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Brot oder Spiele! (oder Wasser)

Sa., 09.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 588, 3.765 sm von

Wie schrieb ich noch vor ein paar Tagen so lapidar? Weltumsegelung un-light hat begonnen? Jawohl, genauso ist es!

Wir sind autark, was Wasser und Strom betrifft, aber eben doch eingeschränkt.
Unser durchschnittlicher Energiebedarf für Kühlschrank, Wasserpumpe, Licht und so weiter, beträgt 45 Ampere/Stunden. Der Kühlschrank ist dabei Energiefresser Nummer eins.

Wenn die Sonne scheint und viel Wind über uns weg fegt, schaffen wir mit Solarpanelen und Windgenerator mindestens das doppelte an Energie zu produzieren. Dann können wir mit den Ampere nur so“ herum aasen“:
Wasser produzieren (20 Liter kosten ca. 15 Ah), den Brotbackautomaten betreiben (ein 750g Brot kostet 10 bis 15 Ah) und unsere Spielzeuge wie iPad, Laptop, Telefon, Kamera und eReader laden.

Bereits Kleinigkeiten bringen diese Stromproduktion ins Stolpern:
– mickriger Wind, wie es jetzt seit drei Tagen der Fall ist
– Schäfchenwolken, statt strahlend blauem Himmel
– Staub auf den Solarpanelen
– Schatten vom eigenen Mast auf den Panelen

Somit verordnet der Skipper: Brot oder Spiele!

Für alles am gleichen Tag reicht die Energie an schlechten Tagen einfach nicht aus.
Gut für den, der in seinem Spielzeug noch einen guten Akku hat. ;-)

Klar können wir Brot auch im Ofen backen. Es ist aber auch ein tolles Gefühl, dies mit erneuerbarer Energie, statt mit Gas, zu schaffen.
Alternative zwei, Müsli zum Frühstück zu essen, kommt bei Achim nicht so gut an.

Staubsaugen bitte nur, wenn es stürmt.

Der Pürierstab kommt an sonnigen Tagen zum Einsatz.
Das sind ungewohnte Vorgaben. Habe ich doch sonst den Speiseplan nach dem Angebot auf dem Markt erstellt. Dies nun an den Sonnenstand anzupassen, muss noch geübt werden. :-)

Früher hat man mit jeder Toiletten-Spülung 8 Liter Trinkwasser in den Gulli gespült.
Heute entscheiden 8 Liter gespartes Wasser darüber, ob ich mein iPad geladen bekomme.
Verrückte, schöne, neue Welt. Segeln erweitert extrem das Bewusstsein für Ressourcen.

Mindelo

Mi., 06.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 585, 3.765 sm von HH

Mindelo ist wuselig, hektisch, laut und schwarz.
Nach den behäbigen Spaniern auf den Kanaren findet man hier eine andere Welt vor.
Alle Menschen laufen durcheinander. Von allen Seiten wird überholt, gerannt und unvermittelt stehen geblieben.
Einer kommt von rechts mit einer Plastikschüssel voll Fisch, dann werden einem frische Bündel Petersilie, Koriander und Frühlingszwiebeln unter die Nase gehalten. Gruppen von Verkäufern stehen zusammen und palavern auf sich ein.
Alle sind in Bewegung, alles dreht sich, alles bewegt sich.

Nach ein paar Tagen Kultur-Schock hat man sich dran gewöhnt und läuft nicht mehr Gefahr über den Haufen gewuselt zu werden.

Wir als Langnasen können uns dazwischen unbehelligt bewegen. Das Anpreisen von Waren oder einer Bustour erfolgt unaufdringlich und ohne Nachdruck. Wenn wir dankend ablehnen, lässt man uns in Ruhe.

