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Mit Atanga geht es nach Whangarei

Sa./So., 27./28.Nov.21, Neuseeland/Whangarei, Tag 2737/8, 24.688 sm von HH

Am Dienstag, den 30. November hat Atanga ihren Slip-Termin. Wir bekommen eine E-Mail, dass wir bitte schon ein, zwei Tage früher da sein sollen. David, der Slip-Master der Werft, möchte Atanga für den Slipwagen vermessen und mit uns die Vorgehensweise besprechen. „Alles klar, wir sind rechtzeitig da“!

Mit dem Auto dauert es keine Stunde – 75 Kilometer – und man erreicht Whangarei. Mit dem Schiff sind es tatsächlich über 165 Kilometer (90 Meilen). Der Weg aus der Bay of Islands zieht sich viele Meilen, die Küste ist zerklüftet und dehnt sich weit nach Osten raus. Es ist nicht möglich, diese Strecke während eines Tageslichts zu schaffen.
Wir brechen erst gegen Mittag auf, um den schlimmsten Tidenstrom zu vermeiden, der in die Bucht einläuft. Es gibt keinen Wind, heute nicht und die nächsten Tage nicht. Leider müssen wir unter Maschine fahren.

Zwischen Rock und Cape Brett geht es durch

Leuchtturm am Cape Brett am Eingang der Bay of Island

Hinterm Kap geht es dramatisch weiter

Hole in the Rock

Neben Atanga tauchen Pinguine auf. Es sind Zwerg-Pinguine, die kleinste Art, die es gibt. Die putzigen Kerle werden nur knapp 40 Zentimeter groß und schwimmen halb unter der Wasseroberfläche. – fast als seinen sie kurz vor dem Ertrinken. Ihre Tauchzeit  beträgt nur ein bis zwei Minuten, daher poppen sie immer wieder neben uns auf.

Niedlicher Zwerg-Pinguin

Der Vorteil dieser Etappe sind die vielen Ankerbuchten unterwegs. Alle zwanzig Meilen schenkt die Küsten Booten einen Platz zum Anhalten.  Die schroffe, felsige Küste verbirgt hinter bewaldeten Hügeln wahre Schätze. Wir wählen Whangaruru für die Nacht. Hat man mal die mit Felsen gespickte Einfahrt passiert, bietet die breite Bucht guten Sandboden von rechts nach links. Die Wassertiefen liegen zwischen drei und sieben Metern. Anders als in Französisch Polynesien verdienen hier Ankerplätze diesen Namen. Es lauern keine Korallenköpfe, die nach Schiffsrümpfen greifen wollen. Hier macht ankern Spaß. Das weiß auch unser Schiffsversicherer. Mit Eintritt in Neuseeländische Gewässer ist die Prämie um satte 60 Prozent gesunken.

Eingang in die Bucht von Whangaruru

Liebliche Bucht von Whangaruru

Sogar der Schwell bleibt draußen. Es ist ruhig wie in einer Kinderwiege. Am Ufer erkennen wir einen Campingplatz, ein Dorf mit zwei Dutzend Häusern und sonst nur himmlische Natur. Zum an Land gehen ist es zu spät, gleich wird es dunkel. Wir kommen wieder, versprochen.

Sonnenaufgang über Whangaruru

Das typische Atanga-Outfit vor Sonnenaufgang – es ist fußkalt

Am nächsten Morgen starten wir bereits mit Sonnenaufgang. Unsere Werft liegt am Hātea River, der Tiden abhängig seine Fließrichtung wechselt. Wir wollen möglichst mit der Strömung flussaufwärts fahren.
Die Landschaft bleibt schön bis zur Einfahrt in den Hātea. Am südlichen Ufer befindet sich ein großer Industriehafen mit Holzverladung.

Traumhaft schön zieht die Küste an uns vorbei

Der Hatea River führt nach Whangarei

Die ausgebaggerte Fahrrinne, die in den Fluss führt, ist gut betonnt. Das beruhigt, denn rechts und links der Tonnen fallen bei Ebbe große Flächen des Hātea trocken. Es ist ein bisschen wie auf der Elbe fahren – nur der Großschiff-Verkehr fehlt. Der bleibt an der Küste am Holzhafen.

