Archiv der Kategorie: Curaçao

„Viva México!“

Di., 17.Jan.17, Curaçao, Spanish Water, Tag 962, 8.752 sm von HH

Donnerstag geht es weiter.
1.200 sm (2.222 km) liegen vor uns.
Denkt man gar nicht, wenn man das kleine Loch der Karibik betrachtet. Das wirkt kaum größer als die Ostsee, und doch, die Karten lügen nicht.
Das ist zweidrittel unserer Atlantiküberquerung und wird unser zweit weitester Törn werden.

Wir rechnen mit 9 bis 10 Tagen. :shock:
Und haben beide Bock darauf, wie ein Schwein zum Klettern. Alle zwei Stunden nölt einer von rum, wie weit es ist und wie wenig Lust er darauf hat.
Selbstgewähltes Schicksal. Da hilft kein Jammern, da müssen wir durch. Wir hätten ja auch brav im Antillenbogen bleiben können.
Vor einem Jahr waren wir noch ganz aufgeregt vor den weiten Distanzen, heute wissen wir, wie das geht. Dieses Segeln über so lange Strecken übt sich dann doch irgendwie.
Früher erschien uns die Strecke von Kiel nach Bornholm mit ca. 150 sm als unüberwindbare Strecke (haben wir nie geschafft dort mal hinzusegeln).

Da ist es noch nicht mal ein Weltuntergang, dass unser Kühlschrank kaputt ist.
Er kühlt noch, aber nicht mehr automatisch. Der Thermostat regelt nicht mehr ab.
Achim hat einen Schalter an das Kabel geklemmt, so dass wir den Kühlschrank noch manuell regeln können. Das bedeutet alle halbe Stunde muss jemand den Schalter bedienen und nach fünf Minuten wieder ausknipsen. Theoretisch auch nachts. :mrgreen:

Das ist tagsüber schon nicht zu schaffen und somit herrscht im Kühlschrank eine mäßige Grundkühle. Vorratshaltung für den Törn schwer eingeschränkt. Mal sehen, wie wir über die Runden kommen.
Ich sehe nach einer Woche vegane Tage auf uns zukommen. ;-)

Auf ein Ersatzteil würden wir auf Curçao ewig warten. Und wir sind hier schon länger geblieben als geplant. Ein umfangreiches Tief in der Nord-Karibik hat seine Fühler bis nach Kolumbien ausgestreckt. Von Wind aus Nord und vier-Meter-Wellen wurde berichtet. Das Tief hat sich verzogen, so dass wir nun endlich die Nase aus unserem Versteck stecken können.

Ursprünglich wollten wir noch einen Stopp auf Jamaika und den Cayman Islands einlegen.
Das haben wir ersatzlos gestrichen. Alles was für über Mittelamerika gelesen haben, macht uns so neugierig, dass wir auf dem schnellsten (haha) Weg dorthin wollen. Viva México!

German Engineering

So., 15.Jan.17, Curaçao, Spanish Water, Tag 960, 8.752 sm von HH

Pünktlich zum Ende der Regensaison haben auch wir eine Regenwasser-Auffang-Anlage. Zumindest theoretisch. Während andere Schiffe so etwas schon seit Monaten installiert haben, hat es auf Atanga etwas gedauert.

Das liegt zum einen daran, dass unser Wassermacher zuverlässig arbeitet (auf Holz klopf).
Zum anderen daran, dass unser Bimini zum Wasser fangen wenig geeignet scheint.

Der Wassermacher läuft täglich eine Stunde und bringt lecker 20 Liter Wasser. Danach wird der Motor so heiß (normal), dass wir ihn ausschalten. Außerdem reicht der Strom an bewölkten Tagen kaum für eine längere Laufzeit.

20 Liter sind weniger als wir verbrauchen, aber so viel, dass es unser Überleben auf Monate streckt. Trotzdem wollen wir Regenwasser. Damit wir verschwenderisch (Gelächter) duschen können und größere Mengen Wasser für Ereignisse wie das Spülen der Tauchausrüstung übrig haben.

Die meisten Schiffe, die wir kennen, nehmen ihr Bimini zum Wasser fangen. Das macht Sinn. Die großen, graden Fläche der Sonnenabdeckungen eignen sich hervorragend dafür. Bei uns leider nicht. Das Bimini ist schon etwas älter und der Stoff ausgeleiert. Somit befindet sich der tiefste Punkt an einer unglücklichen Stelle: Schlauch und Abfluss würden die Sprayhood kaputt scheuern.

Also muss eine andere Lösung her.
Der Platz an Deck ist begrenzt. Zumal die meisten Flächen schon genutzt werden.
Aber halt, auf dem Vorschiff kann man sich noch frei bewegen.
Dort gibt es bislang keine Stolperfallen durch Schnüre und Bänder. Dort steht doch noch nichts rum, dort ist freier Raum.

