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Mit dem Auto in den Westen

Di., 23.Nov.21, Neuseeland/Kauri Wald, Tag 2733, 24.688 sm von HH

Achim muss auch am zweiten Tag das Auto fahren – never change the winning driver. Er macht es großartig, sogar das Blinken mit dem Scheibenwischer-Hebel wird stetig weniger. ;-) Ich helfe trotzdem: „Wir fahren links“, lautet meine Erinnerung, wenn wir nach einem Stopp wieder ins Auto steigen. Das Schwierigste sind Kreisel (und es gibt viele Kreisel … ) im Uhrzeigersinn zu fahren und rechts abbiegen.

Wir wollen quer über die Nordinsel zur anderen Seite fahren. Zum größten Überrest des einstigen Kauri-Waldes, der den Norden der Nordinsel komplett bedeckt haben soll. Ich möchte zum Tāne Mahuta (dem Herrn des Waldes) und zum Te Matua Ngahere (dem Vater des Waldes). „180 Kilometer fahren für zwei Bäume?“, fragt Achim und zieht die Augenbraue hoch. Wenn Bäume einen Namen bekommen, müssen sie etwas besonderes sein – wir fahren los.

Die Strecke dorthin führt (bei heute vorzüglichem Wetter) zunächst wieder durch Viehlandschaft. Es gibt wohl kein einziges ebenes Fleckchen hier im Norden. Anhöhe folgt auf Anhöhe. Hobbit- Hügel reiht sich an Voralpen-Hügel reiht sich an Hobbit-Hügel.
Ein gut asphaltierter Highway bringt uns rasch vorwärts. Nach einer guten Stunde erreichen wir einen Sund, der sich tief ins Land einschneidet. Die Landschaft verändert sich. Die Bergkuppen sind nun dicht bewaldet, die Landwirtschaft verschwindet. Als wir das Ende vom Sund Hokianga erreichen, könnte der Kontrast nicht größer sein. Die eine Seite üppg grün bewachsen, auf der anderen Seite türmen sich bis zu 180 Meter hohe Sanddünen. Sie sind der Anfang des endlos nach Norden reichenden 90 Miles Beach (88 Kilometer lang, um genau zu sein ;-) )  Die raue Tasman Sea findet nach zweitausend Kilometern ab Australien hier ihr Ende.

Blick auf Hokianga Harbour

Der Eingang vom Hokianga Harbour

Keine Schiffe im Westen – die raue Seite der Tasman Sea ist schwierig – eine Barre in diesen Sund schlecht passierbar

Normalerweise Urlaubsregion – jetzt menschenleer

Wilde Tasman Sea trifft auf endlosen Strand – der nach 88 Kilometern dann doch endet

Ursprünglich hatten wir hier übernachten wollen. Eine Internet-Recherche hat die Idee dann zerschlagen. Der eigentliche Ferien-Ort schlummert einen Dornröschen-Schlaf. Eine Fish and Chips Bude und eine Pizzeria haben geöffnet. Der Rest sieht verrammelt aus. Wir sind froh entschieden zu haben, abends zu Atanga zurück zu fahren. Hier hätten wir wohl auf der Parkbank schlafen oder ewig lange nach einem Schlafplatz suchen müssen. Ein Campervan hätte uns gerettet. Aber es ist traumhaft schön, viele Wanderwege sind ausgeschildert – hier kann man es ein paar Tage aushalten.
Wir fahren weiter. Die Bäume warten.

Auf einer kurvigen Straße schrauben wir uns einen Bergkamm hoch. Der Wald wird dichter. Baumfarne hängen über die Straße, berühren sich und bilden fast einen Tunnel. Schließlich erreichen wir einen Stellplatz mit einem einzigen parkenden Auto. Darin sitzend, kämpft eine Angestellte des DOC  (Naturschutz-Amt in Neuseeland) gegen das Einschlafen. Sie freut sich, dass wir anhalten – wir sind die ersten Besucher seit Tagen – und zeigt uns den Weg zum Eingang in den Wald.
Bevor man diesen betreten darf, müssen die Schuhe gründlich gesäubert und desinfiziert werden. Die Kauri-Bäume in Neuseeland werden seit einigen Jahren von einer Pilzkrankheit bedroht, die über Sporen weiter getragen werden kann. Das Verlassen der Wege ist strengstens verboten. Viel Aufwand, kann man nicht anders sagen.

