San Sebastián – Hauptstadt von La Gomera

Sa. bis Mo., 10.-12. Okt., La Gomera, Tag 497 bis 499, 2.829 sm

Seit Freitag haben wir Besuch von Achims Bruder Michael.
Gemeinsam erkunden wir das gemütliche, schnuckelige San Sebastian.

Allerdings wird Achims Knie eher schlimmer als besser und schwillt bereits nach kurzen Strecken an. Somit unternehmen wir nur kleine Spaziergänge in die nahe Umgebung.
Da San Sebastián mit knapp 10.000 überschaubar klein ist, sind die Wege sowieso nur kurz.

Den besten Überblick auf die Marina und den Ort hat man von Michaels Hotel-Garten aus. Oberhalb der Hafenanlage liegt die schöne Anlage auf einer knapp hundert Meter hohen Klippe.

Von dort gelangt man auch auf den kleinen Friedhof der Stadt.
Die begehbaren Balkone oberhalb der dritten Etage haben wir bislang noch nicht auf den Kanaren gesehen. Und Fotos auf den Grabplatten mit Hobbies der Verstorbenen sind ebenfalls neu: Segel-Yachten, Kartenspiele, Wandersleute oder Taubenzüchter. Alle Hobbies, Berufe und Leidenschaften werden abgebildet.

In der Ortsmitte gibt es einen wunderbaren Park mit riesigen Ficus Benjamini, die ein komplett geschlossenes Blätterdach bilden.
Im kühlen Schatten wird geruht, beobachtet und Kunsthandwerker bieten ihren individuell gefertigten Schmuck, handgemachte Ketten und Unikate an.
Aber seit Gabi, Petra und ich in Las Palmas im China-Town-Viertel gewesen sind, wissen wir, hier ist gar nichts handgemacht.

In Las Palmas kann man das gesamte“ Kunsthandwerk“ entweder bereits fertig konfiguriert oder als Bausatz kaufen. Im Dutzend, Hunderte, Tausende… Die Sachen sind zum Teil zwar hübsch, aber auf keinen Fall individuell.

Wir brauchen einen Schuldigen

Do., 08.Okt.15, La Gomera, Tag 495, 2.829 sm

Nach 22 Stunden angenehmer Überfahrt erreichen wir La Gomera.
Dort wartet bereits die La Joya auf uns. Michael empfängt uns mit einem strahlenden Lachen, einem frischen Baguette und einem guten Ratschlag: „Sucht Euch einen anderen Liegeplatz, damit ihr das Cockpit nicht offen nach Westen habt. Aus den Bergen kommt häufig abends ein kalter Wind.“

Achim checkt uns also im Marina-Office ein und fragt mich, ob wir dem Rat folgen und einen Platz auf der anderen Seite des Steges nehmen wollen. Die sehen recht schmal aus, daher soll ich mit schätzen, welcher der breiteste ist.
Ich winke ab und sage Achim soll es doch lieber selber entscheiden. Was immer ich sage, kann nur falsch sein, lässt mich meine Erfahrung vergangener Jahre die Lage einschätzen. Nein, meine Meinung ist gefragt und wir einigen uns auf den Platz neben „Lilly“.

Also alle Leinen los und abgelegt.
Ich rödel alle Festmacher für das erneute Anlegen zurecht, während Achim langsam durch den Hafen tuckert. Eine Mittelspring lege ich auf die Backbordseite, da Lilly rechts von uns liegen wird.
Beim Einfahren in die Boxengasse höre ich von hinten ein Kommando: „Wir nehmen nicht Lilly, sondern das blaue Motorboot. Weisst du welches ich meine?“
Jaaa, weiss ich, aber was zum Henker soll das denn jetzt? Dafür ist die Spring an der falschen Seite.

Achim fährt also wieder aus der Gasse und ich tüttel den Tampen auf der anderen Seite fest. Innerlich grummelnd über diese Umentscheidung in der letzten Sekunde. Nach einer Ehrenrunde im Hafen bin ich fertig und Achim fährt erneut in die Gasse.
Plötzlich ruft er von hinten: „Das ist die falsche Gasse, Du hast mich in die falsche Gasse gelockt. Wo ist das Motorboot?“
Ich rolle mit den Augen und bin sauer. „Nein, wir sind richtig. Das Motorboot ist da vorne.“ „Wie heisst es?“ „Grrr, das weiss ich doch nicht. Ich hab mir nur Lilly gemerkt, aber die willst du ja nicht.“

Wir finden das Motorboot, machen fest, aber den ausgewachsenen Ehe-Disput-Dialog gebe ich an dieser Stelle nicht wieder.
Beide grummeln wir vor uns hin als der Marinero klopft und sagt: „Hier könnt ihr nicht bleiben.“ Wieso das nicht? Wir haben extra im Büro gefragt… Es bleibt dabei, wir müssen wieder raus.

Da kein weiterer Platz zur Verfügung steht, nehmen wir wieder unseren alten und parken diesmal rückwärts ein. Das klappt ohne Probleme. Wir räumen gemeinsam auf und entsalzen Atanga. Und stellen den häuslichen Frieden wieder her.

