So./Mo., 10./11.Mrz.19, Pazifik, Tag 1743/4, 17.021 sm von HH
Was haben wir nicht alles versucht, die letzten zwölf Tage, um schneller voran zu kommen? Genua ausgebaumt, Großsegel dazu, Großsegel runter, Blister raus. Und jetzt, am letzten Tag, sind wir zu schnell. Wie paradox kann segeln denn noch sein? Windstärke 5 bis 6, in Böen bis 28 Knoten, peitscht uns durch die Nacht. Mit zweifach gerefftem Groß erreichen wir 7,5 bis 8 Knoten Spitzen-Geschwindigkeiten. Verflixt und zugenäht! Wir sind viel zu schnell. Wer je versucht hat ein Segelschiff langsamer zu machen, weiß, wie hoffnungslos dieses Unterfangen ist. Um nicht im Dunkeln gegen die Insel zu fahren, fangen wir an Kreuzschläge zu segeln, um die Strecke zu verlängern. Mit dem Morgengrauen erwartet uns eine hohe See und ein bleischwerer, regenverhangener Himmel. Der Wind hat etwas nachgelassen. Trotzdem, die Bedingungen für die Bounty Bay sind so viel zu rau. Wir müssen Zeit gewinnen -bis Morgen- dann besteht für uns vielleicht noch eine Chance an Land zu kommen. Für Morgen Tag ist „Flaute“ angesagt. Könnte das unsere Gelegenheit sein?
Wir vertrödeln den Vormittag mit weiteren Kreuzschlägen Richtung Pitcairn. Dann starren wir fassungslos auf das AIS. Wir reiben unsere Augen. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Zwei Kreuzfahrtschiffe nähern sich Pitcairn. Eines kommt aus Norden, der andere aus Südamerika. Das Kleinere (150 Meter) wirft seinen Anker in der Bounty Bay, das Große (300 Meter) treibt. Wir gucken säuerlich. Besser kann der eigenen, beschwerlichen Anreise jede Exklusivität nicht genommen werden. Das sticht. Touristen hassen nichts mehr als andere Touristen. Wir sind aber die Guten, trösten wir uns. Zehntausend Euro auf den Tisch legen, ist keine Leistung, ätzen wir. Der dicke Kreuzer dreht eine dümmliche Runde um die Insel. Bei drei Meilen Abstand und Regenwetter steht sowieso keiner auf dem Balkon und guckt. Noch mehr sinnlose Tonnen Treibstoff verbrannt. Uns bleibt ein kleiner gehässiger Trost, dass die Gäste nicht an Land können. hehe. Pitcairn hat gar nicht die Kapazitäten und Anlagen, um tausend Menschen und mehr an Land zu bringen. Auch auf der Osterinsel wurde häufig nur geankert, zum Ausbooten waren oft die Bedingungen zu ruppig. In dieser Region sind Kreuzer wirklich deplatziert. Jeder soll reisen, wie er mag, aber käme heute jemand mit einer Unterschriften-Sammlung vorbei ’stop-the-Cruisers now‘, wir wären dabei.
Zurück zu uns. Am frühen Nachmittag sind wir bis auf eine halbe Meile an Pitcairn heran gesegelt. Die Bounty Bay können wir vergessen. Auflandiger Wind von 20 Knoten und beachtlicher Schwell stehen in die ‚Bucht‘. Wir versuchen unser Glück eine Meile weiter im Norden. Echten Schutz bietet die ‚Tedside‘ nicht. Der einzige Vorteil, hier bläst der Wind ablandig. Sollte der Anker nicht halten, zerschellen wir wenigstens nicht an der Insel. Der Anker fällt auf zwanzig Meter. Wir können Sandflächen erkennen, aber auch dunklen Grund, der auf Felsen oder Korallen hindeutet. Beim zweiten Versuch sitzen wir fest. Den Anker abzuschnorcheln, macht keinen Sinn. Bei dem bedeckten Himmel wäre er in der Tiefe nicht zu erkennen. Wir müssen darauf hoffen, dass wir Sand getroffen haben.
