Schweben in der Warteschleife

So., 23.Aug.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2275, 21.218 sm von HH

‚Soll ich mir hier in Papeete eine neue Brille bestellen – Lieferzeit mindestens sechs Wochen?‘ Kommt darauf an, ob Neuseeland uns rein lässt.
‚Sollen wir Roggenkörner als Vorrat für das nächste Jahr kaufen?‘ Kommt darauf an, ob uns Neuseeland rein lässt.
‚Soll ich auch hier in Papeete zum Zahnarzt gehen?‘ Kommt darauf an, ob …
Sollen wir dieses jetzt kaufen, sollen wir jenes hier reparieren? Bei jedem Gespräch drehen wir uns mit unseren Entscheidungen im Kreis. Angenommen ich bestelle mir eine Brille, dann kommt plötzlich das go. Kaufen wir Körner, dürfen sie nicht nach Neuseeland eingeführt werden. Mich macht dieser Schwebezustand ganz ruschelig. Sag mir, dass ich in Französisch Polynesien noch zwei Jahre gefangen bin, da kann ich mit umgehen, aber nicht zu wissen, was kommt, macht mich bekloppt.
Achim ist da tiefenentspannter: „Alles ist gut. Geduld! Es wird sich schon etwas entscheiden.“ Er kommt mir wie dieser Hummer vor, der gemütlich im Kochtopf sitzt, der auf der heißen Herdplatte steht und sich am warmen Wasser erfreut. :mrgreen:

Achim hat was von dem Hummer

Faktisch geht es uns super. Wir haben einen Platz in der Marina direkt an der Promenade erwischt. Unser Lieblings-Steg. Die neuen sanitären Einrichtungen, die bereits im Dezember eingeweiht werden sollten, sind immer noch nicht fertig. Das bedeutet zwar keine Duschen und Toiletten, aber auch nur den halben Preis für die Liegegebühren.
Und wir schwelgen im Luxus der gut sortieren Supermärkte. Ich könnte alles auf einmal kaufen, kochen und essen. Erstaunlich, wie gierig man auf Gurken, Tomaten und Salat nach acht Monaten Verzicht sein kann. Die ‚tu-was-Liste‘ wird überraschend schnell kleiner, das Portemonnaie auch. Nur der Rigger zickt noch etwas herum und will unser Vorstag nicht in Papeete tauschen, sondern lieber in der außerhalb gelegenen Taina-Marina am Reparatur-Steg.  Das wollen wir nicht. So einen guten Platz – fünf Minuten zum Markt – bekommen wir nie wieder. Die Marina ist rappelvoll. Die außerhalb gelegenen Ankerplätze ebenfalls. Kaum ein Schiff verlässt Französisch Polynesien, aber es kommen ständig neue dazu. Aus Südamerika reisen neue Segelboote an – man braucht nur um eine Erlaubnis bitten, dann kommt man rein.

Dagegen ist es in der Stadt total ruhig im Vergleich zum Vorjahr. Es ist nur eine magere Anzahl an Touristen zu sehen. Das trifft die Einheimischen hart. Viele Souvenir-Shops haben zu. Jalousien sind an Geschäften runter gelassen. Und wir haben das Gefühl, dass es mehr Obdachlose in den Straßen gibt.  Seit Öffnung der Grenzen Mitte Juli ist die Anzahl der neuen Covid-19-Fälle von Null auf über zweihundert angestiegen. Todesopfer gab es zum Glück bislang noch keine.
In Papeete ist die Maske Pflicht in Supermärkten, auf dem Markt und wo es eng wird. Die Polynesier sind sehr diszipliniert und tragen fast zu 100 Prozent Maske, im Park und auf der Promenade vielleicht noch 10 Prozent. Menschen, die sich kennen, begrüßen sich wie immer mit Küsschen rechts und links und auf dem Ausflugs-Katamaran tragen morgens alle Gäste eine Maske und kommt der Kahn abends rein, hat keiner mehr eine Maske mehr auf. Es menschelt und Angst vor dem Virus scheint nicht vor zu herrschen. Man befolgt halt eine Vorschrift die Maske zu tragen und fertig.