Dank Deutscher Ingenieurs-Kunst ist das nun vorbei.

Ich hasse es.
Ein weiteres Tuch. Eine weitere Abdeckung. Als ob wir mit dem Segelkleid, den Hüttchen für die Winschen, der Regenabdeckung hinten und Mittschiffs nicht schon genug Planen hätten.
Eine weitere Plane, die beim Segeln unter Deck verstaut werden muss. Unnötig zu erwähnen, dass die Teile grundsätzlich nass sind, wenn wir los wollen. Vor dem Stauen kommt das Trocknen. In Zukunft werden wir vier Teile im Cockpit liegen haben, die Viertel-Quadratmeterweise auf der Bank gedreht, gewendet und getrocknet werden müssen.
Dabei kurz gepennt, ein Schauer, und der Spaß geht von vorne los.
Ich hasse es.

Alle Planen zusammen ergeben einen guten Stapel Tuch.
„Und wohin damit unter Deck?“
„Keine Ahnung, schlag Du was vor.“
Also wird der ganze Haufen seit 2,5 Jahren einfach „oben drauf“ gelegt. In unserer kleinen Abstellbutze, wo sich der Wassermacher, Ersatzteile, Tauchflaschen und sonstiges Zeug befinden. Wieder unnötig zu sagen, dass der Stapel beim Segeln verrutscht und sich selbständig macht. Die beim Zusammenlegen sorgfältig mit eingepackten Befestigungsbänder sind dann schon längst alle raus gerutscht und hängen herum.
Es sieht immer rummelig aus. Alles wirkt irgendwie messi-artig.
Wie ich das hasse.

Der Prototyp zum Wasser-Sammeln ist eine billige Gewebeplane, die normaler Weise zum Abdecken von Komposthaufen verwendet wird (Packungsfoto). Soviel zum Thema ‚Optik‘.
Ich konnte grade noch verhindern, dass Achim die grell kobaltblaue Alternative
gewählt hat. :mrgreen:

Jetzt wartet Bob, der Baumeister, auf Regen.
Die extremen Güsse der letzten Wochen sind vorbei, so dass die Optimierung der Anlage nur in Etappen voran schreitet.
– durch Gewichte muss das Abheben der Plane bei viel Wind verhindert werden
Schnell ist hier Tauchblei als ideales Gewicht gefunden. Nach Beaufort regulierbar…bis Windstärke 6 braucht man vier Kilo Blei. Die Modifizierung der Gewichte zog sich über
Tage hin ;-)
Einfach nur in die Plane legen, wäre zu einfach gewesen und hätte mit dem Gewicht dauerhaft die Ösen belastet. Diese ‚optisch ausgefeilte‘ Lösung der schwebenden Gewichte funktioniert nun zur Zufriedenheit des Konstrukteurs.


– Installation eines Grobfilters durch den das Wasser auch ohne Druck läuft (ungefiltert soll es nicht in den Tank)
– So viel Gefälle auf Atanga finden, dass überhaupt getestet werden kann

Wenn die Anlage sich bewährt, wollen wir die Gewebeplane durch Lkw-Plane ersetzten (ich hab Angst, nichts hält länger als ein Provisorium :shock: ). Die lassen wir uns auf die richtige Größe zuschneiden, verschweißen und mit Ösen bestücken.
Auf Persennig-Tuch (aus dem unsere anderen Abdeckungen sind), wollen wir verzichten, weil wir glauben, dass sich dort Schmutz leichter festsetzen kann. Dann soll das Wasser durch den Filter direkt in den Tank eingeleitet werden.

Wasser im Überfluss, ich liebe es.

Der gemeine Langfahrt-Segler

Fr., 13.Jan.17, Curaçao, Spanish Water, Tag 958, 8.752 sm von HH

Man sollte denken, dass sich alle Langfahrtsegler ähnlich sind.
Schließlich eint uns ein und der selbe Traum: Die verschrobene Idee, um die halbe oder gar ganze Welt zu segeln. Menschen, die wahlweise als verrückt oder mutig bezeichnet werden.

Die allermeisten Segler, die wir bislang kennen gelernt haben, sind angenehme, lustige Zeitgenossen. Hilfsbereit, immer gut drauf und es ist eine Freude, sie am Ankerplatz wieder zu treffen.

Neben den normalen ;-) Macken, die wir alle haben, gibt es vier herausstechende Typen.

Der ängstliche Typ
Bei dem Typ wundert man sich, wie er überhaupt seinen Heimathafen verlassen konnte.
Er traut seinen eigenen Hosen nicht, trägt Gürtel und Hosenträger und selbst am Anker eine Rettungsweste. Für seinen Notfall- und Medikamentenkoffer braucht er einen Anhänger.