Hafen am Eingang vom Hatea – mit Holzverladung im großen Stil

Die Fahrrinne wird schmaler und schmaler und mäandert sich nach Whangarei. Wir haben genau Hochwasser als wir die Werft erreichen. Der Tiefenmesser zeigt nur noch fünf Meter Wassertiefe. Zwei Meter werden bei Niedrigwasser noch verschwinden. Von David haben wir den Tipp bekommen direkt vor dem Slip der Werft unseren Anker fallen zu lassen. Knapp außerhalb vom Fahrwasser lautet seine Empfehlung. Definiere knapp, denke ich so. In den Karten sind Wassertiefen von weniger als zwei Meter gedruckt, kommt man zu weit von der Fahrbahn ab.
Wir orientieren uns an den anderen Ankerliegern, die knapp neben den grünen Tonnen liegen. Vorsichtig tasten wir uns aus dem Fahrwasser ins Flache. Bei 3,90 stoppe ich auf, Achim lässt den Anker fallen. Viel Kette brauchen wir ja nicht stecken bei dem flachen Wasser. Der Ankergrund dürfte gut haltender Schlamm sein.
In den nächsten Stunden beobachten wir gespannt den Tiefenmesser. Er stoppt bei 1,90. Atanga steckt fest. Nicht schlimm, wir bleiben aufrecht stehen. Das ist uns in der Elbe schon mal anders ergangen  :mrgreen: . Damals konnten wir nicht mal mehr anständig sitzen, so schräg haben wir gelegen.
Beruhigt gehen wir ins Bett, in einer halben Stunde werden wir wieder schwimmen …

Hier soll Atanga Morgen rein – nur möglich bei Hochwasser

Unser Ankerplatz im Fluss für zwei Nächte – dicht neben der Fahrrinne

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Mit dem Auto in den Westen

Di., 23.Nov.21, Neuseeland/Kauri Wald, Tag 2733, 24.688 sm von HH

Achim muss auch am zweiten Tag das Auto fahren – never change the winning driver. Er macht es großartig, sogar das Blinken mit dem Scheibenwischer-Hebel wird stetig weniger. ;-) Ich helfe trotzdem: „Wir fahren links“, lautet meine Erinnerung, wenn wir nach einem Stopp wieder ins Auto steigen. Das Schwierigste sind Kreisel (und es gibt viele Kreisel … ) im Uhrzeigersinn zu fahren und rechts abbiegen.

Wir wollen quer über die Nordinsel zur anderen Seite fahren. Zum größten Überrest des einstigen Kauri-Waldes, der den Norden der Nordinsel komplett bedeckt haben soll. Ich möchte zum Tāne Mahuta (dem Herrn des Waldes) und zum Te Matua Ngahere (dem Vater des Waldes). „180 Kilometer fahren für zwei Bäume?“, fragt Achim und zieht die Augenbraue hoch. Wenn Bäume einen Namen bekommen, müssen sie etwas besonderes sein – wir fahren los.

Die Strecke dorthin führt (bei heute vorzüglichem Wetter) zunächst wieder durch Viehlandschaft. Es gibt wohl kein einziges ebenes Fleckchen hier im Norden. Anhöhe folgt auf Anhöhe. Hobbit- Hügel reiht sich an Voralpen-Hügel reiht sich an Hobbit-Hügel.
Ein gut asphaltierter Highway bringt uns rasch vorwärts. Nach einer guten Stunde erreichen wir einen Sund, der sich tief ins Land einschneidet. Die Landschaft verändert sich. Die Bergkuppen sind nun dicht bewaldet, die Landwirtschaft verschwindet. Als wir das Ende vom Sund Hokianga erreichen, könnte der Kontrast nicht größer sein. Die eine Seite üppg grün bewachsen, auf der anderen Seite türmen sich bis zu 180 Meter hohe Sanddünen. Sie sind der Anfang des endlos nach Norden reichenden 90 Miles Beach (88 Kilometer lang, um genau zu sein ;-) )  Die raue Tasman Sea findet nach zweitausend Kilometern ab Australien hier ihr Ende.

