Um die Welt nähen

Di., 09. Jun. 15, La Palma, Tag 374, 2.587 sm von HH

Ich bekomme langsam den Eindruck, dass man mehr Zeit mit nähen als mit segeln auf so einer Weltumseglung verbringen kann.
Heute ist es erneut eine Flagge, die das Zeitliche gesegnet hat. Unsere Spanische Gastlandflagge hat somit nur sieben Monate gehalten und ist verbraucht.
Das Loch brauche ich nicht zu flicken, der Stoff daneben ist so dünn, dass ich gleich eine neue Flagge nähen kann.
Das übt den Umgang mit der Maschine für feinmotorische Dinge, macht Spaß und wo wir hier eine neue Gastlandflagge bekämen, haben wir noch nicht entdeckt.

Die letzte Nähaktion mit T-Shirt-Stoff war nicht so toll. Das Material dehnt sich zu sehr und ist nicht formstabil. In der Stadt entdecke ich einen Stoffladen und dort erstehe ich eine Palette der gängigsten Farben von Länderflaggen.
Einen gelben und dunkelroten Rest bekomme ich geschenkt. Das ist ja mal richtig nett.  :-)

Die Spanische Flagge ist denkbar einfach. Zumindest, wenn man auf das Wappen in der gelben Mitte verzichtet. Das dürfen wir, da die vereinfachte Form bereits vor über 100 Jahren für bürgerliche und Handelszwecke eingeführt wurde.

Trotzdem haben drei simple Streifen ihre Tücken, wenn eine Flagge von beiden Seiten gleich aussehen soll.
Das ahne ich zunächst nicht und nähe munter drauf los. Dafür wähle ich eine Kappnaht – so werden Hosenbeine von Jeans zusammengenäht.
Um mit einem Irrtum aufzuräumen: Ich habe keine Ahnung vom Nähen. Alle meine Weisheiten ziehe ich aus einem fünfstündigen Nähkurs im Sommer vor unserer Abreise (kann ich wärmstens empfehlen) und aus dem Internet. Davor habe ich noch nie hinter einer Nähmaschine gesessen.

Dass ich keine Ahnung von der Materie habe, wird dann auch gleich nach der ersten Kappnaht klar. Das war wohl zu naiv gedacht: Auf einer Seite stimmt die Breite der Streifen und alles sieht super aus. Auf der anderen Seite ist das Rot um die Breite der Nahtzugabe zu schmal und die Proportionen der Streifen stimmen nicht mehr. Und es sieht „na ja, geht so“ aus.

Grrrr, doof, nicht zu Ende gedacht. So heißt es improvisieren (böse Zungen nennen es pfuschen).
Ich nähe auf die nicht so schöne Seite einfach noch einen schmalen Streifen in rot drüber, damit die Breite von Gelb wieder stimmt. :cool:
Das hält einer Bewertung – zumindest von unten – Stand und somit hissen wir heute die erste selbstgenähte Gastlandflagge.

Unser Adenauer, der deutlich mehr Flatterzeit hinter sich hat als die Spanische Gastlandflagge hält tapfer durch. Hier ist nur die hintere Naht auf gerippelt, die schnell repariert ist.

Schwell in Santa Cruz

So., 07. Jun. 15, La Palma, Tag 372, 2.587 sm von HH

Dieser Schwell zerrt an den Tampen.
Dieser Schwell zerrt an den Nerven.
Dieser Schwell erfordert besondere Maßnahmen.

Die letzten Tage war es besonders windig, somit schwellt und schwojet es heftig in der Marina. Tagsüber pfeifen die Böen mit 30 Knoten über uns paar verbliebene Yachten.

Das ist gar nicht mal so schlimm: Der Wind drückt uns von unserem Steg weg, wir liegen ein wenig schief, schaukeln aber nicht viel hin und her.
Der Wind heult in den Wanten und eine Marina typische Geräuschkulisse entsteht. Wir sind daran gewöhnt und es stört uns nicht so sehr.
So schlafen wir nachts friedlich ein. Allerdings schläft noch vor dem Morgengrauen auch der Wind ein.

Die Wellen bleiben wach und rollen unvermindert in den Hafen hinein.
Da dieser am Ende geschlossen ist, reflektieren sie an den großen Spundwänden, kommen zurück und treffen auf die nachkommenden Wogen.
Ohne den Winddruck, der uns auf einer Seite hält, fängt Atanga munter an zu schwingen.

Wir haben im Augenblick sieben Leinen draußen. Die vier üblichen an unserer Steg-Seite, drei an der anderen Seite, quer über die Box gespannt. In rascher Folge rucken wir abwechselnd in eine dieser Leinen ein.
Die Leinen dehnen sich soweit ihr Reck das zulässt. Dieser Reck macht unglaubliche Geräusche.
Es knarrt, ächzt, klagt und stöhnt.
Der Rumpf, als guter Resonanzboden, überträgt dieses Getöse zehnfach verstärkt in unsere Achterkoje.