Ab hier bitte Maske und Blume hinter dem Ohrt tragen

Wie die Regierung mit dem Anstieg umgeht, ist in Schwebe. Einen erneuten Lockdown können sich das Land und vor allem die Menschen nicht leisten. In Rikitea wurden bereits vor zwei Monaten Lebensmittel-Pakete verteilt an Leute, die ihren Job verloren haben. Es wird für Morgen eine Presse-Konferenz erwartet. Natürlich würden wir uns freuen, gäbe es keinen erneuten Lockdown, aber auch wenn die Grenzen offen blieben.
Wie die Welt, so sind auch die Segler gespalten. Es gibt es eine Fraktion, die nach Schließung der polynesischen Grenzen ruft. Selber vielleicht gesundheitlich angeschlagen und hoch im Alter wähnten sie sich sicher in dieser Corona freien Inselwelt. Jetzt geht es nur noch um sie: „Lasst keine Amerikaner rein, Grenzen zu, lasst überhaupt niemanden rein, Tore dicht.“ Die ach so freundlichen Polynesier, die sie so nett empfangen haben, was mit denen passiert, ist doch egal, Hauptsache es kommt keiner mehr rein. Dabei sind sie selber nur Gast in diesem Land.
Pandemie oder Panik? Beide Meinungen haben ihre Existenzberechtigung und im Kern sind sie so unterschiedlich nicht: Bei beiden Meinungen geht es um Angst, um Schutz der Familie, um eine lebenswerte Zukunft mit Gesundheit und einem Auskommen. Welche Meinung man auch vertreten mag, was vor Ort an Kommentaren abgeht, zeigt die hässliche Seite unserer Gesellschaft.

Check-Liste

Mi., 19.Aug.20, PFranz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2271, 21.218 sm von HH

Kreditkarten endlich erfolgreich aktiviert ==> check
Kühlschrank voll Quark, Frischkäse und Joghurt ==> check
Tomaten zum Frühstück ==> check
Neue Flip Flops ==> check
Neue Spülbürste ==> noch auf der Suche
Vollkornmehl ==> check – und Roggenkörner gibt es auch noch.
Schokolade ==> check – und sie macht definitiv glücklich.
Internet ==> schwierig! Trotz 90-Dollar-Vini-Spot-super-Karte kein Netz an Bord. War letztes Jahr noch problemlos möglich.
Termin beim Zahnarzt vereinbart ==> check
Neue Füllung im Zahn ==> nein! Autsch und urks, Zahn unrettbar, der liegt jetzt im Mülleimer – leichter Eingriff, keine große Sache für Zahnarzt und Patient.
Implantat ==> check – in zwei Monaten möglich. Wo? Das wissen die Götter
Atanga ==> check mit Schreck! Vorstag (der laaange Draht, der den Mast nach vorne hält und gleichzeitig als Aufwicklung für das Vorsegel dient) angebrochen (drei Kardeele).
Termin mit Rigger ==> check – Kostenvoranschlag ist in Arbeit, neues Stag kommt Anfang nächster Woche.
Kakerlake ==> check – die erste war schon am zweiten Abend an Bord. Die liegt jetzt beim Zahn.
Neuseeland ==> kotz! Keine Neuigkeiten!

P.S. Noch ein paar Bilder von unterwegs eingefügt ==> check

 Die wenig bewohnte Seite von Tahiti mit Drama-Bergen

Ankunft in Tahiti

Sa., 15.Aug.20, Pazifik, Tag 2267, 21.085 sm von HH

Captain Cook ==> Endeavour – Captain Bligh ==>Bounty – Captain Willner ==> Atanga.
Alle Grossen beieinander. :-) Wer im beruehmte-Seefahrer-der-Welt-Unterricht aufgepasst hat, der weiss wo wir vor Anker liegen. Richtig! In der beruehmten Bucht ‚Point Venus‘. Hier haben sich die Seefahrer der Welt bereits die Klinke in die Hand gegeben. Die weitlaeufige Bucht ist auch im Dunkeln ohne Schwierigkeiten anzufahren und somit verbringen wir die letzte Nacht dieses Toerns vor Anker. Hinter einem halbkreisfoermigen Riff faellt der Anker vor dem schwarzen Strand des ‚Point Venus‘. Ein Ankommen-Bier und wir schlafen tief und sorgenfrei acht Stunden durch wie die Steine.