Aber aus einem gemütlichen Nachmittag wird trotzdem nichts, denn ein kräftiger Wind bläst uns genau ins Cockpit. Wer war es noch gleich, der uns den Rat gab, das Schiff anders herum zu legen? Wir brauchen einen Schuldigen…

AIS – die beste Erfindung seit Schokolade

Mi., 07.Okt.15, Atlantik, Tag 494, 2.728 sm

Unser Törn nach La Gomera, genauer, nach San Sebastian startet mit 20 sm unter Motor.
Erst als wir die Nordspitze von Gran Canaria hinter uns haben und auf Teneriffas Süden zielen, kommt der Wind.

Wir kommen überraschend flott voran und rauschen mit 6,5 kn auf das Verkehrstrennungs-Gebiet zwischen Gran Canaria und Teneriffa zu.

Ein Verkehrstrennungs-Gebiet ist eine virtuelle Autobahn, die in Seekarten verzeichnet ist. Motorschiffe müssen diese Autobahn benutzen und auf ihrer Spur bleiben. Segelboote dürfen so ein Gebiet nur im rechten Winkel kreuzen.
Eigentlich.
Wir ignorieren diese Verpflichtung geflissentlich, denn sie passt nicht gut zur Windrichtung und außerdem macht es die zu segelnde Strecke unnötig länger.
Zudem ist die Autobahn leer.

Die Nacht ist schwarz, abgesehen von den Lichtern Teneriffas vor mir.
Achim schläft und ich dröhn so vor mich hin als ich einen Blick auf den Plotter werfe: Wo kommen denn auf einmal die ganzen Schiffe her?
Ich bin schlagartig putzmunter.

Dank AIS kann ich auf unserem Plotter gut sehen, dass zwei Schiffe aus Norden kommen. Gegnerische Schiffe werden als Dreieck angezeigt und bei ‚klick‘ auf so ein Dreieck, bekommt man die Details des anderen Schiffes angezeigt: Name, woher, wohin, die Länge und das wichtigste, mit welchem Kurs und Geschwindigkeit der andere unterwegs ist.

Ich kann anhand des Tempos ungefähr errechnen, wann wir wohl kollidieren werden. Entwarnung, die sind weg, wenn wir auf ihrer Spur ankommen.

Aber zwei weitere Dampfer aus Süd machen mir Kummer.
Der erste ist noch 16 sm entfernt, aber er donnert mit 16 kn auf uns zu. Touch down in einer Stunde.
Das klingt viel. Ist es aber nicht.
Eine Viertelstunde beobachte ich, ob sich das noch von alleine ausgehen wird.
Neeein, eher unwahrscheinlich…

Da wir verbotener Weise diagonal in das Fahrwasser einlaufen, ist unsere Zeit zu lang, die wir auf seiner Spur bleiben würden.
Anluven erscheint mir zu riskant, könnte sein, dass wir dann genau in der Mitte der Fahrbahn sind, wenn er kommt. Da braucht dann nur ein wenig der Wind einbrechen und wir dümpeln mitten auf seiner Fahrbahn.
Abfallen geht nicht mehr viel, da wir schon sehr achterlich den Wind haben. Erscheint mir aber am sichersten.

Grade als ich so überlege, ob ich diese Entscheidung alleine treffen soll, kommt der Skipper, der nicht schlafen kann.
Schwein gehabt. Zu zweit ist es dann doch besser.

Noch mehr Schwein, Achim teilt meine Entscheidung. Wir fallen ab, so weit wir noch können. Jetzt bleiben wir am äußeren Rand der Fahrbahn und werden uns parallel passieren.

Achim funkt den Frachter trotzdem an. Der Wachhabende ist sofort dran und bestätigt, dass er uns gesehen hat. Wir sollen unseren Kurs halten, dann passt das.

Als er uns passiert hat, ändern wir erneut unseren Kurs, denn der nächste Dampfer rollt auf uns zu. Diesmal luven wir an und retten uns im rechten Winkel auf den Mittelstreifen.
Da sind wir sicher.

AIS ist großartig! Ohne hätten wir dieses Manöver niemals so fahren können.
Die vier fremden Schiffe hätten wir erst sehr, sehr viel später bemerkt. Und dass wir uns auf Kollisionskurs befinden, darüber hätte man bestenfalls spekulieren können. Deren Geschwindigkeit und Distanz im Dunklen abzuschätzen, unmöglich.

Ohne AIS wäre die Situation sehr stressig geworden und hätte mehrere Segelmanöver nach sich gezogen.

AIS macht während einer Nachtwache mehr Wohlbehagen als die besagte Schokolade.