Um 5:00 Uhr wache ich auf.
Im Halbschlaf und im Dunkeln kommt mir das Knarren ungewohnt kräftig vor. Ich erwarte jeden Augenblick einen Schwall Hafenwasser abzubekommen, weil auf meiner Seite ein Stück vom Rumpf heraus gerissen wird.
Zur Sicherheit lege ich mich in den Salon.  ;-) Hier ist es außerdem ruhiger.
Es wundert mich, dass Achim schlafen kann. Später erfahre ich den Grund: Ohrstöpsel!

Gut geschlafen hat er auch nicht und daher treffen wir Maßnahmen.
Da wir noch nie mit so einem Schwell zu tun hatten, besitzen wir keine Ruckdämpfer. Ruckdämpfer sind Federn aus Stahl, Edelstahl oder aus Kautschuk.
Diese werden als elastische Stelle zwischen Schiff und Landverbindung angebracht. Sie verlangsamen die Einruck-Geschwindigkeit und mildern die unangenehmen Schiffsbewegungen und Geräusche.

Von der Namastee erfuhren wir, dass sie Autoreifen als Ruckdämpfer-Ersatz verwenden. Diese sind in unser Fischerboot-freien Marina nicht aufzutreiben.
Daher nehmen wir zwei Pützen (Kautschuk-Eimer) und Wasserkanister und beschweren unsere Festmacher, so dass diese sich nur noch verlangsamt straffen können.

Als erste Maßnahme gut, aber es scheint, dass wir noch mehr Gewicht ausbringen müssen.
Da wir keine Frischwasser gefüllten Kanister nehmen möchten, heißt jetzt die Devise: trinkt mehr Wasser.

Die Marina Santa Cruz de La Palma muss man aushalten können.  :cool:

Schon wieder der Überzieher

Sa., 06. Jun. 15, La Palma, Tag 371, 2.587 sm von HH

Seit Dienstag ist das Wetter mittelmäßig. Wir beglückwünschen uns zur richten Wahl unserer Auto-miet-Tage. Es stürmt, ist stark bewölkt und gar nicht mal sooo warm.
Außerdem liegen wir recht verlassen hier in der Marina.
Die La Joya ist bereits vor 10 Tagen davon gesegelt, da sie Besuch aus Deutschland erwartet, der auf Teneriffa anlandet. Wir sehen uns wohl erst in zwei Monaten wieder. :-(

Es gibt außer uns nur noch zwei weitere bewohnte Schiffe: Ein Franzose, der nicht „guten Tag“ sagen kann und ein Paar mit Hund aus Russland, die unter amerikanischer Flagge unterwegs sind. Es sei leichter und billiger für sie, ein Schiff in den USA zu registrieren als in Russland.
Das klingt interessant.
Leider treffen wir die zwei nur selten, um mehr Details zu erfahren.

Wir nutzen die ruhige Zeit und sind fleißig!
Die Klettverschlüsse am Segelüberzieher, die wir auf Teneriffa genäht haben, bewähren sich. Allerdings stehen die Riegel an den Enden ab und schmiegen sich nicht komplett um die Segel-Wurst. Wenn der Wind mit 30 Knoten an diesen Überständen spielt, schafft er es die Riegel auf zu fummeln. :shock:
Das wird sicher noch schlimmer, je älter und verbrauchter der Klett sein wird.

Um das Abzuwenden, nähen wir Quer-Laschen ans Ende vom Klett, unter die wir die Riegel schieben können. Dabei bedienen wir uns der bewährten Methode vom letzten Mal: der Chef näht, die Crew schneidet zu.
Das Ergebnis kann sich, von unten betrachtet, sehen lassen und Cheffe meint: „datt hält nu!“

Vulkane und Strand

Mo., 01. Jun. 15, La Palma, Tag 366, 2.587 sm von HH

Südlich der Caldera beginnt die Straße der Vulkane.
Diese Vulkane sind ähnlich schwarz wie auf Lanzarote, hier allerdings licht bis dicht bewaldet. Auf ca. 1.300 Höhenmetern suchen wir uns einen kleinen Wanderweg, der nur knapp 5 km lang sein soll. Leider steht nicht dabei, dass er steil die Vulkanflanken hinauf führt.
Rauf geht es ja noch, abgesehen, dass der Schweiß zweibahnig den Rücken herunter läuft.
Auf dem Rückweg wird es dann heikel.
Denn man hat sich das hier schlecht überlegt mit dem Wegebelag.
Alles ist komplett mit Rollsplitt abgestreut. Das alleine reicht schon, um einen die Beine unter dem Hintern weg zu ziehen. Darüber liegt dann aber noch eine dicke Schicht Kiefernnadeln, die rutschiger als Glatteis ist.