Schleuse für Schuh-Reinigung zur Kauri-Rettung

Nach zweihundert Metern steht er dann plötzlich vor uns. Der Herr des Waldes – Tāne Mahuta. Man muss den Kopf schon weit in den Nacken strecken, um den größten noch lebenden Kauri komplett zu erfassen. Sogar Achim steht der Mund offen. 52 Meter hoch, Umfang in Bodennähe 14 Meter und damit 4,4 Meter im Durchmesser. Erst in 18 Metern Höhe wachsen die ersten Äste. Holzvolumen 245 Kubikmeter und geschätzte 2000 Jahre alt. In Deutschland heißen Straßenbäume im Amtsdeutsch ‚raumübergreifendes Großgrün‘. Nein, verehrte Herrschaften, dies ist ein Großgrün!

Ich ganz klein vor dem Herrn des Waldes

Großgrün – der Baum ist länger auf der Insel als Menschen hier leben – was der erzählen könnte … obwohl, war ja dann noch nicht viel los.

Links und geradeaus zwei kleine Kauri – rechts der bewachsene Stamm ist ein anderer Baum

Kauris wachsen zunächst kegelförmig, um dann mit zunehmendem Alter ihre Äste im unteren Bereich abzuwerfen. Durch ihre gerade Wuchsform und ihr hartes Holz weckten sie bei den neuen Siedlern Begehrlichkeiten zum Schiffsbau. In nur wenigen Jahrzehnten wurden fast alle Kauris abgeholzt. Wer seine Axt in so einen Baum hacken mag, der hat wahrscheinlich ein übles Karma.

Die Dame vom DOC empfiehlt uns, unbedingt noch ein paar Kilometer weiter zum  Te Matua Ngahere zu fahren. Etliche Jahre älter, nicht so hoch, aber noch breiter im Umfang. Achim ist sofort bereit. Ich staune.

Nach einer erneuten Schuh-Säuberungs-Schleuse entpuppt sich dieser Weg als zauberhaft. Eine halbstündige Wanderung führt uns zum zerzausten Te Matua Ngahere. Dem armen Kerl hat es 2007 bei einem Wintersturm seine Hauptäste weg gerissen. Schuld waren auf ihm wachsende Rata-Bäume (ein Eisenholzgewächs).  Fünfzig verschiedene Pflanzen hat man in seiner Krone gezählt. Trotz seines hohen Alters von geschätzten 2.500 Jahren ist der Vater des Waldes noch fruchtbar. Regelmäßig erscheinen männliche und weibliche Zapfen in seiner Krone.
Besonders schön sind auch die „kleinen“ Kauri, die rechts und links vom Weg stehen. Wahrscheinlich Kinder vom Vater des Waldes. Aufrecht wie Zinnsoldaten stehen sie zwischen normal großen Bäumen. Im Unterholz erkennt man ihre glatten Stämme sofort. Stolze Riesen mit zwei Metern Durchmessern und gerne auch mehr. Wir kommen uns klein vor. Andächtig staunen wir und freuen uns, dass die Atmosphäre nicht von den üblichen 300 Besuchern täglich kaputt gerufen wird.
Ich bin baum-verliebt und könnte noch seitenlang über die Kauri schwärmen. Darüber, dass es auch Sumpf-Kauri gefunden hat, deren Holz 40.000 Jahre alt ist. Es ist das einzige Kauri-Holz, was heute noch verarbeitet werden darf. Und dass früher nach Kauri-Harz gebuddelt wurde, und dass … Ich werde bestimmt noch Gelegenheit bekommen. :lol:
Was für ein schöner Ausflug.