Die Landessprache ist Portugiesisch. Allerdings sprechen die Kap Verdier nur Creol untereinander. Es gibt Bestrebungen, es zur zweiten Landessprache zu machen.
Wenn wir die Einheimischen auf Spanisch ansprechen, dann werden wir recht gut verstanden. Allerdings verschwinden die Antworten unter einer Schicht von Zisch-Lauten ins Unergründliche. ;-)

Die Menschen sind hilfsbereit, wenn man sie etwas fragt.
Und manch einer, der hört, dass wir Deutsche sind, spricht uns an und berichtet von seiner Maloche in Bremen oder dass er Hans heißt und sich etwas Deutsch selber beigebracht habe.

Es ist eindeutig afrikanisch hier. Mit einem Schuss Europa vermischt.
Der Telefonladen in dem wir unseren Internet-Stick kaufen, könnte in Deutschland stehen. Klimatisiert, alle sprechen Englisch, ein Wachmann passt auf, dass keiner vordrängelt.
6 GB download Internet kosten übrigens 15,00 EUR. Das Netz ist nicht immer schnell, aber recht zuverlässig da.

Gleich daneben befindet sich der Afrikanische Markt auf dem die Ware vielfach auf dem Boden präsentiert wird.
Die Waagen sind klapperig und die Mädels können nur Kilo und halbe Kilo verkaufen, weil für mehr ihr Dreisatz-Rechnen nicht ausreichend ist.
Obst und Gemüse haben mindestens den gleichen Preis wie in Europa, da fast alles importiert wird. Es gibt sehr viel. Aber nicht immer gibt es alles. Im Augenblick ist nicht eine Zwiebel auf der gesamten Insel zu finden.

Der Fischmarkt ist toll.
Es riecht nicht unangenehm und der angelandete Fisch lässt Gourmet-Herzen höher schlagen. Fisch ist für unsere Begriffe unfassbar preiswert: Thun, am teuersten, kostet fünf EUR das Kilo. Doradenartige Tiere sind für 1,20 EUR zu haben.
Für ein kleines Trinkgeld werden Köpfe und Innereien vor Ort entfernt.
Warum allerdings am Schlachttisch die Jungs Haarnetze tragen, ist unverständlich. Die Hunde und Katzen, die nebenbei sitzen, tragen jedenfalls keine. ;-)

Mindelo ist keine Schönheit. Wir fühlen uns wohl, gehen auch abends aus und brauchten bis jetzt noch keine Angst zu haben. :-)

Wind

Di., 05.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 584, 3.765 sm von HH

Wenn es eins genug gibt hier in der Bucht von Mindelo, dann ist es Wind.
Dieser versorgt uns mit lecker Strom, denn der Windgenerator braust nur so vor sich hin.
Fast ununterbrochen haben wir Windstärke fünf, häufig sechs, in Böen gerne sieben.
In der Beaufort-Skala-Beschreibung heißt es schlicht über solche Winde: „In den Wanten fängt der Wind an zu heulen, kleine Bäume biegen sich, im Gesicht stark spürbar.“

Dieser Wind versorgt uns auch mit dem Zweiten, was es hier im Überfluss gibt: mit rotem Staub.
Alles ist mit einer rot-braunen Schicht überzogen. Das Schiff, die Tampen, Fliegengitter und Obstnetze.
Alles. Allerdings nur einseitig.
Einseitig ist die windzugewandten Seite eingestaubt, wie eine deutsche Eiche, die im Westen mit Moos bewachsen ist. Dagegen an zu putzen ist eine Sisyphos-Arbeit, die ohne fließendes Süßwasser im Überfluss nicht zu leisten ist.
Wir versinken gerade im Staub…

Jeden Tag heißt es, dass der Wind Morgen nachlässt.
Morgen aber wirklich. Okay, das andere Morgen.

Neben dem Staub fängt auch der Wind an sich an zu nerven.
„Im Gesicht spürbar“ ist bei einem Spaziergang am Meer eine schöne Sache. Ganzkörper spürbar bei jeder Tätigkeit außerhalb der schützenden Sprayhood und beim Fahren mit dem Dinghi wird es lästig. Das ewige Geheule zerrt an den Fallen und Nerven.