Blick auf Hokianga Harbour

Der Eingang vom Hokianga Harbour

Keine Schiffe im Westen – die raue Seite der Tasman Sea ist schwierig – eine Barre in diesen Sund schlecht passierbar

Normalerweise Urlaubsregion – jetzt menschenleer

Wilde Tasman Sea trifft auf endlosen Strand – der nach 88 Kilometern dann doch endet

Ursprünglich hatten wir hier übernachten wollen. Eine Internet-Recherche hat die Idee dann zerschlagen. Der eigentliche Ferien-Ort schlummert einen Dornröschen-Schlaf. Eine Fish and Chips Bude und eine Pizzeria haben geöffnet. Der Rest sieht verrammelt aus. Wir sind froh entschieden zu haben, abends zu Atanga zurück zu fahren. Hier hätten wir wohl auf der Parkbank schlafen oder ewig lange nach einem Schlafplatz suchen müssen. Ein Campervan hätte uns gerettet. Aber es ist traumhaft schön, viele Wanderwege sind ausgeschildert – hier kann man es ein paar Tage aushalten.
Wir fahren weiter. Die Bäume warten.

Auf einer kurvigen Straße schrauben wir uns einen Bergkamm hoch. Der Wald wird dichter. Baumfarne hängen über die Straße, berühren sich und bilden fast einen Tunnel. Schließlich erreichen wir einen Stellplatz mit einem einzigen parkenden Auto. Darin sitzend, kämpft eine Angestellte des DOC  (Naturschutz-Amt in Neuseeland) gegen das Einschlafen. Sie freut sich, dass wir anhalten – wir sind die ersten Besucher seit Tagen – und zeigt uns den Weg zum Eingang in den Wald.
Bevor man diesen betreten darf, müssen die Schuhe gründlich gesäubert und desinfiziert werden. Die Kauri-Bäume in Neuseeland werden seit einigen Jahren von einer Pilzkrankheit bedroht, die über Sporen weiter getragen werden kann. Das Verlassen der Wege ist strengstens verboten. Viel Aufwand, kann man nicht anders sagen.

Schleuse für Schuh-Reinigung zur Kauri-Rettung

Nach zweihundert Metern steht er dann plötzlich vor uns. Der Herr des Waldes – Tāne Mahuta. Man muss den Kopf schon weit in den Nacken strecken, um den größten noch lebenden Kauri komplett zu erfassen. Sogar Achim steht der Mund offen. 52 Meter hoch, Umfang in Bodennähe 14 Meter und damit 4,4 Meter im Durchmesser. Erst in 18 Metern Höhe wachsen die ersten Äste. Holzvolumen 245 Kubikmeter und geschätzte 2000 Jahre alt. In Deutschland heißen Straßenbäume im Amtsdeutsch ‚raumübergreifendes Großgrün‘. Nein, verehrte Herrschaften, dies ist ein Großgrün!

Ich ganz klein vor dem Herrn des Waldes

Großgrün – der Baum ist länger auf der Insel als Menschen hier leben – was der erzählen könnte … obwohl, war ja dann noch nicht viel los.

Links und geradeaus zwei kleine Kauri – rechts der bewachsene Stamm ist ein anderer Baum

Kauris wachsen zunächst kegelförmig, um dann mit zunehmendem Alter ihre Äste im unteren Bereich abzuwerfen. Durch ihre gerade Wuchsform und ihr hartes Holz weckten sie bei den neuen Siedlern Begehrlichkeiten zum Schiffsbau. In nur wenigen Jahrzehnten wurden fast alle Kauris abgeholzt. Wer seine Axt in so einen Baum hacken mag, der hat wahrscheinlich ein übles Karma.

Die Dame vom DOC empfiehlt uns, unbedingt noch ein paar Kilometer weiter zum  Te Matua Ngahere zu fahren. Etliche Jahre älter, nicht so hoch, aber noch breiter im Umfang. Achim ist sofort bereit. Ich staune.