Am Morgen koennen wir uns nur der Meinung von 1792 von Georg Forster, dem botanischen Begleiter von Captain Cook anschliessen: „… es kostet uns keine Schwierigkeiten denen, die bereits vor uns hier gewesen waren, auf ihr Wort zu glauben, dass dies der schoenste Teil der Insel sei. […] Die Ebenen schienen von betraechtlichem Umfang zu sein. Das Ufer, das mit schoenstem Rasen bewachsen und bis an den Strand herab von Palmen beschattet war, wimmelte es von Menschen, die ein lautes Freudengeschrei erhoben, als wir aus dem Boot stiegen.“

Okay, es bricht am Morgen keiner in Jubel aus, als wir an Deck erscheinen. Aber aehnlich wie damals, als hunderte Kanus, beladen mit Fruechten, Schweinen und Brotfruechten; und Maedchen, die nichts weiter trugen als einen Rock und ihr wunderbares Haar; auf die Neuankoemmlinge zu paddelten, so haben auch wir unser Begruessungs-Komitee. Bestimmt hundert und mehr kleine Motorboote, Angelboote und Jet-Skis kommen durch die Bucht direkt auf uns zugerast. Die vielen Boote fabrizieren derart viele Wellen und bringen die ruhige Bucht zum Kochen, dass kleinere Boote durch den Wellenschlag regelrecht aus dem Ruder geraten. Der Katamaran, der vor uns liegt, wackelt wie ein Einruempfer. Ein nie gesehenes Bild. Unvorbereitet und sorglos, wie die Kat-Leute so auf ihren Booten leben, sind bei dem heute Morgen bestimmt die Teller vom Tisch geflogen.

Wettfahrt der Motorboote an Point Venus

Blick über die schöne Bucht von Point Venus

Zu schade, dass diese Bucht so arg weit ausserhalb von Papeete liegt und keine Infrastruktur zu bieten hat, gerne wuerden wir hier vor Anker bleiben. Aber nachdem die Invasion der Motorboote durch ist (heute ist Feiertag, wie wir spaeter erfahren und wahrscheinlich handelt es sich um einen Angelwettbewerb), gehen wir Anker auf und motoren Richtung Marina. Viel Hoffnung auf einen freien Platz machen wir uns nicht, aber Gott ist mit den Dummen und wir finden tatsaechlich einen Parkplatz fuer Atanga. Yeepie! So hatten wir uns das gewuenscht. Nur das Internet funktioniert noch nicht, aber der Chef arbeitet dran.
Weniger erfreulich sind die neuesten Geruechte, die wir am Marina-Office erfahren: Neuseeland soll auf Grund der ueber siebzig neuen Faelle vor Ort, die Einreise fuer Boote aus Franzoesisch Polynesien komplett untersagt haben. Vielleicht nur Geruechte. Daumen Druecken und Finger kreuzen.