Dieser Wind ist auch alles andere als warm. Die Sonne ballert zwar heiß vom Himmel und im windstillen Schiffsinneren sind tagsüber 28 Grad. Sobald die Sonne untergegangen ist, kühlt es so stark ab, dass wir kaum mehr draußen sitzen mögen und alle Crews haben dicke Socken, Step-Westen und Jacken hervor gekramt.
Ilse kommt in Rollkragen-Pulli zum TO-Treffen und sagt, dass sie wie ein Schneider friere und die dicken Decken zum Schlafen hervorgeholt habe.
Winter geht gar nicht, sagt sie…, sie sei sonst auch viel dunkler.
Scherze darüber, dass sie schon ganz blass aussehe, treiben ihr die Empörung ins hübsche, schwarze Gesicht. :mrgreen:

Inseltour auf São Vicente

So., 03.Jan.16, São Vicente, Mindelo, Tag 582, 3.765 sm von HH

São Vicente ist die drittkleinste der bewohnten acht Inseln von Kap Verde.


Durch Mindelo, mit 80.000 Einwohnern, ist sie allerdings stark bevölkert. Der große Naturhafen von Mindelo hat bereits zur Zeit der Dampfschiffe dazu geführt, dass hier einer der bedeutendsten Häfen auf der Atlantischen Ostseite entstanden ist. Der Umschlagplatz für die Kohle der Dampfschiffe ist verschwunden, die Menschen sind geblieben.
98% aller Einwohner von São Vicente wohnen in Mindelo. Die weiteren Orte sind arg ärmliche, graue Nester durch die grauer Staub fegt.

 

Dabei dürfte auf São Vicente niemand wohnen.
Die Insel ist karg, staubig und extrem wasserarm. Unmöglich können die Menschen von dem, was der Boden hergibt, ernährt werden. Fällt dann noch der Regen aus, so wie in diesem Jahr, verdorrt der Mais, der in den Bergen angebaut wird.
Andere Inseln wurden in diesem Jahr mit viel Regen beschenkt. São Vicente ging leer aus.

 

Die Bustour, die wir unternehmen, wurde von Milan, dem umtriebigen, hilfsbereiten und überaus netten TO Stützpunktleiter organisiert. Milans Frau, Ilse, eine schwarze Schönheit, Milan selber, ein reizendes, reichlich betagtes, amerikanisches Seglerpaar, die bereits seit 17 Jahren unterwegs sind, die Findus Crew und drei weitere Mitstreiter sind mit von der Partie.

 

In einem etwas klapprigen Bus zuckeln wir über die staubige Insel. Die meisten Straßen bestehen aus Basalt-artigen, kleinen Pflastersteinen. Die arbeitsintensiven Straßen wurden vor gut 40 Jahren auf fast allen Inseln erbaut.
Viel zu sehen, gibt es unterwegs wahrlich nicht. Hin- und wieder kleine Ziegenherden, vertrockneten Mais und ein paar Agaven.

In Baia das Gatas machen wir am Strand einen Stop. Hier haben die im Ausland lebenden (reichen) Kap Verdier ihr Wochenendhaus.
Zweidrittel der Kap Verdier leben nicht auf den Inseln, sondern in Brasilien oder Portugal. Von dort aus versorgen sie ihre Angehörigen mit Geld.
Von den hier Gebliebenen haben über 1/4 keine Arbeit und die meisten leben in großer Armut.

Eine Kellnerin verdient 120 EUR im Monat, ein Lehrer 400 EUR.
Ohne Unterstützung der Verwandten im Ausland kann man davon hier nicht überleben. Die Preise sind, abgesehen von Fisch, nicht eben niedrig.

Hinter Baia das Gatas beginnt eine Dünenlandschaft mit Sand aus der Sahara.
Bis vor kurzem haben die Einwohner diesen Sand zum Hausbau verwendet.
Um die Dünen zu schützen, ist dies jetzt verboten.
Wer erwischt wird, landet ohne Verhandlung für eine Woche im Kittchen.

In São Pedro, auf der Westseite, hat Milan in einem beliebten Ausflugslokal, betrieben von einem Schweden, einen Tisch für uns reserviert.