Nach einer erneuten Schuh-Säuberungs-Schleuse entpuppt sich dieser Weg als zauberhaft. Eine halbstündige Wanderung führt uns zum zerzausten Te Matua Ngahere. Dem armen Kerl hat es 2007 bei einem Wintersturm seine Hauptäste weg gerissen. Schuld waren auf ihm wachsende Rata-Bäume (ein Eisenholzgewächs).  Fünfzig verschiedene Pflanzen hat man in seiner Krone gezählt. Trotz seines hohen Alters von geschätzten 2.500 Jahren ist der Vater des Waldes noch fruchtbar. Regelmäßig erscheinen männliche und weibliche Zapfen in seiner Krone.
Besonders schön sind auch die „kleinen“ Kauri, die rechts und links vom Weg stehen. Wahrscheinlich Kinder vom Vater des Waldes. Aufrecht wie Zinnsoldaten stehen sie zwischen normal großen Bäumen. Im Unterholz erkennt man ihre glatten Stämme sofort. Stolze Riesen mit zwei Metern Durchmessern und gerne auch mehr. Wir kommen uns klein vor. Andächtig staunen wir und freuen uns, dass die Atmosphäre nicht von den üblichen 300 Besuchern täglich kaputt gerufen wird.
Ich bin baum-verliebt und könnte noch seitenlang über die Kauri schwärmen. Darüber, dass es auch Sumpf-Kauri gefunden hat, deren Holz 40.000 Jahre alt ist. Es ist das einzige Kauri-Holz, was heute noch verarbeitet werden darf. Und dass früher nach Kauri-Harz gebuddelt wurde, und dass … Ich werde bestimmt noch Gelegenheit bekommen. :lol:
Was für ein schöner Ausflug.

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Mit dem Auto in den Norden

Mo., 22.Nov.21, Neuseeland/Opua, Tag 2732, 24.688 sm von HH

Da Bus fahren nicht funktioniert, leihen wir uns ein Auto für drei Tage. Der Tagespreis beträgt 30 Euro. Das ist okay. Dazu kommt jedoch die optionale Rundum-Sorglos-Versicherung mit 13 Euro. Wir buchen das volle Paket. Besser ist das bei der ungewohnten Links-Fahrerei. Achim muss fahren. Mein letzter Versuch in Thailand vor zwanzig Jahren mit einem Motorroller ist noch unvergessen. „Denk dran, dass du links fahren muss“, erinnert mich Achim bei der Übernahme des Rollers. „Klar, kein Thema.“ Ich sprach‘s, fuhr vom Hof und landete direkt im Gegenverkehr. :mrgreen:
Achim ist allerdings fünf Jahre kein Auto mehr gefahren …

Das Auto ist kleiner als ein Einkaufswagen

Am ersten Tag ist das Wetter okay, aber leider die Sicht total diesig, neblig verhangen. Im Norden der Nordinsel hat die Besiedelung der Weißen von Neuseeland begonnen. Hier trafen sie auf die Ureinwohner, denen hier ebenfalls das sonnenreiche und subtropische Klima gefiel.
Recht schnell kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, da die Maoris es nicht widerstandlos hinnahmen, dass die Engländer ihre Flagge in den Boden hauten und riefen: „Von nun an europäischer Boden“.

1840, ungefähr fünfzig Jahre später, als bereits 2000 Siedler im Land lebten, wurde der Vertrag von Waitangi aufgesetzt. Der ‚Treaty‘ ist bis heute Gegenstand von Diskussionen bei der Auslegung des Inhaltes. Die Übersetzung der Maori weicht ab von der Interpretation der englischen Version.
Die Stätte und das Gebäude an denen der Vertrag unterzeichnet wurde, ist heute ein Museum. Der Eintrittspreis ist mit 36 Euro pro Person so überzogen, dass wir auf die Besichtigung verzichten. Wir verpassen damit das größte Kriegskanu in Neuseeland – 88 Meter feinste Holzarbeit.