Er hat vor allem Schiss: vor Höhe, vor Haien, vor Krankheiten, vor Salmonellen und Trichinen, vorm schwarzen Mann. Ja, selbst die Regenzeit lässt ihn die Sorgenfalten auf der Stirn erscheinen.
Seine Ängste machen ihn zu einem launenhaften Gegenüber. Abends beim Bierchen trinkt er sich Mut an, um schon am nächsten Tag getroffene Vereinbarungen zu widerrufen.
Diesen Typ findet man überraschend häufig unter den männlichen Exemplaren.

Der ‚immer-einen-oben-drauf-Geber‘
In dieser Gruppe findet man viiiiele Männer.
Dieser Typ hat immer mehr PS, immer mehr Ampere, mehr Watt, mehr Leistung, mehr Drehzahl. Er hat immer den Längsten. Und den Dicksten.
Mit diesem Typ kann man nicht sprechen. Egal, was man sagt, bei ihm war es schlimmer, der Wind heftiger, die Wellen höher, der Schlafentzug schwerer zu ertragen. Er fällt einem sofort ins Wort und übernimmt.
Frauen dieses Typs erheben gerne Zeigefinger und Stimme und unterbrechen den eigenen Ehemann zuckersüß: „Moment, Chérie, Moment“, um ihm und der Welt ausschweifend zu erklären, wie schlimm die Überfahrt denn nun wirklich gewesen sei.

Der redselige Typ
Dieser Typ ist vor allem unter den Frauen anzutreffen.
Bereits beim ersten ‚Hallo‘ erfährt man alle Eckdaten der Kinder, der Familie und der alten Nachbarn. Welcher Beruf, wie lange unterwegs, warum unterwegs, woher man kommt, wohin man will.
Bei Treffen zwei ist man im Bilde über die finanzielle Situation, hässliche Scheidungen und die Krankheiten der alten Nachbarn, die Vergehen von Ex-Schwiegerkindern und seit wann man nicht mehr in Kleidergröße 40 passt. Und wer die Schuld an diesem Dilemma trägt.
Der Redefluss der Redseligen ist durch nichts zu stoppen und keine Peinlichkeit zu groß, um nicht in die Welt geplappert zu werden.
Wenn mir allerdings bei Treffen Nummero 3 erzählt wird, dass der Sex trotz hohen Alters noch gut und regelmäßig klappt, dann habe ich Angst vor Treffen Nr. 4 und bin froh, wenn es nicht statt findet. :mrgreen:

Der ‚ich-bin-schon-einmal-rum-Typ‘
Der Typ tritt als Pärchen auf und diese Gruppe ist in zwei Lager gespalten.

Da gibt es die Guten, die unaufgeregt ihre netten und spannenden Erlebnisse zu erzählen wissen, gute Ratschläge parat haben und sehr unterhaltsam sind.

Und dann gib es da die anderen.
„Früher war alles besser“, so beginnen sie jede Unterhaltung. „In die Südsee brauchst du heute nicht mehr fahren“, so nörgeln sie weiter.
„Überall nur noch Abzocke, ausgetretene Pfade, alles überlaufen. Schade, dass ihr erst jetzt unterwegs seid, früher konnte man noch was erleben. Heute ist es ja auch keine Kunst mehr dank AIS, Plotter und Satelliten-Telefon. Als wir gestartet sind, da gab’s das alles noch nicht.“
Je länger der Abend, desto absurder erscheint einem die eigene Idee, weiter segeln zu wollen. Es hat ja alles sowieso keinen Sinn mehr.
Nach einem Abend mit solchen Gesellen sehnt man sich nach einem der „oben-drauf-Geber“.

 

Kleinode in der Stadt

Di., 10.Jan.17, Curaçao, Spanish Water, Tag 955, 8.752 sm von HH

Den dritten Tag nutzen wir den Wagen, um die Auswahl an hochwertigen Läden auf Curaçao abzuklappern. Ein Besuch bei Kooyman ist der Höhepunkt. Der wohl best sortierte Baumarkt der westlichen Hemisphäre.
Kooyman hat alles.

Sogar Verkäufer, die sich nicht hinter Regalen verstecken. Neben Holländisch (eine Amtssprache, die hier keiner spricht, Englisch ist die heimliche Sprache), können sie auch Englisch und, natürlich möchte man sagen, Spanisch.
Ein großartiger Laden. Ein echtes Kleinod. Nie hätte ich gedacht, dass mich mal ein Baumarkt ins Schwärmen bringt.

Wir kaufen ein, bringen unsere Wäsche weg, besuchen die Marine Ausstatter und genießen den Luxus mal für alle Wege einen Wagen zu haben.