Misstrauisch beäugen wir den Platz. Rechts von uns, 500 Meter entfernt, rollen monströse Brecher an die Felsen. Die Dünung, die sich an der Südspitze von Pitcairn teilt, vereinigt sich hier im Norden wieder. Direkt unter Atanga. Von rechts kommt ein zwei Meter Schwell unter uns durch. Der von links ist um einen Meter niedriger. Wir schaukeln wie im Würfelbecher. Unser schlimmster Ankerplatz aller Zeiten. Es ist ja nur für eine Nacht, beruhigen wir uns.
Zum Abend lässt der Wind, wie versprochen, nach. Die Schaukelei leider nicht. Wir sind gerade mit dem Abendessen durch, als es fürchterlich rasselt an der Kette. Achim ist sofort am Bug. Der Tampen (16 mm), der unseren Kettenhaken hält, ist förmlich explodiert. Einen echten Grund dafür erkennen wir zunächst nicht. Die Kette hängt senkrecht runter, kein Zug drauf. Die nun nicht mehr entlastete Ankerkette rappelt in der Dünung in ihrer Röhre. Wir schauen uns in die Augen: „Anker auf!“, kommt aus einem Munde, „bevor wir noch unser komplettes Ankergeschirr verlieren“. Wir haben noch eine halbe Stunde Tageslicht, das reicht. Beim Kette hoch ziehen, wird die Ursache für den gerissenen Tampen klar. Die Ankerkette muss sich um Felsen gewickelt und dadurch erheblich verkürzt haben. Wenn Atanga nun eineinhalb Meter mit dem Bug eintaucht, zerren unglaubliche Tonnen an der Kette. Diese Kräfte können richtigen Schaden anrichten. Da ist es auf See sicherer.
Und nun? Segel setzten und auf zum nächsten Ziel? Morgen kommt doch die Flaute, das könnte unsere Chance sein. Nach kurzer Diskussion sind wir uns einig, wir werden die Nacht vor der Insel auf und ab zu segeln. So einfach geben wir nicht auf. Schließlich gilt es ja noch Marlon Brando auf der Insel zu treffen.
Wir fahren auf die Leeseite von Pitcairn und nehmen durch ‚Beidrehen‘ Fahrt aus dem Schiff. Durch ein backstehendes Vorsegel (es steht dann auf der falschen Seite vom Schiff) treiben wir mit 1 bis 3 Knoten auf und ab. Unsere Wachen halten wir wie üblich ein und wechseln alle paar Stunden die Richtung, um uns nicht zu weit von Pitcairn zu entfernen. Eine tolle Methode dieses Beidrehen, sollte man viel häufiger machen. Atanga wackelt nicht, die Segel schlagen nicht und die Freiwache schläft tief und fest.
Wir halten durch bis zum Sonnenaufgang. dabei war uns beiden eigentlich schon mitten in der Nacht klar, dass das sinnlos ist. Der Wind geht zwar runter auf 12 bis 14 Knoten. Aber immer wieder schieben sich dunkle Wolken vor die Sterne, bringen 16,17,18 Knoten Wind mit. Mit Tageslicht haben wir Gewissheit. Die Dünung beträgt mindestens zwei Meter. Pitcairn können wir vergessen. Wir wenden. Gut, dass unsere Freunde, die Kreuzfahrtgäste, nicht wissen, dass wir ebenfalls nicht an Land konnten.
Unser neuer Kurs liegt an: Noch dreihundert Meilen bis zu den Gambier Inseln. Ein Katzensprung. Tagesmeilen: 24 ‚auf der Stelle‘, noch 287 to go, direkter Weg.
Schade. Aber besser weiterzuziehen als Leben und Boot zu riskieren.
Falls Ihr nächstes Jahr durch die Torres Strait gehen und in Cairns vorbeikommen wollt, sagt mal Bescheid.
Handbreit,
-Richard