Nächster Stopp ist Kerikeri. Der quirlige Ort mit knapp 6.000 Einwohnern besitzt als Touristen-Attraktion das älteste Steinhaus Neuseelands – malerisch am Flussufer gelegen. Der schmucke Ort sieht nach Wohlstand aus. Das Sortiment an Läden ist weit reichend, deren Auslagen sind chic. Neben Fish-and-Chips-Buden gibt es einen Döner-Laden und richtige Restaurants.

Neuseelands erstes Handelshaus

Hübsch ist es in Kerikeri – immer wieder Baumfarn

Wir ziehen weiter nordwärts. Verlassen den Highway ‚twin-Ocean-Scenic-Route‘ auf Nebenstrecken, um es landschaftlich noch schöner zu haben. Hier wohnt nun kaum noch jemand. Kurvenreiche Straßen führen an die Küste zu Buchten mit Namen wie ‚One Million Dollar View‘.  Wir müssen uns den View mit einem Surfer und seiner ohne Sonne sonnenbadenden Freundin teilen. Ach, wäre doch nur das Wetter besser.

One Million Dollar View – heute müssen wir leider 950.000 Dollar abziehen

Der eine Million Dollar Strand bei Mistwetter

Durch endloses, unberührtes Buschland verlassen wir die ansprechende Küstenregion. Hier scheint die Natur noch in einem ursprünglichen Zustand. Über der Landschaft hängt ein süßlicher Geruch. Immer wieder schwappen betörende Duftwolken ins Auto. Er entströmt der Südsee-Myrte oder Manuka. Manuka-Honig soll bereits von den Maori gesammelt und als antiseptisches Heilmittel verwendet worden sein.

Millionen Blüten der Südsee-Myrte verströmen einen unglaublichen Duft

In der Mitte der Insel, zwischen Ost- und Westküste wird es landwirtschaftlich. Die Hügelketten sind abgeholzt. Kuhwirtschaft überwiegt. Dass Neuseeland vor Schafen überquillt, gehört der Vergangenheit an. Auf ehemals drei Millionen Einwohner kamen in den 80er Jahren 70 Millionen Schafe (so sagt man) – heute zählen auf fünf Millionen Kiwis keine 20 Millionen Schafe mehr.  Mit Kühen kann besseres Geld verdient werden. Die Preise für Wolle liegt am Boden.

Die Rindviecher sehen glücklich aus. Ganzjährig weiden sie auf den Wiesen. Jetzt im Frühling stehen sie knietief im blühenden Wiesenkerbel, zwischen Hahnenfuß und Wilder Möhre. Ein hübscher Anblick. Eine überlastete einseitige Kulturlandschaft, die schöner nicht aussehen könnte. Wildromantisch.
Die eingeschleppten oder bewusst mitgebrachten Pflanzen aus Europa und Amerika sollen bereits dreißig Prozent der nur in Neuseeland vorkommenden Pflanzen verdrängt haben.  Ein nicht umkehrbarer Prozess. Sorgenfalten kann einem der Bambus auf die Stirn einbrennen. Dieser wird als Windbrecher und Heckenersatz gepflanzt. Ein Wuchermonster vom übelsten, der seine Rhizome in alle Richtungen ausstreckt.
So arg  wie die ökologische Katastrophe für Neuseelands endemische Pflanzen auch ist, so ist die Mischung aus bekannten und nie gesehenen Pflanzen ein Augenschmaus.

Früher war Neuseeland komplett bewaldet

Heute ist noch ein Prozent vom ursprünglichen Wald erhalten

Viehwirtschaftlich geprägte liebliche Landschaft

Abseits der Touristen-Orte bekommen die Ansiedlungen ein anderes Gesicht. Das große Geld fehlt augenscheinlich. Eine Hauptstraße mit Tankstelle, ein Mini-Market und eine Kirche. Das war’s. Man muss schnell bremsen, sonst ist man auch schon direkt am Dorfende angekommen. Jobs gibt es nur in der Landwirtschaft. Die Quote der Maoris zu Weißen ist hier am höchsten. Die Arbeitslosenquote auch. Zwischen 30 und 50 Prozent der Einwohner zählen zu den indigenen Ureinwohnern – bei einem landesweiten Anteil von 15 Prozent.
Unser Weg führt weit durch die Agrar-Mitte, bevor wir abends fehlerfrei und noch immer linksseitig in Opua ankommen.