Frau bei der Arbeit

während drei Tage dauernden Schiet-Wetters

Südsee-Segeln in Faserpelz

Tag 5 nach Tahiti: Ein schoener Segeltag

Tag 5 nach Tahiti: Ein schoener Segeltag Do., 13.Aug.20, Pazifik, Tag 2361, 21.085 sm von HH
Es war ja klar, dass wir es nicht vor Einbruch der Dunkelheit nach Tahiti schaffen wuerden. Dafuer liegt ein angenehmer Segeltag hinter uns. Die Sonne lacht nach drei grauen Tagen, der Wind pustet gleichmaessig in Seglers Lieblings-Staerke von 14,5 Knoten, die Welle passt dazu, und schon Atanga zappelt nicht mehr wie ein junger Hund an der Leine. Super! Unser Ziel liegt im Nordwesten der Insel. Am liebsten wuerden wir in die Marina von Papeete gehen. Aber alle Geruechte sagen, die sei knueppelvoll. Reservieren geht leider nicht: wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Sollten wir keinen Platz bekommen, bleibt uns noch der Ankerplatz in Taina. Dieser liegt ca. zehn Kilometer ausserhalb von Papeete. Wir naehern uns von Sued-Osten an Tahiti an und haben zwei Moeglichkeiten, um an der grossen Insel vorbei zu kommen. Wir waehlen die Ostseite, die Windseite, da wir vermuten, dass wir auf der anderen Seite durch die hohen Berge im Windschatten landen wuerden. Eine gute Entscheidung. Die Seite Tahitis, die nicht oder kaum besiedelt ist, zieht an uns vorbei. Die schroffen Berghaenge mit ihren steilen Flanken sehen aus wie die Wellen eines Gugelhupfs. Ehemalige Vulkankrater sind zu bizarren Kronen, Saeulen und Pfeiler zerbrochen. Sie bilden imposant tiefe Einschnitte bis zur Uferzone. Jeder Quadratmeter ist gruen, ausser die Stellen, wo Wasserfaelle senkrecht in Taelern verschwinden.
UEber die Funkrunde erreichen uns schon wieder ungute Nachrichten – auch schon etwas abartig, dass man nicht mal in der Einsamkeit der pazifischen Wasser-Wueste verschont bleibt. In Neuseeland, in Auckland, sind Corona-Faelle aufgetaucht. In Teilen von Auckland wird sofort ein Lockdown der Stufe drei (von vier Stufen) verhaengt. Die Premierministerin von Neuseeland hat sich auf ihre politische Karte (im September sind Wahlen) geschrieben, dass ihre zwei Inseln ein Corona freies Land werden/bleiben sollen. „Koste es, was es wolle!“, scheint ihr Credo. Das geht soweit, dass tausende Neuseelaender, die zurueck in ihre Heimat wollen, seit Wochen nur haeppchenweise rein gelassen werden, da nicht genug (ueberwachte) Quarantaene-Plaetze zur Verfuegung stehen. Was das neue Aufflammen von Corona bei den Kiwis fuer unseren Einreise-Antrag bedeutet? Es bleibt spannend.
Tag 8: 95 Meilen
Rest: 15 Meilen

Tag 7 nach Tahiti: Grau und ruppig

Mi., 12.Aug.20, Pazifik, Tag 2264, 21.085 sm von HH
Wetter, Wind und Welle sind alles andere als schoen. Es regnet oder nieselt, der Himmel haengt noch immer voll grauer, tiefer Wolken. Der Wind hat weiter auf Osten zurueck gedreht, wir haben ihn nun wieder von der Steuerbordseite. Er schwankt zwischen zehn und fuenfundzwanzig Knoten. Allerdings handelt es sich nicht um Boeen, sondern um Windfelder und Wind schwache Phasen von zwanzig, fuenfundzwanzig Minuten. Das haelt uns in Trapp. Anluven, abfallen, Segel flattert, Segel steht. Der Pazifik hat es nicht so mit gleichmaessigem Wind.
Wir erinnern uns an den Atlantik, wo wir nach Stunden an den Windanzeiger geklopft haben, in Verdacht er sei kaputt, weil er bei neunzehn Knoten wie eingefroren stecken geblieben war. Innerhalb von zwei Tagen hat der Wind eine volle und eine Viertel Drehung um uns gemacht. Die Wellen sind deutlich ausgepraegt – eigentlich zu hoch fuer den Wind – und rollen von zwei Seiten hinter uns heran. Das fuehrt soweit, dass eine Welle, die sich an der Bordwand bricht mich noch am Herd stehend nass spritzt. Also bitte, sowas hatten wir ja noch gar nicht. Ankommen waere jetzt mal schoen.
Ueber Funk hoeren wir von weiteren Corana-Infizierten. Inzwischen von drei verschiedenen Inseln.
Tag 7: 120 Meilen
Rest: 115 Meilen – das wird knapp noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen :-o