 

Uns gehört halb Las Palmas

Di., 06.Okt..15, Gran Canaria, Tag 493, 2.728 sm

Morgen Mittag verlassen wir endgültig Las Palmas.*
Die letzten vier Wochen bestanden hauptsächlich darin Las Palmas aufzukaufen.
Wir hatten noch ein paar Ausflüge auf dem Programm, aber mit einem lahmenden Gaul kommt man nicht recht voran.  ;-)

Somit konnten wir die Zeit nutzen und uns Gedanken machen, was wir überlebensnotwendig, unbedingt und in jedem Fall noch benötigen:
Ersatzteile, Lebensmittel-Vorräte und Drogerie-Produkte.
Wischtücher, Zahncreme, Zewa-Rollen und Toilettenpapier. Vor allem Toilettenpapier.
Mit 70 Rollen Toilettenpapier währten wir uns auf der sicheren Seite. Bis die tückische Rückfrage von der SY Gegenwind kam, die seit einem halben Jahr in der Karibik weilt, ob wir wirklich der Meinung sind, das dies reichen wüde?? Drüben würden Rollen einzeln für viel Geld verkauft.
Panisch bunkere ich heute noch mal 40 Rollen nach.  ;-)

Zwischenzeitlich kam ich mir schon vor wie diese drolligen Leute, die vor Weihnachten glauben, es gäbe nie, nie wieder etwas zu kaufen.

Jetzt ist Atanga rappel voll.
Nichts geht mehr.
Noch die fehlenden 150 Liter Diesel nachtanken und dann ist Schluss.

Wir sind so fett beladen, dass unser Wasserpass schon längst in den Fluten verschwunden ist.
Der Wasserpass ist ein, meistens farblich abgesetzter, Streifen und befindet sich oberhalb der Wasserlinie. Er soll den Übergang vom Unterwasseranstrich zum Freibord überdecken, da dieser häufig etwas schmuddelig ist.

Die Wasserlinie ergibt sich konstruktionsbedingt bei einem von der Werft angenommenen Gewicht eines Schiffes.
Diese Linie schwangt natürlich, je nach Zuladung. Da soll der Wasserpass helfen, diese theoretische Linie zu kaschieren.

Der Wasserpass gehört nun aber auf keinen Fall dauerhaft unter Wasser.
Er wird nicht mit Antifouling gestrichen, bewächst somit doppelt so schnell.

Unser Wasserpass ist nun leider schon zur Hälfte dauerhaft verschwunden.

So leicht wir uns von unserem Land-Hausstand trennen konnten, funktioniert auf dem Schiff nicht.
Beide bunkern wir was unsere Hamster-Mentalität hergibt. Und beide wissen wir dem anderen eine Horror-Geschichte zu erzählen, wie schwierig es in Übersee ist bestimmte Artikel zu bekommen, um den jeweiligen Kauf zu rechtfertigen.

Ich kann Südamerika ein Vierteljahr ernähren und Jahrzehnte mit Shampoo und Duschgel versorgen. Und Achim kann Atanga 1:1 nachbauen und hat noch Teile über.

Da kann man nichts machen außer feststellen, dass die Werft das angenommene Gewicht von Atanga wohl falsch eingeschätzt hat. :mrgreen:
Unser Wasserpass wird mit Antifouling Bekanntschaft schließen müssen.

 

*nach La Gomera sind es 110 sm, mit dem Bewuchs am Schiff dauert es mindestens 24 Stunden. Habt eine schöne Zeit, wir melden uns wahrscheinlich am Freitag.

Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort

Sa., 03.Okt..15, Gran Canaria, Tag 490, 2.728 sm

Meine kleine Schwindelei, dass Achim noch mal ins Krankenhaus muss, wird prompt geahndet: Um 9:30 Uhr erfahren wir, dass wir heute doch nicht kranen können.

Schiffe, die ins Wasser zurück sollten, sind mit ihren Arbeiten nicht fertig geworden.
Montag wäre erst wieder ein Platz frei. Die Verlängerung unseres Liegeplatzes war somit für die Tonne. Wir überlegen kurz, ob Montag kranen eine Option wäre, entscheiden uns aber dagegen.

Achim wäre, trotz Knie, gerne in Las Palmas aus dem Wasser gegangen, denn unser Unterwasser-Schiff sieht wirklich schlimm aus.

Zudem erweckt die Werft einen professionellen Eindruck. Die haben einen sensationell kräftigen Hochdruck-Reiniger und Roll-Gerüste zum Arbeiten am Überwasser-Schiff.
Über La Gomera steht in unserem maritimen Reiseführer (Stand 2010), dass die Gegebenheiten dort ‚fragwürdig‘ seien. Die Werft dort krant üblicherweise nur Fischerboote und die Böcke sollen nicht so toll sein.
Sobald wir vor Ort sind, schauen wir uns das selber an. Vielleicht hat sich ja etwas getan in den letzten fünf Jahren.

Sollte es uns dort allerdings nicht gefallen, so haben wir noch Plan B in der Tasche. Dann segeln wir nach La Palma, nach Tazacorte auf der Westseite. Dort sind die Bedingungen in jedem Fall hervorragend.

Aber nichts ist aber so schlecht, dass es nicht auch für etwas gut ist:
Ab Mittwoch soll der Wind wieder kommen, der sich in den letzten acht Tagen als sehr mau und unzuverlässig aus falschen Richtungen gezeigt hat.
Und Achim kann noch weitere vier Tage sein Knie schonen.

Also fällt die Beurteilung meiner kleinen Sünde wohl in die Kategorie ‚belanglos‘.