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Pacific-Crossing 2 – ein Fazit

Mi., 10.Nov.21, Neuseeland/Opua, Tag 2719, 24.685 sm von HH

Ich nehme die Pointe gleich vorweg: aufs Sieger-Treppchen schafft dieser Törn es nicht! Wir werden in Erinnerung behalten, dass wir entweder 8 Knoten Wind oder 28 Knoten hatten. Die Tage dazwischen werden verblassen und vergessen.
Wir haben fast auf die Stunde genau drei Wochen gebraucht – macht somit einen Schnitt von 4,8 Knoten (2.423 Meilen). Die vier Flautentage (58 Motorstunden) haben den Schnitt etwas verdorben. An elf von einundzwanzig Tagen hatten wir 6, 7 und sogar 8 Windstärken – letzteres nennt sich „stürmischer Wind“. Das war okay für uns, machbar und nicht ängstigend, aber einen echten Sturm müssen wir definitiv nicht haben. Unser bestes etmal aller Zeiten (ohne Hilfe von Strömung – da hatten wir schon mal mehr) betrug 150 Meilen. Leider hatten wir auch viel Regen und einen tief grau verhangenen Himmel.

der Törn brachte entweder Flaute

oder Wind mit reichlich Schräglage

Following seas – von beachtlicher Höhe

Nachtwache bei eisiger Kälte

Tagwache bei der gleichen Kälte

echtes Schietwetter

Das bringt kalte Füße unterwegs – unsere Segelstiefel haben sich pulverisiert

Ich habe Achim gefragt, was er am besten fand. Spontan kam „die Küche“. Das freut mich natürlich. Hatten die Mahlzeiten eigentlich den Hauptzweck ohne Messer und Gabel essbar sein zu können. :lol: Am schlimmsten fand er die Flauten – das Schlagen der Segel, die Langsamkeit und nichts dagegen unternehmen zu können.
Mein persönliches Highlight war mein Ritt bei 30 Knoten ohne ein Reff in den Segeln und Achim schlafend in der Koje. Das war ein berauschendes Gefühl. Die hohen Wellen im Nacken, Adrenalin pur. Ist ja gut gegangen, also hat es Spaß gemacht. ;-) Das Schlechteste war die Müdigkeit nach zwei „verlorenen“ Nächten.

der Skipper kann sich kaum halten

Der Tanz vor der Spüle bei ruppigem Wetter

Ein herzliches Dankeschön an alle, die mit gefiebert haben und uns über viele Kanäle ihre Glückwünsche gesendet haben. Über Eure Kommentare haben wir uns sehr gefreut. Aufmerksam sind Euch sogar meine Fehler im Datum aufgefallen. Klasse. Ich werde es demnächst korrigieren. Danke an die Crews der Mari Sol, Akka und Taitonga – eure Wetteranalysen über Funk gesendet, waren sehr willkommen.
Met-Bob hat seinen Job gemacht, sich täglich gemeldet. Abgerechnet hat er 42 Euro. Ein fairer Preis. Ob wir noch einmal ein Wetter-Routing in Anspruch nehmen, bezweifeln wir im Augenblick. Es hat uns nicht wirklich nach vorne gebracht.
Atanga war toll. Aber unser altes Mädchen ist reif für Pflege. Das Deck ist nun doch Sieb artig. Alle Segel müssen zum Segelmacher. Hoffentlich ist unsere Fock noch zu retten. Die musste hart arbeiten, nachdem die Genua sich mit einem Riss verabschiedet hat. Das Bimimi war sowieso morsch und von Anfang an ein Fehlgriff vom Material. Es kommt Arbeit auf uns zu. Die Werft wartet – in den nächsten Tagen segeln wir nach Whangarei, wo wir uns einen Platz an Land bestellt haben.

Neuseeland – ein echter Meilenstein. Traumziel und Reise-Marke. Den Pazifik haben wir jetzt (fast) überquert. Den größten Ozean der Welt. Viele Crews beenden hier ihre Reise, Boote werden verkauft oder verschifft.
Wie es mit uns nach dem Refit weiter geht, ist total offen. Wie lange wir bleiben/bleiben dürfen, wie es mit dem Refit voran geht, alles offen.

