Auf dem Atlantik segeln

Di., 22.Dez.15, Atlantik, Tag 570, 3.079 sm von HH, etmal 118 sm

Die ersten 24 Stunden sind echt fuer die Tonne. Nach den Delphinen nur noch Kappes.
Gleich hinter der Abdeckung von La Gomera geht es los: Wir rollen. Wir rollen 20 Grad zur einen, 20 Grad zur anderen Seite.

Seit ich Reisetabletten vor dem Start nehme, kann ich mich von Anfang an unter Deck aufhalten und sogar lesen. Sie haben nur einen Nachteil, die Dinger, sie machen unglaublich muede. Somit ist die Wacheinteilung schnell geklaert, ich darf doesen bis 22:00 Uhr.
Schlafen ist bei dem Gerolle fast nicht moeglich.
Danach erfolgt ein Wechsel alle vier Stunden.

Vorgekochtes Chili steht auf dem Herd und jeder nimmt sich aus dem grossen Topf und macht es in einem kleineren Topf heiss. Es passiert, was ich nie wollte: es wird direkt aus dem Topf geloeffelt. Beide nehmen wir den gleichen Topf und den gleichen Loeffel.
Statt abzuwaschen kommt ein Deckel drauf, so kann man den Topf in der zweiten Runde wieder verwenden. :shock:
Zu mehr haben wir nicht die Energie. Dieses Gerolle erfordert zu viel Kraft und Aufmerksamkeit. Normale Handgriffe stellen einen vor eine unloesbare Aufgabe. Dazu kommt Muedigkeit.

Die langgezogene, angenehme Atlantik-Duenung. Wo ist sie?
Mit einer Wellenfrequenz von acht Sekunden?
Diese Atlantik-Duenung, die Poeten als das Atmen der See bezeichnen?
Unsere See atmet nicht, unsere See hechelt.
Im Sekunden-Takt wird gehechelt. Eine fiese, zwei Meter hohe Hack-See wird gehechelt.

Die drei grossen Lebensluegen: „ich liebe dich“, „der Scheck ist in der Post“ und „ich zieh‘ ihn raus, wenn ich komme“ muessen erweitert werden um „es gibt eine angenehme Atlantik-Duenung“.
Entnervte Gruesse, Sabine

La Gomera nach Mindelo – Tag 1

Gegen ein Uhr haben wir die Marina in San Sebastian verlassen. Es war recht windig und so ganz wohl war uns beim Ablegen nicht. Unser Schiff liebt die engen Gassen nicht wirklich. In einer kurzen Pause, die sich der Wind nahm, ging es dann aber los. Schon kurz nach der Hafenausfahrt wurden wir von einigen Delphinen begleitet. Nicht schlecht. Der Wind weht mit einer moderaten 4 und die Welle koennte schlimmer sein. Obwohl, jetzt wo wir aus der Abdeckung raus sind, rollen wir ganz schoen. Es wird einfach wieder etwas Zeit brauchen, sich daran zu gewoehnen. Im Moment segeln wir mit ausgebaumter Genua und machen ca. 5kn. Ahoi: Joachim

Weihnachten auf See

Mo., 21.Dez.15, Tag 569, La Gomera, 2.961 sm von HH

Gleich geht’s los.
Vor uns liegen knapp 800 sm (1.560 km) für die wir sechs bis sieben Tage benötigen.
Dies ist die längste Etappe, die wir je in einem Stück gesegelt sind.

Unseren ursprünglichen Plan bereits gestern zu starten, haben wir aufgegeben.
Auf den Azoren hat es einen mächtigen Sturm gegeben mit ungewöhnlich hohen Wellen von 11 Metern. Diese Wellen haben sich die letzten Tage abschwächend Richtung Kanaren ausgedehnt. Gestern betrug die Höhe noch vier bis fünf Meter, heute sollen es nur noch zwei bis drei sein. Grund genug für uns noch einen Tag zu warten.

Über Funk versuchen wir weiter zu bloggen damit Ihr wisst, wie es uns geht.
Sollte keine Meldung kommen, liegt wahrscheinlich :mrgreen: ein technischer Fehler vor.
Viel wahrscheinlicher in jedem Fall, als dass wir gesunken sind.

Wir wünschen Euch allen bezaubernde Feiertage, habt eine schöne Zeit.
Gute Laune, nette Menschen um Euch, passende Geschenke, einen geraden Baum und gelungenen Braten.

Bis bald, Joachim & Sabine

P.S. Ein vorweihnachtliches Geschenk habe ich schon bekommen:
Wir sind seit drei Wochen unter den Top 10.
Das Ziel zu erreichen hätte ich nicht erwartet…danke an die besten Leser der Welt  ;-)

 

Merry Christmas

Merry Christmas

Die Irren sind los

So., 20.Dez.15, Tag 568, La Gomera, 2.961 sm von HH

Mit ein paar Tagen Verspätung sind heute die verrückten Altantik-Ruderer gestartet.
Ein Sturmtief hatte die geplante Abfahrt um fünf Tage verschoben.

Talisker Whisky Atlantic Challenge 2015

Als erstes, unter großem Beifall der Zuschauer, starten die beiden Frauen-Crews.
Dynamisch, schnell und nett gestylt. Als wollten sie sagen, so geht rudern.
Eins der Frauenteam startet unter dem Motto: „rudern wie ein Mädchen“. ;-)

An dritter Stelle folgen die Veteranen.
Cayle und Nigel rudern ohne Prothesen. Dass dies geht, hat Cayle schon einmal bewiesen. Er ist einer der wenigen Wiederholungs-Täter dieses Rennens. Er hat 2013 bereits an diesem Horror-Trip teilgenommen hat. In einer sensationellen Zeit von 43 Tagen, wie er uns neulich erzählte.

