Tag 9 – Funkfreunde

Do., 02.Feb.17, Karibisches Meer, Tag 978, 9.650 sm von HH
Wir werden weiterhin bedraengt. Vor dem Yucatan Kanal ist mehr Betrieb als auf der Elbe. Neuer Rekord sind neun Tanker gleichzeitig. Jetzt weichen sie sich schon gegenseitig aus und fahren uns vor die Nase. Vertraeumte Wachen sind passé.
Meine Taktik der Direktansage, geht auf. Schraeg von hinten naehert sich mit schwankender CPA ein kleiner Tanker. Kleinste zu erwartende Distanz: zwischen einer Meile und 79 Fuss. Als ich ihn anrufe, behauptet er, uns bereits gesehen zu haben. Ich bitte ihn zu bestaetigen, dass er hinter uns rum geht. Er gibt sein okay. „Mit einer Meile Abstand oder etwas mehr, wuerde ich mich gut fuehlen“, gebe ich ihm noch mit auf den Weg. Jede Frau haette das ‚oder etwas mehr‘ als zwei Meilen interpretiert. Nicht so mein Funkfreund. Er haelt genau eine Meile Abstand. Ich wuenschte, Maenner wuerden sich auch sonst immer so genau an Ansagen halten.
Wind und Welle sind seit ueber 24 Stunden zurueck gegangen, so dass wir in dem Bereich etwas Entspannung haben. Allerdings ist damit meine heimliche Hoffnung bereits Morgen anzukommen, dahin. Wir peilen nun Samstag an. So wie es aussieht frueh morgens. Wenn wir zu schnell werden, muessen wir etwas Tempo raus nehmen. Im Dunkeln anzukommen, ist eine schlechte Idee. Es wimmelt nur so von Riffen und Untiefen um die Isla Mujeres.

Tag 8 – In die Zange genommen

Mi., 01.Feb.17, Karibisches Meer, Tag 977, 9.650 sm von HH
Ich muss gestern faule Kartoffeln gegessen haben. Geniessen im Zusammenhang mit Segeln zu nennen. Pfffft. Letzte Nacht war wieder so ein Beispiel, das Segeln eben doch kein Vergnuegen ist. Wir werden in die Zange genommen. Zeitweise haben wir sieben Tanker, Frachter oder Schleppverbaende neben uns. Im Nordwesten endet die Karibik zwischen Mexiko und Kuba mit dem Yucatan Kanal. Hinter dem 180 km breiten Flaschenhals beginnt der Golf von Mexiko mit seinen Bohrinseln. Alle Tanker Richtung Sueden oder zurueck muessen durch diese Meerenge. Und an uns vorbei. Und wir sind ein Segelschiff und haben Vorfahrt. :mrgreen:
Wir sehen die Jungs in Form von kleinen Dreiecken auf dem Plotter meistens schon in 30 sm Entfernung. Ueber das AIS bekommen wir Kurs, Geschwindigkeit und die CPA mitgeliefert. Die CPA zeigt den zu erwartenden kleinsten Abstand zu uns und, wichtig, wie lange es noch dauert bis zum Einschlag.
Da ist nun so viel Platz um uns herum und trotzdem zeigt jeder dritte Tanker eine CPA unter einer Seemeile. Das ist unser Komfort-Mindest-Abstand. Dichter wollen wir sie auf keinen Fall auf der Pelle haben. Besser noch zwei Meilen. Wenn man den Schiffsnamen mit blossem Auge lesen kann, laeuft was falsch.
Da wir kein AIS der Klasse A haben (normal fuer Sportschifffahrt) werden wir erst gesehen, wenn der Abstand nur noch ca. 10 Seemeilen betraegt. Dauer bis zum Einschlag dann noch 30 Minuten. Bis dahin halten die Tanker auf uns zu, ohne von unserer Existenz zu wissen.
Hoechste Zeit zur Funke zu greifen (haette ich mich vor zwei Jahren nie getraut). Viel frueher macht es keinen Sinn. Die Funkverbindung ist dann haeufig noch schlecht und da wir nicht gesehen werden, fuehrt ein Gespraech etwas ins Leere.
Am anderen Ende erwarte ich berufskundige Funker und Offiziere. Manchmal scheint man aber nachts den Hilfskoch ans Rohr zu setzten: Ueber Funk einigen wir uns auf ein Passieren ‚Steuerbord an Steuerbord‘. Auf dem Plotter beobachte ich entsetzt, dass der Mann genau in die entgegengesetzte Richtung dreht. Rechts-Links-Schwaeche oder wo ist Dein Problem? Restzeit bis zum Einschlag noch 20 Minuten. Also erneut den Supertanker anrufen. „Oh, yes, sorry, M’am, I will change.“ Bitte, geht doch….noch 15 Minuten bis zum Einschlag…endlich…Kursaenderung in die richtige Richtung ist im kleinen Dreieck zu sehen.
Da es jetzt schon ein paarmal zu solchen „Missverstaendnissen“ gekommen ist, habe ich meine Gespraechstaktig geaendert. Ich schlag jetzt direkt vor auf welchen Kurs der Tanker seinen Kurs aendern sollte. Ich sag ihm die Gradzahl, die mir komfortabel erscheint. Er stimmt zu. Please repeat the degrees. Klappt prima. :-)
Mit den meisten Jungs (Frauen gab es bis jetzt an der anderen Leitung noch nicht) gibt es aber keine Probleme. Haeufig aendern sie schon von alleine ihren Kurs. Halten dann zwei Meilen Abstand. Das scheint uns eine Vorgabe der Reederei (?) zu sein. Und das Geruecht, dass sich nachts keiner auf der Bruecke befindet und die Schiffe unbemannt ueber die Meere ziehen, koennen wir nicht bestaetigen. Bislang hat sich direkt nach dem ersten Anruf jemand gemeldet.
Noch knapp 300 Seemeilen bis zum Flaschenhals ‚Yucatan-Kanal‘. Da kommt noch einiges auf uns zu.