Wir kommen aber heil am Auto an und sind bereit uns ins nächste Abenteuer zu stürzen. Vorgestern waren wir an einem Kletterpark vorbei gekommen, der idyllisch im Kiefernwald gelegen ist.
Zu unserem Bedauern hat dieser allerdings wochentags geschlossen, da wir uns noch in der Vorsaison befinden.
Wir müssen also unverrichteter Dinge wieder abziehen, können aber wenigstens noch die Parkbänke für unsere Mittagspause nutzen.

Wir disponieren um und fahren zum Strand.
Es ist interessant, dass auf La Palma alle Straßen, die um die Insel herumführen, sich auf einer Höhe von 500 bis 1.300 Metern befinden. Eine Küsten-Ufer-Straße existiert praktisch nicht.
Es gibt nur hin und wieder extrem Steile Pisten, die an die wenigen, sehr kleinen Strände führen. Diese sind ebenfalls alle pechschwarz und wirklich winzig.
Die Brandung rollt ungebremst an die Felsen, so dass Baden nicht ganz einfach ist.
Nicht, dass wir das gewollt hätten, denn mit ca. 21 Grad ist es uns nach wie vor zu kalt.

Zu guter Letzt machen wir noch einen Stopp am Insel-Lidl, der nur mit dem Auto zu erreichen ist.
Hätte ich gewusst, dass es hier ebenfalls einen deutschen Supermarkt gibt, dann hätte ich mir meine Tour-de-Lidl auf Teneriffa weiß Gott verkniffen.

Insgesamt haben wir auf der kleinen La Palma, die von der Grundfläche (ca. 45 x 25 km) gerade mal so groß wie Hamburg ist, über 600 km abgerissen. Fast nicht zu glauben. Aber die extreme Steilheit der Insel macht an jeder Ecke Serpentinen nötig.
Die Insel ist wunderschön und wahnsinnig grün. Wir haben tolle Ecken entdeckt, die es nun gilt, mit Bustouren und weiteren Wanderungen zu vertiefen.
Die Schöne, die Grüne, die Steile.

1 Jahr – 2 Fazits

Getrennt voneinander geschrieben.

Aber zuerst die nackten Fakten:
2.587 sm – davon 1.803 unter Segel
365 Tage – davon 22 auf See
entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von: 5,3 kn = 9,8 km/h

810 km Fahrrad – (davon gefühlt 750 km bergauf)
Durchschnittsgeschwindigkeit 10,3 km/h

Zu Fuß, geschätzt
343 Tage x 4 km = 1.372 km

Joachim:
Ein Jahr ist es jetzt her, dass wir Hamburg verlassen haben.
Eigentlich ist ein Jahr keine wirklich lange Zeit, aber so richtig präsent ist mir der Juni 2014 nicht mehr. Die Anzahl der neuen Eindrücke in den letzten 365 Tagen war einfach sehr groß.
Zu groß? Ich denke nein, oder ja, oder ich weiß nicht….

Während der ersten Monate waren wir recht fix unterwegs. Für mich zu schnell. Erst seit unserem Stopp in Lagos haben wir begonnen es für uns richtig zu machen.
Seit dem waren wir in keinem Hafen weniger als 2 Wochen. Meist waren wir sogar deutlich länger in den Orten und konnten uns richtig einleben.
Wenn ich morgens aufwachte, dann wusste ich auch, wo ich war. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist schön zu wissen, wo man gerade ist.

In jedem Ort entwickelten sich eigene Rituale, so wie sie eigentlich jeder im normalen Leben hat. Bei mir sah das meist so aus, dass ich nach der Lektüre der Nachrichten erst einmal losgelaufen bin, um Brot zu kaufen.
Die Verkäuferinnen in meinen Stamm Bäckereien wussten nach einer Weile auch, was ich kaufen würde. Das war schön und machte jede der Städte, in denen wir lebten, zu meinem Zuhause.

Las Palmas oder auch Santa Cruz de Tenerife sind sicherlich 2 der Orte, die ich mir als finalen Liegeplatz nach Beendigung der Reise vorstellen könnte.
Es ist einfach schön dort, es gibt alles, das Wetter ist meist gut und die Menschen sind freundlich.

Alles im Leben hat seinen Preis.
Für die meisten ist es sicher nicht normal, die Duschzeit nach dem Sonnenstand auszurichten. Liegt man aber in Santa de Cruz de Tenerife, dann tut man gut daran, frühestens nach 13.00 zu duschen, da ansonsten die Solaranlage das Wasser auf maximal kurz über den Gefrierpunkt aufgewärmt hat.