Kaeo – ein typisches Cowboy-Nest in der Mitte – weit weg von den Küsten

Der ernstgemeinte und aktive Friseur in Kaeo

Der zweite – moderne- Friseur – drei Häuser weiter

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Pacific-Crossing 2 – ein Fazit

Mi., 10.Nov.21, Neuseeland/Opua, Tag 2719, 24.685 sm von HH

Ich nehme die Pointe gleich vorweg: aufs Sieger-Treppchen schafft dieser Törn es nicht! Wir werden in Erinnerung behalten, dass wir entweder 8 Knoten Wind oder 28 Knoten hatten. Die Tage dazwischen werden verblassen und vergessen.
Wir haben fast auf die Stunde genau drei Wochen gebraucht – macht somit einen Schnitt von 4,8 Knoten (2.423 Meilen). Die vier Flautentage (58 Motorstunden) haben den Schnitt etwas verdorben. An elf von einundzwanzig Tagen hatten wir 6, 7 und sogar 8 Windstärken – letzteres nennt sich „stürmischer Wind“. Das war okay für uns, machbar und nicht ängstigend, aber einen echten Sturm müssen wir definitiv nicht haben. Unser bestes etmal aller Zeiten (ohne Hilfe von Strömung – da hatten wir schon mal mehr) betrug 150 Meilen. Leider hatten wir auch viel Regen und einen tief grau verhangenen Himmel.

der Törn brachte entweder Flaute

oder Wind mit reichlich Schräglage

Following seas – von beachtlicher Höhe

Nachtwache bei eisiger Kälte

Tagwache bei der gleichen Kälte

echtes Schietwetter

Das bringt kalte Füße unterwegs – unsere Segelstiefel haben sich pulverisiert

Ich habe Achim gefragt, was er am besten fand. Spontan kam „die Küche“. Das freut mich natürlich. Hatten die Mahlzeiten eigentlich den Hauptzweck ohne Messer und Gabel essbar sein zu können. :lol: Am schlimmsten fand er die Flauten – das Schlagen der Segel, die Langsamkeit und nichts dagegen unternehmen zu können.
Mein persönliches Highlight war mein Ritt bei 30 Knoten ohne ein Reff in den Segeln und Achim schlafend in der Koje. Das war ein berauschendes Gefühl. Die hohen Wellen im Nacken, Adrenalin pur. Ist ja gut gegangen, also hat es Spaß gemacht. ;-) Das Schlechteste war die Müdigkeit nach zwei „verlorenen“ Nächten.

der Skipper kann sich kaum halten

Der Tanz vor der Spüle bei ruppigem Wetter

Ein herzliches Dankeschön an alle, die mit gefiebert haben und uns über viele Kanäle ihre Glückwünsche gesendet haben. Über Eure Kommentare haben wir uns sehr gefreut. Aufmerksam sind Euch sogar meine Fehler im Datum aufgefallen. Klasse. Ich werde es demnächst korrigieren. Danke an die Crews der Mari Sol, Akka und Taitonga – eure Wetteranalysen über Funk gesendet, waren sehr willkommen.
Met-Bob hat seinen Job gemacht, sich täglich gemeldet. Abgerechnet hat er 42 Euro. Ein fairer Preis. Ob wir noch einmal ein Wetter-Routing in Anspruch nehmen, bezweifeln wir im Augenblick. Es hat uns nicht wirklich nach vorne gebracht.
Atanga war toll. Aber unser altes Mädchen ist reif für Pflege. Das Deck ist nun doch Sieb artig. Alle Segel müssen zum Segelmacher. Hoffentlich ist unsere Fock noch zu retten. Die musste hart arbeiten, nachdem die Genua sich mit einem Riss verabschiedet hat. Das Bimimi war sowieso morsch und von Anfang an ein Fehlgriff vom Material. Es kommt Arbeit auf uns zu. Die Werft wartet – in den nächsten Tagen segeln wir nach Whangarei, wo wir uns einen Platz an Land bestellt haben.