Wir sind allerdings da, wo wir unbedingt hinwollten. Zum Jahreswechsel 2009/2010 haben wir einen Urlaub auf der Südinsel verbracht. Atanga hatten wir ein dreiviertel Jahr zuvor gekauft. Wir haben in Riverton – einem kleinen Nest an der Ostküste – im Hafen gestanden, aufs Meer geschaut und beschlossen, hier wollen wir eines Tages mit dem eigenen Schiff hin segeln.
Da man die wirklich wichtigen Dinge für so ein Unternehmen immer zuerst kaufen soll, bin ich sofort tätig geworden und habe schöne Geschirrhandtücher mit Neuseeland-Motiven für Atanga als Souvenir gekauft. Diese Tücher sind jetzt wieder da, wo sie her gekommen sind. :-)

Land in Sicht nach 2423 Meilen

Bay of Islands im Morgennebel

Champagner-Laune bei strahlendem Sonnenschein – alle Anstrengung ist vergessen

P.S. Bei Gesundheits-Gery hat der Schlendrian Einzug gehalten. Seinen 20-Fragen-Katalog – Fieber, Husten, Geschmacksverlust? – arbeitet er jetzt per Telefon ab. Den Lautsprecher auf lauf gestellt, brauchen wir am Ende der Fragen nur noch einmal mit ‚nein‘ antworten. Super, Garry!

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Tag 21 ==> NZ – Die Ankunft

So.,7.Nov.2021, Pazifik, Tag 2715, 24.685 sm von HH

Vormittags schaut wieder ein Albatros vorbei. Ein noch junger, brauner Kerl. Aber man erkennt ihn sofort, Zweifel ausgeschlossen. Etwas grimmig im Gesichtsausruck, gleitet das junge Tier vorbei. Die personifizierte Eleganz. Zum Sonnenuntergang begleiten uns kurz ein paar Delphine, es folgt rabenschwarze Nacht. Wir motoren ereignislos durch die zweite Nacht.

Um 5:00 Uhr morgens lasse ich mich von Achim wecken. Auf keinen Fall möchte ich “ Land in Sicht“ verpassen. Der erste Dämmerstreifen erscheint hinter Atanga am Horizont, noch liegt das Land vor uns im Dunkeln. Der junge Tag ist eisig kalt. Das Meer hat gerade noch sechzehn Grad. In doppelt Fleece gehüllt, starren wir nach Westen. Und dann, ganz langsam, können wir die ersten Felsen erkennen. Aotearo – das Land der großen weißen Wolke – wie Neuseeland in der Sprache der Ureinwohner heißt – zeigt sich hüllenlos. Keine einzige Wolke am Himmel. Wir laufen in die weitläufige ‚Bay of Islands‘ ein. Das südliche Ufer ist klar in der aufgehenden Sonne zu erkennen. Das Nordufer wird von dickem Bodennebel eingehüllt. Je weiter wir kommen, desto mehr Fischerboote tauchen auf und versperren uns den Weg. Heute ist Sonntag. Normaler Wochenend-Alltag oder findet ein Fisching-Wettbewerb statt? Im Slalom fahren wir um die Boote herum. Begeistert winken uns die Angler aus ihren Booten zu. Nett, wir fühlen uns gleich willkommen. Was uns außerdem auffällt, ist die unglaubliche Menge an Vögeln verschiedenster Art. Tölpel, Seeschwalben und etliche, noch namenlose, Viecher. Dann plötzlich zwei schwimmende Exemplare vor dem Bug von Atanga. Wollen die sich überfahren lassen? Nein, plötzlich tauchen sie ab. Da erkennen wir, was wir vor uns hatten. Pinguine! Du weißt, dass du dich tief im Südpazifik befindest, wenn Pinguine neben dem Schiff auftauchen. Jetzt bekommt auch die Kälte in der Nacht einen anderen Sinn.

Nach fünf Meilen verengt sich die Bucht. Die Nebelwand aus Norden kommt näher. Nicht schlimm, der Weg tiefer in die Bucht ist gut betonnt. Besser, wir bleiben in der Betonnung, rechts und links wird es schnell flach, nach vielen Monaten ohne Ebbe-und-Flut-Problemen erreichen wir wieder ein Tidengewässer. Bis zwei Meter Tidenhub ist zu erwarten. Da schnarrt es plötzlich aus dem Funkgerät mit deutschem Akzent. Bernd von der Rebell heißt uns willkommen. Wir haben uns zuletzt gesehen, als wir mit ihm und Birgit als ihre Leinenhänder auf der Rebell durch den Panamakanal gefahren sind. Die Rebell liegt neben dem Tonnenstrich vor Anker und als wir das Boot passieren, wird wild die Deutschlandfahne geschwungen. So ein herzlicher Empfang.