Zwischendrin finden wir in der Stadt ein weiteres Kleinod: den jüdischen Friedhof.
Elegant, ganz in weißem Marmor gehalten. Alle Farben wurden verband. Obwohl auch bei den Juden schwarz die Trauerfarbe ist.

Die ältesten Gräber sind über 100 Jahre alt. Bestückt mit Putten, Engeln und Ranken. Sämtliche Gedenkschriften sind noch zu lesen. Saurer Regen scheint auf Curaçao unbekannt.

Die neueren Gräber sind schlichte Sarkophage. Einer trägt eine wunderbare Inschrift in einem gewagten Sprachen-Mix.
Besser kann man es nicht sagen.


Die Gräber tragen neben den üblichen Sterbedaten noch die jüdischen Jahreszahlen.
Nach dem jüdischen Kalender beginnt die Zeitrechnung 3.761 vor Chr. mit Erschaffung der Welt.
Somit sind einige der Herrschaften im Jahre 5.774 verstorben.
Ein sehenswerter Friedhof.

Rundtour auf Curaçao

So./Mo., 08./9.Jan.17, Curaçao, Spanish Water, Tag 953/4, 8.752 sm von HH

Ein Auto zu mieten, ist auf Curaçao nicht die preiswerteste Angelegenheit. 60,00 EUR wird man locker pro Tag los. Da freut es uns um so mehr, dass wir von Ian, unserem Rally-Mitstreiter, eine Adresse mit billigen Autos bekommen haben.
Für drei Tage bezahlen wir nun grad noch 75,00 EUR. :-)

Okay, der Wagen hat 220.000 runter, keinen Innenspiegel mehr und der Gurt-Pieper meldet sich alle halbe Stunde, auch wenn wir beide angeschnallt sind. Dafür können wir auf Schotterpisten fahren und Kratzer können uns egal sein.

Curaçao fällt gegen Bonaire immer weiter ab.
Willemstad ist raus geputzt wie eine Braut, während das Hinterland im Müll erstickt.

Ganz schlimm ist es im wenig besiedelten Süden. Die Pisten im Hinterland sind Müllhalden. Hausmüll, Bauschutt, Spermüll, was das Herz begehrt, wird hier abgeladen.
Wie viel schrecklicher muss es hier im Sommer aussehen, wenn alles, was jetzt grün ist, grau und braun verdorrt zwischen dem Müll steht? Wenig einladend zum Aussteigen und Laufen.
Wir fahren weiter.

An den Strand kommen wir nicht, zumindest nicht kostenlos. Ein Hotel-Resort verlangt 15,00 USD Gebühren, wenn man an den Strand über sein Gelände fahren will. Geht’s noch?
Wir versuchen es an anderer Stelle. Verlassene Maut-Häuschen zeigen, dass bereits andere die Idee hatten, mit Strand-Besuchern Geld zu machen.
Heute ist die Strecke frei, aber auch übersät mit Abfall am Wegrand.


Die Region um Willemstad ist dicht besiedelt (es wohnen 150.000 Menschen auf der kleinen Insel) und ebenfalls nicht so attraktiv. Der Speckgürtel um die Hauptstadt erinnert an amerikanische Kleinstädte. Fußball-Feld große Werbeplakate an den Ausfallstraßen.
KFC, Burger King, Mekkes, Pizza Hut, alle da. Wohlstand, gleich Autos, gleich Verkehr. Wir stehen tatsächlich im Stau.
Wir arbeiten uns Richtung Norden vor. Wahrscheinlich bedingt durch die Nähe des Nationalpark, gibt es hier keine wilden Müllkippen. Wir wagen einen erneuten Versuch an den Strand zu kommen. Hier bekämen wir es billiger: 10,00 USD. Curaçao ist ja noch schlimmer als die Kur-Taxe Erfindung in Deutschland.

Im Norden gelangen wir dann tatsächlich kostenlos ans Meer. Karibisch schön finden wir es nicht. Aber immerhin sind die kleinen Strände echt und werden von allen genutzt: Einheimische Familien mit Grill und Kühlbox, neben normalen Touris und dazwischen die Fischer, die ihren Fang gleich vor Ort verkaufen.


Der Nordwesten von Curaçao versöhnt ein wenig mit dem Rest. Flamingos, Kakteen, endlich Natur, die nicht total vermüllt ist.
Hier stehen auch die schönsten Herrenhäuser der ehemaligen Plantagen auf Curaçao. Heute dienen sie als Hotel, Galerie oder Restaurant. Toll renoviert, leider alle in der ABC-Einheitsfarbe ocker-gelb.

Die Vergangenheit der Häuser ist unehrenhaft. Curaçao war einer der größten Umschlagplätze für die Ware ‚Sklave‘ der Welt.
1795 begann die Revolte gegen die Sklaverei, die auf Curaçao endgültig erst 1863 abgeschafft wurde.