Die anderen tragen ihre Hightech-Beine britisch, patriotisch geschmückt.
Als dann noch ein Englischer Segler die richtige Hymne über den Hafen schallen lässt, gibt es beim Team Raw2Recovery kein Halten mehr. Jubel, Begeisterung und Elan steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Im 10-Minuten-Takt starten die restlichen Teams. Erst die 4er, dann die 2er und zum Schluss, fast unbeachtet, die Solisten.

Die Menge und Trommelkapelle hat sich längst zerstreut.
Kaum noch Beifall und Gejohle für die Letzten. Das macht die Einsamkeit, die diese Jungs für die nächsten 40, 60 oder gar 100 Tage umfangen wird, noch mal so richtig deutlich.

Alles selbst gewähltes Schicksal, aber mir tun die Einzelkämpfer ein wenig leid.

Unsere Befürchtungen, dass wir Morgen, wenn wir uns selber auf den Weg machen, auf einen der Ruderer stoßen könnten, erweist sich schon nach drei Stunden als unbegründet.
Mit drei bis vier Knoten paddeln die Teams in die unendliche Weite des Ozeans.

 

Weltumsegelung light

Fr., 18.Dez.15, Tag 566, La Gomera, 2.961 sm von HH

Nun ist es soweit, wir verlassen Europa.

Knapp drei Wochen nach unserem geplanten Abreisetermin, werfen wir Montag die Leinen los. Die Weltumsegelung light hat nach 18 Monaten eine Ende.

Schön war’s bis hierhin. In erster Linie schön.
Aber ein großes Stück weit davon entfernt, abenteuerlich oder gar exotisch zu sein. Klar gab es aufregende Momente: „hui jui jui“ und was hatte ich vor der Biskaya für einen Bammel , aber die meiste Zeit haben wir uns an Orten bewegt, die von Millionen Urlaubern erprobt, für gut befunden und als sicher bereisbar bewertet werden.

Wir haben viel dazu gelernt lagere nie Deinen Müll im Ankerkasten und radl nie ohne Karte durch fremde Städte.

In Europa zu reisen ist so einfach und unbürokratisch:
– dank Schengen können wir kommen und gehen ohne, dass es jemanden schert
– Euro sei Dank, kein Geldwechseln, keine Umrechnungstabellen, keine Gebühren
– gleicher Kulturkreis, gleiche Hautfarbe, gleiche Religion
– gleiche Gesten, gleiche Regeln, gleiche Gesetzte
– es gibt Lidl, MediaMarkt und die zwei großen Schweden

Umdenken, anpassen und aufpassen – nicht großartig nötig.

Dies wird sich mit der Ankunft auf den Kap Verden drastisch ändern.
Lauscht man den Geschichten.

Weltumsegelung un-light

Als erstes reißt es uns aus unserer Bequemlichkeit: Zukünftig machen wir nicht in einem Hafen oder Marina fest, sondern liegen überwiegend am Anker.
Je nach örtlicher Begebenheit wird das Anlanden mit dem Dinghi an einem Dinghi-Dock eine leichte Geschichte, wegen Brandung eine nasse oder gar eine unmögliche Angelegenheit werden.

Das Dinghi schwebt in beständiger Gefahr abhanden zu kommen. Entweder an Land oder nachts am Anker. Somit heißt es auf die Nabelschnur, die uns mit Atanga verbindet, gut acht zu geben.
Nur mit dem Dinghi erreichen wir die Orte und Menschen, die wir kennen lernen und erleben wollen. Nur per Dinghi kommen wir an Land, um dieses zu erkunden. Um Geschäfte für Lebensmittel zu suchen und zu finden.
Das Dinghi, bislang unbeachtet zusammen gerollt auf dem Vorschiff gelagert, wird zum wichtigsten Teil an Bord.

Der soziale Hintergrund der Menschen wird sich gegenüber unserem dramatisch ändern.
Ab Kap Verde werden wir von den meisten wohl als reich angesehen. Als stinkreich sogar. Dazu sind wir noch weiß. Reich und weiß. Da steckt viel Zündstoff in dieser Kombination.

Als Weißer zahlt man häufig andere Preise als die Einheimischen.
Von Willkür bei der Einreise wird erzählt. Korruption sei die Antwort darauf.
„Weißer Rassismus“ ist sicherlich etwas an das man sich heftig gewöhnen muss.

Das Angebot an Nahrung wird sich wandeln. Ebenso die Qualität. Die Säcke aus denen lose Mehl, Reis und Bohnen verkauft wird, wohnen Tiere unterschiedlicher Herkunft.    :mrgreen:
Dienstags gibt es frisches Gemüse, weil dienstags das Versorgungs-Schiff kommt.
Bleibt es aus, gibt es Bohnen mit Reis.

Die Kriminalitätsrate steigt. Von Einbrüche auf Schiffe, von Straßenbanden und Taschendieben kann man lesen. Solange es nur Geld ist, was einem genommen wird…

Zusammen gefasst liest sich eine Weltumsegelung un-light wenig erstrebenswert.
Wir haben einige Bedenken, sorgen uns hin- und wieder.
Aber die Vorfreude überwiegt. Die Spannung steigt.
Wir freuen uns auf die Herausforderungen, die Erfolgserlebnisse, auf positive Überraschungen, auf Hilfe, wenn man sie am wenigsten erwartet. Freuen uns auf die Fremden, auf großartige Landschaften, und Begegnungen. Auf das Abenteuer.

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Mit etwas Fingerspitzengefühl, einem Hauch Unbefangenheit, Vorsicht an den richtigen Stellen und einem großen Sack Freundlichkeit, hoffen wir, dass es zu dem wird, was wir uns erträumen.

Niemand hat gesagt, dass eine Weltumsegelung einfach sei.