Herzlich empfangen uns auch die Offiziellen am Quarantäne-Steg der Opua-Marina. Kaum, dass wir fest gemacht haben, bekommen wir Besuch von Zoll und Immigration. An Bord möchte keiner kommen. Die beiden älteren Herren, die Wochenend-Dienst schieben müssen, sind überfreundlich. Mit Mundschutz und Handschuhen bleiben sie auf dem Steg stehen und nehmen unsere Papiere in Empfang. Alles ist in bester Ordnung, unser Kommen ist avisiert, die Daten von Atanga sind bekannt. „Ihr Deutschen seid für eure Bürokratie bekannt, das können wir besser“: Schon vorab gesendete Daten sollen wir bestätigen, es wird ein Katalog an Fragen nach unserem Gesundheits-Zustand abgefeuert (für jeden separat die gleichen zwanzig Fragen) und darüber hinaus werden ehemalige Bootsnamen von Atanga und die Namen der Vorbesitzer abgefragt.

Dann erscheint ‚Bio-Security‘ in Form einer freundlichen Lady neben Atanga. Sie reicht uns stabile Müllsäcke für unseren gesammelten Hausmüll der Überfahrt herüber. Den sind wir schon mal los. Dann erfolgt die Abfrage nach kritischen Gütern. Ich antworte wahrheitsgemäß. Kartoffeln: ja – ab in den Sack.. Salami: ja – ab in den Sack. Früchte: ja, noch ein paar Zitronen – ab in den Sack. Käse und Sahne darf ich behalten. Da weder ein Hund anwesend ist, noch die nette Frau an Bord kommen möchte, habe ich einen gewissen Spielraum. ;-) Von den abgefragten Zwiebeln, Knoblauch und Zitronen behalte ich jeweils eine kleine Menge zurück. Soviel Ungehorsam muss sein und Achim, dem eine Pinoccio-Nase wachsen würde, sieht nichts davon. Die letzten Eier, gestern Abend extra noch hart gekocht, werden bemängelt. Bitte auch in den Müllsack legen. Ich kann drei Stück retten. Sämtliche Gewürze, Kräuter, Reis (aha, vielleicht hatte meine Nebelkerze doch einen Sinn) und Konserven bleiben ungefragt.

Nach anderthalb Stunden, um die Mittagszeit, sind wir die Behörden-Vertreter wieder los. Das war nervig, aber einfach und sympathisch. Wir bekommen sogar eine Sim-Karte mit etwas Datenvolumen ausgehändigt. Morgen werden wir abgeholt zum PCR-Test und dürfen, bis das Ergebnis vorliegt, das Schiff nicht verlassen. Ein Transparent, was wir an der Reeling von Atanga aufhängen müssen, weist uns für alle anderen als ‚Pest-Schiff‘ aus. Annäherung verboten! Bernd, der am Nachmittag mit dem Dinghy vorbei schaut, und in drei Metern Abstand neben Atanga treibt, wird von zwei Menschen in Uniform vom gegenüberliegenden Steg angerufen und ermahnt nicht zu nahe zu kommen. :roll:

Achim hat unterwegs alte Segel-Literatur gelesen. Irgendwo, er vermutet bei Astrid, der Frau von Wilfried Erdmann, hat er gelesen „das Aufklaren des Schiffes, verdirbt die Ankommen-Freude“. Wir finden das auch. Somit wird nicht zuerst das Cockpit vom Salz befreit, sondern der kalt gelegte Champagner geköpft. Feucht die Bude durchwischen, können wir auch noch am Nachmittag nach einem Mittagsschläfchen. Champagner gibt es auf Atanga traditionell für den nächst längsten Törn. Schwein gehabt, würde ich sagen: :mrgreen: Tahiti ==> Neuseeland (2.423 Meilen/4.487 Kilometer) ist um knappe 12 Meilen länger als Ecuador ==> Osterinsel. Prost!