Neuseeland – ein echter Meilenstein. Traumziel und Reise-Marke. Den Pazifik haben wir jetzt (fast) überquert. Den größten Ozean der Welt. Viele Crews beenden hier ihre Reise, Boote werden verkauft oder verschifft.
Wie es mit uns nach dem Refit weiter geht, ist total offen. Wie lange wir bleiben/bleiben dürfen, wie es mit dem Refit voran geht, alles offen.

Wir sind allerdings da, wo wir unbedingt hinwollten. Zum Jahreswechsel 2009/2010 haben wir einen Urlaub auf der Südinsel verbracht. Atanga hatten wir ein dreiviertel Jahr zuvor gekauft. Wir haben in Riverton – einem kleinen Nest an der Ostküste – im Hafen gestanden, aufs Meer geschaut und beschlossen, hier wollen wir eines Tages mit dem eigenen Schiff hin segeln.
Da man die wirklich wichtigen Dinge für so ein Unternehmen immer zuerst kaufen soll, bin ich sofort tätig geworden und habe schöne Geschirrhandtücher mit Neuseeland-Motiven für Atanga als Souvenir gekauft. Diese Tücher sind jetzt wieder da, wo sie her gekommen sind. :-)

Land in Sicht nach 2423 Meilen

Bay of Islands im Morgennebel

Champagner-Laune bei strahlendem Sonnenschein – alle Anstrengung ist vergessen

P.S. Bei Gesundheits-Gery hat der Schlendrian Einzug gehalten. Seinen 20-Fragen-Katalog – Fieber, Husten, Geschmacksverlust? – arbeitet er jetzt per Telefon ab. Den Lautsprecher auf lauf gestellt, brauchen wir am Ende der Fragen nur noch einmal mit ‚nein‘ antworten. Super, Garry!

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Ein schlechter Start

So./Mo., 7./8.Nov.21, Neuseeland/Opua, Tag 2718, 24.685 sm von HH

Am frühen Abend meldet sich eine aufgeregte Frauenstimme über Funk. Sie sei vom Zoll und will wissen, warum wir noch nicht unsere Sim-Karte aktiviert hätten. Sie habe schon mehrfach versucht uns anzurufen, denn sie habe uns etwas Wichtiges mitzuteilen.
Ich denke noch so: „Na, dann sprich doch einfach los, altes Haus. Und sorry, aber wir entscheiden, dass wir erst Champagner trinken, dann aufräumen und dann die olle Karte aktivieren.“.

Achim verspricht der Dame sich der Karte zu widmen und sie dann anzurufen. Achim legt los. Tatsächlich hat er dann so seine Schwierigkeiten. Die SIM-Karte, die wir bekommen haben, ist eine Touristenkarte auf die man verschiedene Optionen buchen kann. Aus unverständlichen Gründen ist die Laufzeit der Bank bei der Kreditkartenzahlung zu lang. Der Vorgang wird ständig abgebrochen.

Das dauert der Dame vom Zoll zu lange. Sie ruft uns nach einer halben Stunde an. Noch immer ist sie total aufgeregt. Wir hätten heute Nachmittag Kontakt zu einem Dinghy gehabt. Warum hätten wir überhaupt mit jemandem gesprochen, wer saß im Dinghy, von welchem Boot stammen die Personen, will sie wissen. Das verstoße gegen die Quarantäne-Vorschriften und solche Vorgänge würden unsere Quarantäne-Zeit auf Null zurück setzten. Sie habe unser Vergehen an die übergeordneten Stellen eskaliert. Wow!

Zum Glück ist Achim am Telefon. Sonst würden wir jetzt wohl im Flieger nach Hause sitzen oder im Knast. Aber der Skipper in seiner ruhigen Art, holt die Dame etwas runter. Es hätte ja nicht mal einen Leinenkontakt zum Dinghy gegeben und der Abstand betrug ja mindestens drei Meter. Und ‚nicht annähern‘ sei ja eine Frage der Definition. Es hat ja keiner einen Zollstock dabei. Und es sind schließlich alte Freunde, die wir seit Jahren nicht gesehen haben. „Deine Frau hat gesessen und sei somit den Personen verdächtig nahe gekommen“, versucht die Zoll-Dame einen neuen Ausritt. Aber Achim bleibt cool. Am Ende von fünfzehn Minuten Schimpftiraden geht er als Gewinner aus dem Kampf. Unsere Quarantäne wird nicht auf Null gesetzt.
Mich bringt auf den Plan, dass ich gesessen haben soll. Wo zum Heck haben die ihre Kamera versteckt? Wir können keine entdecken. Abgehört werden wir jedenfalls nicht, denn unsere Verwünschungen nach Ende des Telefonats bleiben ungeahndet.

