unglaubliche 12 Tonnen wiegt das Kanu. Zum 100 jährigen Waitangi Day wurde es in dreijähriger Arbeit fertig gestellt. Drei Kauri-Bäume mussten ihr Leben lassen, um das 37 Meter lange Monster herzustellen.  Die Männer müssen richtig ran. Zusätzlich zum Eigengewicht gilt es auch noch hunderte Liter Wasser an Land zu ziehen. Der Kahn scheint mächtig undicht zu sein.

Alle Mann raus aus dem Kanu – zwei Wagen auf Schienen stehen als Hilfe bereit

Die Maori stehen überdurchschnittlich gut im Futter

Zu gleich – es riecht nach altem Holz – nach Männerschweiß und Salzwasser

Traditionelle Begrüßung unter zwei Maori-Kumpel – das polynesische Nasereiben

Tätowierung der Männer

Gesichts-Tattoo der Frauen – ein Moko

Nach dem Kanu-Spektakel gibt es auf verschiedenen Bühnen noch ein paar Tanzvorstellungen. Die bunte Fröhlichkeit aus Französisch Polynesien mit einem Blumenmeer, sanften Hüftschwüngen und lieblichen Versprechungen im Tanz ist bei den Maori Tänzen verschwunden. Überwiegend in schwarz gekleidet, keine Blumen hinter den Ohren setzt man auch beim Tanz auf Grimassen und die herausgesteckte Zunge. Und das nicht nur bei Kriegstänzen. Auch Liebeslieder werden gerne so untermalt.

Freundliche Gesten sind das nicht

 

Böse gucken – Augen rollen – der Gesang passt dazu – lieblich ist er nicht

Die Frauen können und machen es ebenso

Happy Waitangi Day

 

Ein toller Tag in Waitangi. Wer in der Nähe ist, sollte es nicht verpassen.

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