Tag 7 – Meine Zuneigung zu langen Toerns

Di., 31.Jan.17, Karibisches Meer, Tag 976, 9.529 sm von HH
Wie immer, ab Tag vier, beginne ich einen Toern nicht mehr abzulehnen, sondern beginne die Fahrt mehr und mehr, ja, fast zu mögen. Tiefe Zufriedenheit erfuellt mich, wenn ich morgens der Sonne beim Aufgehen zuschauen darf. Die kleine Welt in der wir leben, umfaengt mich wie ein Kokon. Von aussen dringt nichts ein: kein Telefon, kein Internet, keine schlechten Nachrichten. Und es lebt sich gut ohne die bloedsinnigen Infos ueber Trump. Wir werden es schon frueh genug merken, wenn wir in Mexiko nicht ein kommen, weil der Mauerbau schneller ging als gedacht.
Die sozialen Kontakte sind reduziert. Unfreundliche fliegende Fische (grusslos duesen sie vorbei), die etwas netteren Delphine (die grinsen einen wenigstens an) und Achim. Direkt nach dem Aufwachen mag ich ihn am liebsten :mrgreen: (kennst Du die beliebten Kollegen, die schon beim Reinkommen ins Buero plappern als gaeb’s kein Morgen?). Von der Kleimigkeit abgesehen, verstehen wir uns prima, sind ein gutes Team und haben sogar Spass miteinander. Wunderbare reduzierte Welt.
Im Grunde geht es nur ums nackte Ueberleben. Was esssen wir? Bekomme ich genug Schlaf? Kann der Tanker nicht einen groesseren Abstand halten? Ich wuerde gerne reffen. Um mehr braucht man sich nicht zu kuemmern.
Was nicht an Bord ist, kann nicht konsumiert werden. Das gilt nicht nur fuer Leckereien, sondern auch fuer Information. Du willst wissen, wie hoch die Berge auf Jamaika sind? Fehlanzeige. Die allgegenwaertige Google-Maschine ist an Land. Unerreichbar. Noch fuer Tage. Das setzt zeitweise den Stich des Entzuges. Aber kurz nur. Ist doch piep egal, wie hoch Jamaika ist. Zuruecklehnen, entspannen, nenne ich im Blog Text eben keine Hoehe. Wir sind aus der Deckung von Jamaika wieder raus, haben jetzt halben Wind mit gut 20 Knoten und eine drei-Meter-Welle von der Seite. Ruhig ist das nicht. Wirklich nicht. Aber es macht nichts mehr aus. Die Beschwerlichkeit ueber jeden Handgriff ist in eine Leichtigkeit der Bewegung gewichen. Handgriffe sitzen fast wie an Land. Etwas in der Pantry vergessen? Kein Problem, klettere ich eben noch mal nach unten. Der Niedergang ist keine unueberwindliche Huerde mehr ein Stueck Schokolade aus dem Kuehlschrank zu holen. Es wird wieder taeglich geduscht (okay ausser heute, es wackelt wirklich uebel) und ein normales Leben in unserem Kokon ist moeglich.
Ich will nicht sagen, dass ich mit dem Schiff verschmelze, eine Einheit bin (heute grossen blauen Fleck beim Reffen in den Oberschenkel getackert), aber doch, so etwas aehnliches. Jede Kursabweichung hoere ich auch unter Deck beim Lesen. Das Segel flattert etwas, die Welle klascht lauter, Wanten pfeifen oder Atanga bewegt sich einfach anders. Zum Teil weckt mich das sogar im Schlaf. Es ist auf so einer langen Strecke auch schon mal langweilig, aber fuer mich ist klar, haette ich die Wahl wuerde ich drei Toerns von drei Tagen gegen einen 10-Tage-Ritt eintauschen.