Wer trinken will, muss schleppen. Die meisten Dinge kauft zwar Bine ein, aber wenn es um die Getränke geht, dann ist das meist mein Job. Das sieht dann so aus, dass ich mit dem Rucksack in die Stadt ziehe und mit zig Litern Wasser, Wein, Bier und was man sonst noch so trinkt zurück komme.

Der unangenehmste Teil dieser Reise ist im Fehlen einer Geschirrspülmaschine begründet. Jeden Tag wird 3-4 mal mit der Hand abgewaschen und abgetrocknet. Das ist nicht schön.

Auch das soziale Leben verändert sich.
Immer wenn man nette Leute kennen lernt, dann ist das eine Beziehung auf Zeit.
Jede Crew hat eigene Pläne und wird irgendwann zurück bleiben oder vorweg fahren. Ein Wiedersehen in der Zukunft ist zwar möglich, aber nicht sicher.

Ist es das alles wert?
Freunde, Familie und Kollegen zurückzulassen, um sich in der Welt herum zu treiben?
Zu akzeptieren, dass Dinge, die einst normal waren nun Luxus sind (Waschmaschine, Geschirrspülmaschine, Auto, jederzeit mit warmem Wasser ausgiebig duschen zu können, schnelles Internet..)?

Ich bleibe bei der gleichen Aussage, die ich auch nach 100 Tagen gemacht hatte.
Dieser unbeschreibliche Luxus, Lebenszeit nach meinen/unseren Vorstellungen zu verbrauchen ist unbezahlbar. Es ist ein Geschenk, neue Orte zu bereisen und dort nicht nur als Urlauber zu verweilen, sondern dort jeweils für eine unbestimmte Zeit leben zu können.

Ich genieße unsere kleine Welt an Bord (3 Raumwohnung, Küche &Bad auf insgesamt ca. 30m²). Ich liebe unseren „Garten“, d.h. die jeweilige Marina, in der wir gerade liegen…..und, nur um es nicht zu vergessen, das Wetter und die Wärme im Süden.

Sabine:
Die exotischen Ziele haben wir noch nicht erreicht. Auch das türkis schimmernde, warme Wasser lässt noch auf sich warten. Die Wahrheit ist, dass wir bislang noch nicht einmal gebadet haben.
Mir macht das nichts aus. Im Gegenteil. Die ausgetretenen Urlaubziele von Millionen Touristen sind wunderschön. Und die werden durch die ausgiebige und genaue Betrachtung sogar noch schöner.
Daher bin ich froh, dass wir so langsam reisen und uns viel Zeit für schöne Orte nehmen.

Das Leben an Bord ist in einigen Belangen umständlich, manchmal etwas langwierig und anstrengend. Aber niemals langweilig. Häufig habe ich am Ende des Tages nicht mal das „geschafft“, was ich mir eigentlich vorgenommen habe.
Und zum Lesen, ganz im Ernst, komme ich fast gar nicht.

Auch das Zusammenleben mit Achim auf so engem Raum, 24 Stunden am Tag, klappt hervorragend.
Zumindest meistens. ;-)
Es gibt da eine Sache, da macht er mich affig.

Immer gerade dann, wenn ich mich in der Pantry eingefunden, alles her gekramt habe und anfangen möchte zu kochen. Ausgerechnet dann will er noch einmal an den Kühlschrank.
Mein Signal: „So, ich werde mich dann mal ans Kochen machen“ ist doch eindeutig.
Welchen Teil daran mag er nicht verstehen? In dem Augenblick könnte er doch sein Getränk holen – macht er aber nicht. Nein, er wartet genau so lange, bis ich die Klappe vom Kühlschrank mit Brett, Gemüse, Fleisch oder anderem Zubehör vollgestellt habe.
Im schlimmsten Fall fängt er an, die Sachen selber zur Seite zu räumen.
Offene Sahne droht umzukippen.
Ich komm nicht mehr an die Pfanne zum Rühren der schon in der Pfanne brutzelnden Zwiebeln. Ein Geschirrhandtuch rutscht an die Gasflamme und fängt Feuer…
Da kann ich affig werden.

Im Laufe der Zeit hat sich ergeben, dass ich praktisch nur noch alleine einkaufen gehe und somit sind wir auch mal ein paar Stunden getrennt.
Und das ist dann auch sehr schön.

Ich glaube, dies war das beste Jahr meines Lebens und ich bereue nicht eine Sekunde, dass wir diese Entscheidung getroffen haben.
Und ich vermisse nichts. Außer die lieben Menschen daheim und meine Dunstabzugshaube.

Und dann noch ein dickes Dankeschön an die treuen Leser unseres Blogs, die Ihr tapfer meine (meistens) Berichte lest. Ihr seid klasse.  :-) :-)