Di., 31.Jan.17, Karibisches Meer, Tag 976, 9.529 sm von HH
Wie immer, ab Tag vier, beginne ich einen Toern nicht mehr abzulehnen, sondern beginne die Fahrt mehr und mehr, ja, fast zu mögen. Tiefe Zufriedenheit erfuellt mich, wenn ich morgens der Sonne beim Aufgehen zuschauen darf. Die kleine Welt in der wir leben, umfaengt mich wie ein Kokon. Von aussen dringt nichts ein: kein Telefon, kein Internet, keine schlechten Nachrichten. Und es lebt sich gut ohne die bloedsinnigen Infos ueber Trump. Wir werden es schon frueh genug merken, wenn wir in Mexiko nicht ein kommen, weil der Mauerbau schneller ging als gedacht.
Die sozialen Kontakte sind reduziert. Unfreundliche fliegende Fische (grusslos duesen sie vorbei), die etwas netteren Delphine (die grinsen einen wenigstens an) und Achim. Direkt nach dem Aufwachen mag ich ihn am liebsten (kennst Du die beliebten Kollegen, die schon beim Reinkommen ins Buero plappern als gaeb’s kein Morgen?). Von der Kleimigkeit abgesehen, verstehen wir uns prima, sind ein gutes Team und haben sogar Spass miteinander. Wunderbare reduzierte Welt.
Im Grunde geht es nur ums nackte Ueberleben. Was esssen wir? Bekomme ich genug Schlaf? Kann der Tanker nicht einen groesseren Abstand halten? Ich wuerde gerne reffen. Um mehr braucht man sich nicht zu kuemmern.
Was nicht an Bord ist, kann nicht konsumiert werden. Das gilt nicht nur fuer Leckereien, sondern auch fuer Information. Du willst wissen, wie hoch die Berge auf Jamaika sind? Fehlanzeige. Die allgegenwaertige Google-Maschine ist an Land. Unerreichbar. Noch fuer Tage. Das setzt zeitweise den Stich des Entzuges. Aber kurz nur. Ist doch piep egal, wie hoch Jamaika ist. Zuruecklehnen, entspannen, nenne ich im Blog Text eben keine Hoehe. Wir sind aus der Deckung von Jamaika wieder raus, haben jetzt halben Wind mit gut 20 Knoten und eine drei-Meter-Welle von der Seite. Ruhig ist das nicht. Wirklich nicht. Aber es macht nichts mehr aus. Die Beschwerlichkeit ueber jeden Handgriff ist in eine Leichtigkeit der Bewegung gewichen. Handgriffe sitzen fast wie an Land. Etwas in der Pantry vergessen? Kein Problem, klettere ich eben noch mal nach unten. Der Niedergang ist keine unueberwindliche Huerde mehr ein Stueck Schokolade aus dem Kuehlschrank zu holen. Es wird wieder taeglich geduscht (okay ausser heute, es wackelt wirklich uebel) und ein normales Leben in unserem Kokon ist moeglich.
Ich will nicht sagen, dass ich mit dem Schiff verschmelze, eine Einheit bin (heute grossen blauen Fleck beim Reffen in den Oberschenkel getackert), aber doch, so etwas aehnliches. Jede Kursabweichung hoere ich auch unter Deck beim Lesen. Das Segel flattert etwas, die Welle klascht lauter, Wanten pfeifen oder Atanga bewegt sich einfach anders. Zum Teil weckt mich das sogar im Schlaf. Es ist auf so einer langen Strecke auch schon mal langweilig, aber fuer mich ist klar, haette ich die Wahl wuerde ich drei Toerns von drei Tagen gegen einen 10-Tage-Ritt eintauschen.
Tag 7 – Meine Zuneigung zu langen Toerns
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