Die Spezialität des Hauses ist Spanferkel und der Duft von Holzkohle-Grill zieht verführerisch über die Terrasse. Die meisten in der Gruppe entscheidet sich für das Schwein.
Vor meinem geistigen Auge erscheint wabbelige Ferkelhaut statt knackiger Kruste.
Ich wähle Fisch.
Und mit dieser Entscheidung hab ich richtig Schwein: Das kleine Ferkel hätte nicht sterben dürfen. Die Haut hat nie einen Grill gesehen und das Fleisch ist fade und neben Fett kaum auszumachen.

Die Beilagen, scharfe, kross gebratene Blutwurst, Blattkohl (eine Unterart unseres Grünkohls und ihm im Geschmack sehr ähnlich), rote Bete und Petersilienkartoffeln mit Schale sind hingegen sehr gut.

Die Umständlichkeit der Kellnerinnen ist für uns gewöhnungsbedürftig.
Zuerst werden die Getränkewünsche aufgenommen (noch normal), dann werden die Getränke gebracht (gut), dann wird verschwunden (schade).
Erst „Stunden später“ werden die Essen-Wünsche notiert. Ein weiteres Getränk zu bestellen, traut sich da keiner mehr. Nicht dass der Prozess wieder von vorne beginnt.  ;-)
So ein Essen in Kap Verde kann sich schon mal in die Länge ziehen.

Ein frohes neues Jahr

Do., 31.Dez.15, Sao Vicente, Mindelo, Tag 579, 3.765 sm von HH

In Mindelo treffen wir auf die La Joya und einen Tag nach uns trudelt die Findus ein.
Schnell ist klar, dass wir Sylvester gemeinsam feiern wollen.
Gekocht wird allerdings getrennt. Die La Joyas essen zu dritt und wir werden von der Findus eingeladen. Reinhard legt sich richtig ins Zeug und die Messlatte hoch: Er zaubert ein Viergänge-Menü vom Feinsten. Kleine-Mini-Wraps als Amuse Guoule, gefolgt von Fischsuppe als Vorspeise. Der Hauptgang besteht aus gegrilltem Fisch aus dem Ofen mit Rosmarinkartoffeln und knackigem Salat. Der Nachtisch besteht aus flambierten Bananen mit buntem Pfeffer.
Hallo? Aber hallo! Wir sind schwer beeindruckt und köstlich satt.

Nach dem Essen ziehen wir alle auf die La Joya um.
In Spanien hatte ich noch am letzten Tag die dort üblichen Spaß-Beutel mit Sylvester-Verkleidungen entdeckt und für uns mitgebracht. Erstaunlich, wie erwachsene Menschen, eigentlich auch ganz vernünftig, zu gackernden Kindern werden. Sich Plastiknasen aufstülpen und alberne Hüte aufsetzten. :shock:
Bereits im letzten Jahr (mit Dagmar und Thomas) haben diese Tüten zu unfassbarer Erheiterung geführt.

Wir warten das Feuerwerk ab und gehen anschließend gemeinsam in die Stadt zur Life-Musik. Leider verlieren wir einander, so dass wir in zwei getrennten Gruppen weiter feiern müssen. Karen, Achim und ich bilden ein Team. Während die drei La Joyas mit Reinhard weiter ziehen.

Wir finden uns im Gewühl auch nicht wieder. Erst um 4:00 Uhr morgens trudeln die letzten in der Marina ein.

Die Life-Musik ist angenehm ohne zu laut zu sein. Und die feierlustigen Einheimischen entpuppen sich als überraschend ruhig. Ich hatte mehr Temperament, Tanz und Hektik erwartet.
Wir können uns unbehelligt und sicher bewegen. Keiner macht den Eindruck als wolle er uns etwas Böses. Es mag Banden geben, die es auf das Geld der Touristen abgesehen haben, wir erleben es in dieser Nacht nicht.
Das einzige, was wir verlieren, ist eine halb volle Flasche Sekt, die uns von kichernden Teenager-Mädchen abgetrickst wird.