Tagesmeilen – 109 – Restmeilen: Zero! Position: 35° 18,8774 S – 174°07,3565 E

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Tag 20 ==> NZ – Flaute

Sa.,6.Nov.2021, Pazifik, Tag 2714, 24.576 sm von HH

Am Nachmittag ist es dann endgültig vorbei mit dem Wind. Der Motor läuft – noch knapp 200 Meilen bis zum Ziel. Da reicht der Diesel locker ohne die Reserven zu berühren. Super, so soll das sein.
Kaum läuft der Motor bekommen wir Besuch. Zuerst denke ich, das ist aber eine große Möwe. Und so gewandt. Schlagartig erfolgt die Erkenntnis: da fliegt unser erster Albatros. Er dreht eine kurze Runde um Atanga. Elegant im Flugstil, leuchtend weiß von der Nachmittagsonne beschienen. Es heißt, dass die neuseeländischen Albatrosse ab dem 33sten Breitengrad erscheinen. Unser ist pünktlich wie ein Grenzposten zur Stelle. Jetzt ist auch wieder klar, warum wir diese Reise eigentlich unternehmen. Einen Albatros bekommt man fast ausschließlich auf See zu sehen. Sie kommen nur zum Brüten an Land. Auf der Südinsel Neuseelands gibt es eine Brut-Kolonie. Dort kann man mal Glück haben.

Die Nacht verläuft ereignislos. Unser 110 PS starker Yanmar hämmert uns in den Schlaf. Der im Grunde viel zu große Motor (für unsere Schiffsgröße) ist kein Flüsterwunder.
Der Morgen bringt Aktivität. Die Braut soll für die Ankunft hübsch gemacht werden. Unser Cockpit wirkt durch die leeren Bimini-Bügel wie ein Wäsche-Trockenplatz. Wie ich schon schrieb, ist die Konstruktion, nun, ich sag mal, abenteuerlich. Bevor man die Bügel kippen kann, muss die Großschot durch die Bügel gezogen und der Baum zur Seite geklappt werden. Ein paar Schrauben lösen und fertig. Unter Segel unmöglich – jetzt kein Problem.

Und dann leckt unser Kühlwasser vom Yanmar. Es tropft in recht kurzen Abständen. Wer kennt es nicht von früher, ein alter Renalut, der auch ewig Kühlwasser verloren hat? Es scheint ein Schlauch-Schellen-Problem zu sein. Kleiner Fehler, große Wirkung. Achim könnte den Schlauch wechseln, aber eine Operation am offenen (heißen) Herzen möchte er gerne vermeiden. Er versucht die Undichtigkeit mit ResQ-Tape abzudichten. Keine Chance. Auf dem feuchte Schlauch klebt es nicht. Also kippen wir Wasser in den Ausgleichsbehälter in der Hoffnung, dass der Motor dieses Wasser ansaugt. Macht er! Jetzt brauchen wir nur noch alle vier Stunden einen Liter nachkippen und kommen hoffentlich ohne platzende Maschine in Opua an.

Essen: Es gibt noch mal Chili con Carne. Ein Glas mit Hack muss noch weg. Und dann habe ich den Fragebogen der neuseeländischen Behörden ausgefüllt, was wir noch an „gefährlichen“ Lebensmitteln und Gegenständen an Bord haben. Von Muskatnüssen bis zum Strohhut kommt da allerlei Zeug zusammen. Gerne hätte ich gemogelt, aber Achim würde das sowieso bemängeln, also ist meine zweitbeste Strategie Nebelkerzen für den Kontrolleur zu werfen. :mrgreen: Kreuze brav Reis als vorhanden an und schreibe daneben: weißer Reis, Sushi Reis und Milchreis. Und Gries nicht vergessen. Alles in Schriftgrad drei und ohne Sonntagsschrift.
Ich bin gespannt, wie das ablaufen wird. Früher, also b.c. (before corona not before christ), kamen Hunde an Bord zum Lebensmittel schnüffeln. Das soll es im Augenblick nicht geben.
Diese Aktionen kommen leider sowieso rund 250 Jahre zu spät. Bereits die ersten Europäer, die Neuseeland betraten, haben es versaut. Und wer war es? Kein geringerer als der berühmte Käpt’n Cook und seine Leute. In den Aufzeichnungen von Georg Forster, dem botanischen Begleiter Cooks, habe ich folgendes gelesen: „Zwar hatten wir eine Menge europäischen Gartensamens von der besten Art ausgesät, allein das Unkraut wird jede nützliche Art bald ersticken“. und „Wir hatten noch fünf Gänse und vier Mutterschafe vom Kap der Guten Hoffnung da gelassen. Seiet fruchtbar und mehret euch. Hoffentlich werden sie sich über das ganze Land ausbreiten.“

