Medellin – die einst gefährlichste Stadt der Welt

Mo., 16.Okt.17, Kolumbien/Medellin, Tag 1235, 11.850 sm von HH

Wer hat früher auch ‚SimCity‘ gespielt?
Genau wie die virtuellen Städte des alten Spiele-Klassikers, sieht Medellin von oben aus: belebte Hochausviertel, strategisch gestreute Parks, Stadien und Basketball-Felder. Dazwischen moderne Büro-Viertel, am Rand der Stadt die Industrie und ‚malerisch‘ kriechen die Würfel-Häuser der armen Viertel die Berge hoch.

SimCity = Medellin

SimCity = Medellin

 

Medellin hat inklusive seiner Randgebiete 3,5 Millionen Einwohner und weiteres Wachstum ist begrenzt. Der Hochland-Kessel zwischen den Bergen ist voll.
Abenteuerlich stehen Wohnblocks an Stellen, die so besser nicht bebaut werden sollten.

Noch vor zehn Jahren hat sich kein Tourist in die gefährlichste Stadt der Welt getraut. Drogen-Banden und Guerillas sorgten in Spitzenzeiten für 6.500 gewaltsame Todesopfer. Jährlich!
Zum Vergleich: In Hamburg gibt es ca. 80 Tötungsdelikte im Jahr.

Dieser Schreckensherrschaft hat die Regierung ein Ende bereitet. Allerdings mit brutaler Gewalt. 2002 fiel die Armee mit 1.500 Soldaten plus Hubschraubereinsatz in die ‚Comuna 13‘ ein, dem schlimmsten Viertel von Medellin.
In vier Tagen wurden alle Guerillas aufgestöbert und dingfest gemacht. Bei Aktion ‚Orion‘ kamen leider auch einige Zivilisten ums Leben. In einer Vertuschungs-Aktion hat man den toten Zivilisten die Uniformen von Guerilla-Kämpfern angezogen.

Aktion ‚Orion‘ ist nachhaltig.
Das Viertel gilt heute als sicher und kann (tagsüber) von uns Touristen besucht werden. In der ‚Comuna 13‘ wurden Rolltreppen gebaut, die den Anwohnern das Leben erleichtern sollen. Achtundzwanzig Stockwerke werden von sechs Rolltreppen überbrückt.

Eine bunte Graffiti-Subkultur hat sich bei den Treppen entwickelt.
Mit Kunst gegen Gewalt, so lautet das durchgängige Thema in gesamt Medellin. Die Rolltreppen sind wohl eher eine Touristen-Attraktion. Schon hundert Meter rechts und links daneben sollen die Graffitis aufhören. Der Drogen-Handel, die noch immer im großen Stil in Kolumbien existiert, wird von rivalisierenden Gangs verwaltet.
Aber die Mordrate ist um 90 Prozent zurück gegangen. Die Menschen lassen wieder ihre Kinder auf der Straße spielen.

Graffiti in Comuna 13

Graffiti in Comuna 13

 

Wer bei den Rolltreppen bleibt, sei sicher, heißt es. Auch mit Kamera und vollem Portemonnaie. Aber wir gehören hier nicht her. Es bereitet ein befremdliches Gefühl als Tourist durch die ‚Columna 13‘ zu ziehen: Gaffer, Voyeur, Spanner, ja, Fremdkörper sind wir.

Es wird trotzdem auf uns aufgepasst. An einer Stelle sind wir unsicher, die Gassen sind schmaler, ob es einen Ausgang gibt. Eine Frau die auf einer Treppe sitzt, zeigt uns den Daumen nach oben zu: Si,si, aqui es correcto.“
Ein Mann vom Balkon winkt ebenfalls den Daumen: Hier könnt ihr weiter, hier kommt ihr raus.

Der Gang durch die Stadt führt an einem total schönem Friedhof vorbei.
Im Rondell sind zweistöckig Wände gebaut in denen sich Urnen-Nischen befinden. Was für eine hübsche Anlage. Fest in der Hand von Sprayern.

Graffiti macht in Medellin nicht vor dem Friedhof halt. Wie mag wohl die Flächenvergabe von Wänden erfolgen? Mit illegaler Schmiererei, wie man sie in Europa vorfindet, hat das nichts zu tun. Es ist Kunst. Sogar Gastsprayer aus Mexiko und Brasilien reisen nach Medellin an.
Als Farbendosen-Hersteller hat man in Südamerika ausgesorgt. :lol:

Ein paar Meter weiter, wieder Kunst gegen Gewalt.
Steinmauern werden von Schülern mit Pflanzkästen aus alten Kanistern begrünt. Das erregt so viel Aufmerksamkeit, dass sogar das Lokal-Fernsehen mit zwei Teams vom Ort des Geschehens berichtet.

 

Medellin hat als eine der wenigen Metropolen Südamerikas eine ‚Metro‘.
Ein modernes Verkehrs-System, das aus Zügen und Seilbahnen besteht. Auf den Bahnhöfen ist es sauberer als in Hamburg.

Die Einwohner Medellins lieben ihre Metro.
Es wird weder in Bänke geritzt noch die Wände beschmiert. Hier herrscht Graffiti-freie-Zone. Mit dem Bau dieser Metro hat Medellin Preise als innovativste Stadt Südamerikas gewonnen. Städte wie Buenos Aires schicken ihre Landesvertreter, um sich die Lösung Medellins abzugucken.

Die Metro wird von den Anwohnern als echte Bereicherung gewertet. Wer früher drei Stunden zur Arbeit brauchte, endlos den Bus wechseln und sich zu Fuß über die Hügel kämpfen musste, der schafft es heute in 30 Minuten zur Arbeit. Preiswert ist es, auch für die Einheimischen, sechzig Cent kostet ein Ticket und ist gültig für Bahn und Gondel.

Wir fahren hinauf bis zur Endstation. Von weitem ein traumhafter Blick auf ‚SimCity‘.
Treppen und Fußwege zu den Gondel-Stationen sind beleuchtet. Mit Solar-Energie werden die, in kurzen Abständen stehenden, Straßenlaternen betrieben.

In gesamt Medellin fällt eine unglaubliche Sauberkeit auf. Egal ob reiches oder armes Viertel, kaum ein Papierschnipsel liegt herum.

Die Gondeln ziehen ihre Bahnen direkt über die ’schlechen‘ Viertel. So nah dran sieht es dann nicht mehr traumhaft aus. Kilometer lang kriechen die Favela Arme die Berge hoch.
Wieder ein komisches Gefühl. Wie Zoo-Besucher, die sich in Sicherheitskäfigen über die ‚wilden Tiere‘ fahren lassen.
Mit in unserer Gondel sitzen ein paar Einheimische. Ich mag den Fotoapparat nicht zücken. Zu respektlos erscheint mir diese Geste. Auf dem Rückweg sitzen wir allein in einer Gondel. Da sind diese Bilder entstanden. :cry:

Als Voyeur unterwegs

Als Voyeur unterwegs

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