Tag 6 Richtung Mexiko

Mo., 30.Jan.17, Karibisches Meer, Tag 975, 9.414 sm von HH
Turbulente 24 Stunden liegen hinter uns. Kleine Squalls mit wenig Wind und sintflutartigen Guessen, nachfolgende Flaute, dann viel Wind, Regenfelder mit wenig Wind, gefolgt von normalem Wind. Einreffen, ausreffen, konfuse Welle, viel Gerolle und Geschaukel.
Der Wind ist wechselhaft, alle 15 Minuten muessen wir die Windsteueranlage neu justieren. Das ist einfach. Achim hat von der Wind-Herta Schnuere ins Cockpit gelegt. Somit braucht keiner ans Heck, um die Windfahne auszurichten. Da wir ein absolutes ‚Cockpit-verlassen-Verbot‘ haben, wenn der jeweils andere schlaeft, kann so nachts bequem korrigiert werden.
Das ist einfach, aber trotzdem etwas laestig. Grad hat man es sich gemuetlich gemacht, laeuft das Schiff aus dem Kurs. Mitten in der Nacht dreht der Wind dann dauerhaft. Wir koennen mit der ausgebaumten Genua den Kurs nicht mehr halten. Der Wind kommt nicht mehr achterlich, sondern halb. Der Baum muss weg. Ich werde zum Manoever geweckt. Das vermeiden wir so lange es geht, um die sowieso schon kurze Nachtruhe des anderen nicht zu unterbrechen. Heute nuetzt es nichts, ich muss hoch.
Unser Weg fuehrt uns deutlich Richtung Westen. Jeden Morgen wird es spaeter hell. Mittlerweile erst halb 8:00 Uhr Bordzeit, noch Curaçao-Zeit. Allerhoechste Zeit die Uhr eine Stunde zurueck zu drehen auf Mexico-Zeit. Auf der Atlantikueberquerung haben wir das mittags gemacht, aber heute bist Achim so lieb und stellt die Zeit um als ich wieder im Bett verschwunden bin. :-) Netter Skipper!
Am Vormittag beruhigen sich Regen und Wind wieder. Jetzt haben wir Jamaika querab, 90 sm entfernt. Der Windschatten der hohen Insel reicht weit. Aber erwartungsgemaess auch der Duenungsschatten. Die Welle ist deutlich zurueck gegangen und wir liegen ruhig auf der Backbord-Seite und freuen uns ueber weniger Wind und trotzdem flotte Fahrt.

Tag 5 Richtung Mexiko

So., 29.Jan.17, Karibisches Meer, Tag 974, 9.311 sm von HH
Bergfest! In zwei Stunden haben wir Bergfest. :-) Nach zwei harmlosen Squalls am Nachmittag haben wir das erste Mal seit Tagen etwas weniger Wind, kaum 15 Knoten. Sofort ist zu merken, dass viel Wind einen nicht nur schneller ueber die Ozeane treibt, das Schiff liegt bei viel Speed einfach ruhiger. Die durchaus signifikanten Wellenberge sind naemlich noch da und schuetteln uns grad ziemlich durch.
Meilenmaessig moegen wir Bergfest haben, Stunden seitig wohl eher nicht. So langsam geraten wir auch in die Abdeckung der grossen Antillen: DomRep, Jamaika und Kuba.
Unsere Hoffnung ist, dass die Duenung dahinter abnimmt. Auf den Wind haben die riesigen Inseln in jedem Fall Einfluss. Auf den Windkarten sieht man regelmaessig , hinter den Inseln wird der Wind abgelenkt und abgeschwaecht. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Keine besonderen Vorkommnisse (was seeeehr gut ist), die Tage plaetschern so hin: Essen, schlafen, lesen.