Tagesmeilen – 121 – Restmeilen direkter Kurs: 97 – eta: Sonntagvormittag NZ time = +12 Stunden HH time. Year!
Position: 34° 20,9 S – 175° 34,2 E

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Tag 19 ==> NZ – Der Kampf um die Ressourcen

Fr.,5.Nov.2021, Pazifik, Tag 2713, 24.455 sm von HH

Die 12 Knoten Wind halten an bis zum späten Nachmittag. Uns rutscht „schönes segeln“ über die Lippen. Wir liegen in der Sonne und genießen. Dann bricht der Wind ein, wir kriechen mit zwei Knoten vorwärts. Die angedrohte Flaute kommt etwas früh. Eine Unterhaltung über Diesel-Reserven von Diesel-Reserven haben Erfolg. Widerwillig sieht Achim die Nutzlosigkeit solcher Reserven ein, wir starten den Motor. Der Käpt’n verschwindet zum Reichweiten rechnen an den Navi-Tisch. :mrgreen:

Wem auch immer er dann seine Seele opfert, nach einer Stunde kommt der Wind zurück. Verhalten erst, dann kräftiger. Nach Mitternacht frischt er auf 15 bis 18 Knoten auf. Wir machen wieder gute Fahrt. Nunmehr seit zwölf Stunden. Angesagt ist das so nicht, aber wir nehmen es dankbar an. Damit das nicht zu zufrieden klingt, hier noch der Kritikpunkt: Wenn unangekündigter Wind bläst, dann muss er nicht unbedingt von vorne kommen. Daran kann noch gearbeitet werden.

Essen: Mein Vorrat an Schokolade ist aufgebraucht. Die ätzenden Nächte haben über Gebühr Opfer gefordert. Außerdem muss ich teilen. Früher, als Achim noch geraucht hat (schon über drei Jahre her), war ihm meine Schokolade total Wurscht. Jederzeit konnte ich an den Kühlschrank gehen und mich bedienen, wie ich wollte. Jetzt muss ich versuchen heimlich zu naschen. Wie ein Taschenspieler-Dieb muss ich versuchen lautlos den Kühlschrank zu öffnen. Ein Kontroll-Blick über die Schulter, ob ich beobachtet werde. Wie ein übler Junkie. Das lautlose Öffnen ist schwierig. Die Klappe unseres Toplader-Kühlschranks hat eine massive Holzkante. Das Loch vom Kühlschrank ebenfalls. Wie eine Fanfare klappert Holz auf Holz aufeinander und schallt durchs ganze Schiff. Das hört Achim in der letzten Ecke: „Was machst Du??? Holst Du Dir Schokolade???“
Ansonsten futtern wir uns durch die Schränke. ‚Lieber den Magen verrenken, als Neuseelands Kontrolleuren was schenken‘. In den Rindfleisch-Kartoffel-Möhren-Eintopf kommen nun drei Gläser Fleisch. „Siehst du, geht doch“, kommentiert der Skipper, „nun schmeckt es auch“. Für diese Frechheit nehme ich mir heimlich was aus der letzten Haribo-Tüte. Die werden uns zwar nicht abgenommen, sind aber trotzdem alle.
Ich wage ein eta (estimated time of arrival): Sonntag im Laufe des Tages. :-) Bis dahin müssen noch zwei Gläser Hühnersuppe, ein Kürbis, Käse und Salami vertilgt werden. Aus übrig gebliebenen Nüssen, Mandeln und Rosinen mische ich ein Studentenfütter für die Nachtwache. Fressen gegen Wegwerf-Wahn. Normalerweise verlieren wir auf so einem Törn zwei, drei Pfund Gewicht. Diesmal wird das wohl anders sein.

Tagesmeilen – 110 – Restmeilen direkter Kurs: 212
Position: 33° 06,2 S – 177° 28,6 E

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