Nicht annähern, steht da. Das stimmt. Definiere annähern …

Beim Frühstück findet Achim, dass wir unter Deck essen sollten. Nicht, dass noch jemand sieht, dass wir unser Brot mit den von mir geschmuggelten Eiern belegen.

Mittags werden wir zum PCR Test abgeholt. Mit 1,5 Stunden Verspätung. Das ist eigentlich keine Erwähnung wert, aber wer sich so piefig anstellt, bitte. Dass wir überhaupt zum Test müssen, ist schon ein kleiner Witz – nach drei Wochen als 2er Crew ist man entweder tot oder genesen.
Dass wir aber an Land gefahren werden zum Testen, ist der Knaller. Wie schafft man es, dass wir als potentielle Virenschleudern mit möglichst vielen Personen Kontakt haben? Eine nette Dame vom Zoll holt uns mit dem Schlauchboot ab. Wir müssen Maske und Handschuhe tragen. Und eine Schwimmweste. Die ist Pflicht in Neuseeland, wenn man Dinghy fährt.  Da erzähle ich der jungen Frau mal besser nicht, dass ich bei Windstärke 8 vergessen habe mich anzuleinen. :mrgreen:
Am Zollponton wartet ein Herr, der den Tampen vom Schlauchboot in Empfang nimmt. Ein paar launige Sprüche an uns richtend, begleitet er und zu Gary.  Gary ist der Gesundheits-Inspektor und hat uns gestern bereits interviewt. Er stellt uns die gleichen zwanzig Fragen erneut. Wir sitzen beide nebeneinander auf zwei Stühlen im Freien vor einem Container. Er leiert die Fragen für Achim runter, wendet sich zu mir und leiert erneut. Man kommt sich vor, wie in einer Komödie. Gary schaut mich an und erzählt mir, dass er leider Kunde von unserem Vergehen gestern erhalten habe. Das ginge nicht, was wir uns da geleistet hätten. Das gefährde unsere Quarantänezeit. Ich schwöre ihm, dass wir so etwas nie, nie wieder machen würden und jeden, der sich nähert in Zukunft weg jagen würden. Zum Glück ist mein Gesicht von der Maske verdeckt. ;-)

Es erscheinen zwei Damen in Outbreak-Klamotten. Plastik-Einweg-Ganzkörperschutz, Handschuhe, Masken und Gesichts-Schild. Eine liest uns unsere „Rechte“ vor, die andere entnimmt die Proben. Da dem Zollpersonal langweilig und endlich mal was los ist auf dem Hof, treiben sich noch zwei weitere Personen im Testbereich herum. Wir haben also Kontakt zu sieben (in Worten sieben Menschen), aber uns den Bernd in seinem Dinghy madig machen. Pffft. Besser wäre ja wohl gewesen, wenn man die Dame mit den Teststäbchen zu uns gebracht hätte. Das war wohl zu einfach.

Zur Ehrenrettung der Beteiligten muss man sagen, dass alle unglaublich nett zu uns sind. Es werden kleine Witze gemacht und wir erhalten ein paar Informationen über die Corona-Lage in Neuseeland. Das Zero-Covid-Konzept weicht gerade etwas auf. Leider gäbe es viele örtliche Lockdowns. Man versucht uns das Prinzip der verschiedenen Stufen zu erklären.
Und Gary schildert Achim, dass er total ausgelaugt sei von den Maßnahmen und der Arbeit, die er machen muss.
Da tut er mir dann tatsächlich leid. Augen auf bei der Berufswahl, armer Gary.

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